IWIPAPA - Stamm der Mutter Erde - 42
Hetu‘u und RA‘A - insbesondere RA‘A - sind ebenfalls geduldige Lehrmeister. Jeden Tag üben sie stundenlang mit mir die Gestik und Mimik, über die man sich tonlos mitteilt. Ich stelle bald fest, dass ich die Gestik und Mimik benutze, ohne darüber nachzudenken. Ich lerne wie ein Kind auf direktem Weg ohne dass mir jemand wortreich erklärt, was die Gesten und die gezeigte Mimik bedeuten. Zuerst ist meine Ausdrucksweise noch nicht besonders gut, aber RA‘A hilft mir. Die Anzahl der Gesten und Mimik weitet sich langsam aus, so dass ich mich bald ganz gut ausdrücken kann.
Die Poki tane des Kahuna bringen uns die Kommandos bei, die wir beherrschen müssen, wenn wir einen Herrn bekommen. Diese Kommandos erfolgen sprachlich, aber auch über Gesten. Dann wird ein Wettbewerb veranstaltet. Wir müssen alle im Wald jagen, sodann leichte Wagen ziehen und andere Tätigkeiten ausführen. Bei diesem Wettbewerb sehe ich erstmals fremde Männer unterschiedlichen Alters als Zuschauer. Sie spornen uns an und sind auch bei der Bewertung dabei.
Nach diesem Wettbewerb werden wir in verschiedene Gruppen eingeteilt. Dann werden wir in der Tätigkeit trainiert, bei der wir während des Wettbewerbs am besten abgeschnitten haben. Eine kleine Gruppe wird zu ausgedehnten Spaziergängen über die Insel mitgenommen, wobei die erlernten Kommandos vertieft werden. Zu dieser Gruppe werde auch ich hinzu genommen. So lerne ich einen Mann zu begleiten und meine Aufmerksamkeit auf seine Gesten zu richten.
Ich lerne dadurch die Insel sehr genau kennen, und doch kommt es mir vor, als entdecke ich täglich neue Gegenden. Dabei auch noch auf den Poki tane zu achten, strengt ziemlich an. Abends bin ich daher oft so müde, dass ich schnell eingeschlafen bin.
Bei diesen Exkursionen ist immer ein anderer der fremden Männer dabei. Ich erinnere mich, dass der hellhäutige Mann, der tatsächlich oft im Haus des Kahuna zu Besuch ist, mir einmal gesagt hat, ich solle mir die Männer anschauen und genau beobachten, um mir meinen späteren Herrn daraus aussuchen zu können – einen, zu dem ich Zutrauen fassen, in den ich mich vielleicht verlieben könnte. Dabei fasse ich manchmal auch den Mut, diesen oder jenen Mann zu necken.
Einem jüngeren Mann mit martialisch aussehender Tätowierung ramme ich dabei so überraschend meine Schulter in seine Kniekehle, dass er umstürzt. Von der Wirkung meines Tuns bin ich selbst so erschrocken, dass ich ihn erst mit aufgerissenen anstarre.
Er hat sich als Erster wieder gefangen und rappelt sich lachend auf. Dass er es mir nicht übel zu nehmen scheint, weckt mich aus der Starre und ich gehe nahe an ihn heran, als er noch auf dem Waldboden sitzt. Ich beginne nun seine Brust abzulecken. Zuerst schiebt er mich schwach weg, dann lässt er es geschehen, bis der Poki tane mich mit einem Kommando zu sich ruft. Nun rappelt sich der junge Mann vollends auf und der Poki tane übernimmt wieder die Führung. Den Rest des Weges suche ich des Öfteren die Nähe des jungen Mannes in unserer Begleitung und reibe ab und zu meine Wange oder meine Schulter an seinem Bein, was dieser mit Streicheln quittiert.
