Cherie - 40
Dieter dreht sich ein wenig dem Sprecher zu, wodurch seine Bohle einen Schwenk macht. Dieter stoppt die Bewegung sofort und antwortet:
„Eine gute Idee. AIKA und CHERIE kennen den Weg.“
Er bleibt stehen, während Paul ein paar Schritte weitergeht. Jetzt dreht sich Dieter vorsichtig um, damit er uns das Holz auf seiner Schulter nicht vor die Birne knallt. Dann fragt er:
„Ihr kennt euch aus mit Hundekommandos?“
Wir schütteln fast synchron die Köpfe, und ich antworte:
„Das wollten wir ja mit der Zeit bei euch lernen.“
„Okay,“ meint er und sagt: „CHERIE, AIKA, SITZ!“
Lena und Biggi setzen sich prompt auf dem Weg auf ihre Fersen.
„Jetzt könnt ihr die Leinen von den Halsbändern lösen,“ sagt er zu uns. „Klaus, lass Tapsy noch angeleint bis wir die Wiese erreicht haben, die unser Ziel ist.“
Klaus will sich gerade zu Taps hinunter beugen, stoppt aber in der Bewegung und kommt schulterzuckend und lächelnd wieder hoch. Dieter sagt jetzt:
„CHERIE, AIKA, FREI!“
Sofort laufen beide Doggies vom Weg herunter auf den weichen Waldboden. Lena erhebt sich in den Zweifüßler-Stand und reckt sich. Dann geht sie wieder runter in den Vierfüßler-Stand und beginnt zwischen den Bäumen hindurch unserem Weg zu folgen. Biggi macht es nun auch und Taps zieht bellend an der Leine in Richtung Lena.
Paul dreht sich ein wenig und ruft Klaus zu:
„Zieh mit einem kurzen Ruck an der Leine und sag in strengem Tonfall BEI FUSS.“
Klaus beherzigt den Rat. Taps fiept kurz auf und kommt an Klaus‘ Seite. Einige Minuten später läuft sie wieder etwas voraus, Lena immer im Blick, zieht aber nicht mehr an der Leine. Wir bilden nun den Abschluss der kleinen Gruppe. Was mir auffällt ist, dass sowohl Lena als auch Biggi nicht mehr auf Fäusten und Knien laufen, sondern auf Fäusten und Zehenballen. Beide halten ihre Knie fast eine Fußlänge über dem Boden.
Dann biegt Paul in einen Trampelpfad ein, der rechts vom Weg abzweigt. Dieter wartet bis Paul zwischen den Bäumen verschwunden ist, dann betritt auch er den Trampelpfad. Biggi und Lena sind stehengeblieben und beobachten, was die Männer tun. Während sie warten, stehen sie wieder auf Fäusten und Knien. Dann betreten auch sie den Pfad. Taps zieht Klaus hinter den Beiden her. Er stolpert fast. Als wir den Pfad betreten sehen wir, dass es hier in Stufen abwärts geht. Die Stufen werden von Baumwurzeln gebildet, die den Pfad queren. Vorsichtig übersteigen wir die Wurzeln und gelangen so allmählich abwärts. Voraus erkennen wir ein Schilfdickicht, das Paul und Dieter unten am Ende des Pfades etwa Mannsbreit niedergewalzt haben. Dahinter sehe ich fließendes Wasser und das Gluckern des Wassers kommt nun zu den Vogelstimmen, die uns während des ganzen Spazierganges begleitet haben.
Paul und Dieter haben die Bohlen auf den Boden gelegt, so dass sie eine Brücke für uns über den Bach bilden. Mit Bachkieseln festigen sie den Sitz der Bohlen, dann sagt Dieter lächelnd:
„So, ihr könnt rüberkommen.“
Als erste benutzen Lena und Biggi die Brücke auf allen Vieren, dann Klaus mit Tapsy und zum Schluss überqueren wir den Bach.
„Hier kannst du Taps von der Leine lassen,“ sagt Dieter zu Klaus, der das umgehend macht.
Tapsy läuft los. Nach etwa zehn Metern bleibt sie stehen und dreht sich um. Paul nimmt einen Gegenstand aus der Tasche, ruft so etwas wie HOOO und wirft ihn mit Schwung über die Wiese. Die beiden Doggies und Taps laufen nun hinter dem Gegenstand her.
„Kommt, wir gehen auch etwas in die Wiese hinein. Diese Gegend hier nennt man die Große Kyllschleife. Der Fluss – hier mehr noch ein Bach – ändert hier seine Richtung ziemlich extrem: Er fließt fast in die Gegenrichtung. Im Laufe von Jahrmillionen vielleicht, hat er diese Steilwand aus dem Fels gewaschen und hier wo wir stehen Sediment abgelagert,“ erklärt Dieter und zeigt in die Runde.
Die Doggies haben den geworfenen Gegenstand erreicht und scheinen sich nun darum zu streiten. Taps bellt und knurrt im Wechsel, hat das Teil mal in der Schnauze, mal lässt sie es fallen und nähert sich dabei uns mehr und mehr.
Lena und Biggi knurren ebenfalls, wie ich erstaunt feststelle. Dabei verschwinden ihre Köpfe immer wieder im Gras, während ihre Hintern ständig zu sehen sind. Dass Doggies so tief ins Dogplay eintauchen können, befremdet mich etwas.
Paul muss das an meinem Gesichtsausdruck ablesen, denn er sagt:
„Keine Panik, Anita. Wir geben unseren Doggies den Raum ihre Gefühle zeitnah ausleben zu können. Sie sollen sie nicht aus rationalen Gründen unterdrücken, um dann später einer Vertrauensperson zu erzählen, ‘da ist mir das und das passiert, dabei habe ich mich so und so gefühlt‘. Das Hier und Jetzt ist ausschlaggebend! Dass Normalos so etwas nicht verstehen würden, ist uns klar. Darum gehen wir dazu an Orte, wo wir fürs Dogplay unter uns sind!“
„Aber Knurren und Bellen…“
Paul schüttelt lächelnd den Kopf.
„Bellen wirst du CHERIE und AIKA nie hören. Und das Knurren ist unter Hunden als Warnung gemeint. Da wir auf nonverbale Kommunikation wertlegen, also die Gestik und Mimik der Hunde mitsamt der dezenten Lautäußerung, die die Gestik noch unterstreicht – muss das halt sein. Es wird niemals zum Beißen kommen! Verletzungen vermeiden Hunde durch Beschwichtigungsgesten. Nur bei Kampfhunden wurde letzteres durch eine Erziehung arg eingeschränkt. Das gilt jedoch nicht für Doggies, die zu liebenswerten Familienhunden erzogen werden.“
„Erziehen…?“
Meine Stirnfalten werden tiefer.
„Das darfst du dir nicht nach Art der SMler vorstellen,“ beschwichtigt Paul. „Wir erziehen nicht mit der Peitsche. Unser Erziehungsmittel ist nicht die Angst vor der Strafe, der Schmerz, sondern die Motivation durch Lob und Belohnung. ‚Positive Verstärkung‘ nennt die Wissenschaft das.“
„Ah…“
Lena hat sich von Biggi und Taps getrennt und verschwindet hinter ein paar Büschen. Wenige Minuten darauf sehe ich, wie sie sich im Rücken von Paul anpirscht, tief in das Gras gedrückt. Hinter Paul kommt sie hoch und ist mit zwei Schritten an ihm dran. Sie stößt ihn um und alle lachen. In diesem Moment, als Dieters Aufmerksamkeit auf Paul und Lena gerichtet ist, wird auch er von Biggi umgestoßen.