In der Folgezeit habe ich nur noch Augen für den jungen Mann. Zwar begleiten uns auch noch andere während meines Trainings als Begleiterin, aber diese lassen meinen Gefühlen nicht solche Flügel wachsen. Durch Zuhören erfahre ich, dass der junge Mann, dem meine Sehnsucht gilt, Mateo heißt und Sohn eines Kahunas ist, der ein Vaka besitzt, diese traditionellen Auslegerkanus. Auch diese Information macht den jungen Mann für mich attraktiv.
Eines Morgens werden wir geweckt, bekommen unser Frühstück und werden gewaschen, gekämmt und eingecremt. Heute soll der Tag sein, an dem wir in andere Haushalte vermittelt werden, erklären uns die Poki tane die besondere Pflege.
Und wirklich! Am Vormittag kommen die Männer, die wir schon während des Spezialtrainings kennengelernt haben. Sie stehen nebeneinander am Zaun und schauen, was sich im Gehege tut. In ihren Händen halten sie Süßigkeiten.
Wie die anderen vierzehn Wahine schaue auch ich, ob sich unter den Männern am Zaun ein bestimmter befindet. Mein Herz macht einen Sprung, als ich Mateo entdecke. Ich laufe blindlings zu ihm hin und stoße dabei mit einer anderen Wahine zusammen. Will sie mir den Herrn streitig machen? Ein seltsames Gefühl der Leere durchzieht mich… Halt, Herz, jetzt keine Aggression aus Eifersucht! Mateo soll entscheiden!
Die Wahine versucht mich mit der Schulter abzudrängen, aber das lasse ich nicht zu. Unbeirrt laufe ich auf Mateo zu. Der junge Mann lächelt und als wir ihn erreichen übergibt er mir die Süßigkeit, obwohl sie mit senkrecht aufgerichtetem Rücken auf ihren Fersen sitzt und die Fäuste in Schulterhöhe hebt. Das freut mich. Ich habe nur Augen für ihn. Mich hat er gewählt, nicht sie!
Der Poki tane am Tor öffnet es ein Stück weit und Mateo sagt, während er mich anschaut:
„IKA, ZU MIR!“
Erfreut hebe ich die Knie vom Boden und laufe zu ihm, so schnell ich kann. Bei ihm angekommen reibe ich meine Wange an seinem Oberschenkel und schaue erwartungsvoll zu ihm auf. Wir haben in der Schule vieles über die Gestik und Mimik der Männer gelernt. Nicht nur die tonlosen Kommandos über Fingerzeige, sondern auch Kleinigkeiten, wie Hand-, Finger- oder Hüftbewegungen der Männer, die Ausdruck ihrer Gefühle sind. So ist es im Grunde kein Geheimnis, dass eine Wahine die Stimmungen und Wünsche ihres Herrn vorauszuahnen scheint.
Entspannt dreht er sich zum Gehen und sagt:
„IKA, BEI FUSS!“
Ich begleite ihn, an seiner rechten Seite gehend, in den Wald hinein. Bald schlägt er einen Weg ein, den ich noch nicht kenne und eine halbe Stunde darauf erreichen wir eine ähnliche Lichtung wie die, auf der die Schule steht. Auch hier steht ein Fale, großes Haus mit hochgezogenen Giebeln, um das sich mehrere kleine Hütten gruppieren. Im Hintergrund gibt es auch hier einen Garten, in dem Nutzpflanzen wachsen. Er geht ein paar Minuten zwischen den Hütten umher, aus denen hin und wieder Köpfe von Wahine neugierig hervor schauen.
Ich sehe andere Poki tane im Garten und zwischen den Hütten geschäftig umher gehen. Die jungen Männer tragen die hier üblichen Lavalava –Wickelröcke-. Sie erscheinen mir kräftig, fest zupackend, mit fröhlichem Lachen scherzend. Ich schaue zu meinem Herrn auf, als dieser sich einer Hütte nähert. Er ist der schönste von allen!
Mateo betritt die Hütte und zeigt mir ein Kissen im Hintergrund. Dazu sagt er:
„IKA, KISSEN!“