Dienstag, 6. Oktober 2020
Suìmh Aille -02
„Hm,“ schreibe ich, nachdenklich geworden. „Die Codewörter, das sind bestimmt die Kommandos, nach denen Hunde reagieren müssen. Alles andere hört sich sehr nach Katze an: also gefühlsmäßig spontan agieren. Natürlich wäre es schön, wenn da jemand wäre, der mir das Verhalten echter Haustiere näherbringt.“
„Also würdest du unter den genannten Kriterien auch über die Rolle einer Doggie nachdenken?“
„Joah,“ dehne ich und frage: „Du wärst so ein Herrchen, auf den deine Beschreibung passt?“
„Hunde und Wölfe rotten sich meist zu Rudeln zusammen,“ schreibt Eamon. „Das Rudel vermittelt ihnen Sicherheit und Geborgenheit. Im Rudel werden alle versorgt. Für einen Familienhund ist die Menschenfamilie sein Rudel. In jedem Rudel gibt es aber eine Hierarchie, damit kein Chaos entsteht. Einer macht das ‚Alphatier‘… Wer ist eigentlich für dich ein Alphatier?“
„Das ist schwer zu sagen!“ antworte ich. „Es ist eher eine Gefühlssache. Ich tue natürlich, was mein Chef mir sagt. Innerlich denke ich mir manchmal ‚Was für ein Arsch!‘ So etwas würde mir bei echter Dominanz nicht passieren…“
„Ah,“ fragt er mich jetzt, „wie äußert sich denn echte Dominanz, deiner Meinung nach?“
„Da ist zum einen der Blick, der beinahe jedes Aufbegehren im Keim erstickt. Im täglichen Miteinander stellt die Dominanz nicht das ICH in den Mittelpunkt, sondern das DU. Sie nimmt also das ihr Anvertraute, um es wachsen zu lassen.“
Seine Antwort in unserem Chat lässt mich aufmerken:
„Okay. Also, meine Dominanz ist nun weder ein Deckmantel für Egoismus, noch für Arroganz oder Machismo. Sie ist nicht Ausdruck vermeintlicher Stärke, sondern von Vertrauenswürdigkeit. Sie ist leise, braucht nicht viele Worte. Sie ist respektvoll, interessiert, konsequent, fürsorglich und liebevoll. Sie ist auch nachgiebig, wenn es zur Situation passt und unnachgiebig wo es sein muss.“
Ich muss mir die Antwort mehrmals durchlesen. Dann frage ich ihn:
„Gibt es so einen Mann überhaupt?“
„Aber sicher!“ schreibt er mir. „Er sitzt hier vor dir, leider durch das Internet getrennt…“
„Das ist allerdings ein großer Nachteil!“ antworte ich lächelnd. Im Internet kann man seinem Gesprächspartner das ‚Blaue vom Himmel herunter‘ erzählen! Ich ergänze also: „Beziehungen - auch wenn es nur Freundschaften sind - leben davon, dass man sich im realen Leben trifft, sich kennenlernt, schaut ob Sympathie überspringt, etwas gemeinsam unternimmt – und schließlich, dass beide ihr Leben aufeinander ausrichten.“
„Genau meine Meinung, Sophie,“ schreibt er. „Da sind wir auf einer Linie! Wann hättest du denn Zeit, dich einmal mit mir zu treffen? Ich bin in der glücklichen Lage, meinen Terminkalender jederzeit ändern zu können, um Platz für dich zu schaffen.“
Jetzt bin ich sprachlos. Laut Google liegen 1300 Kilometer Luftlinie zwischen uns. Was schreibe ich bloß? Mir fällt nichts Besseres ein, als ihm zu sagen, dass ich in acht Wochen für zwei Wochen Urlaub habe. Er geht darauf ein und fragt, ob ich an dem mittleren Wochenende schon etwas geplant habe. Da ich aus Geldmangel Urlaub auf ‚Balkonia‘ geplant habe, verabrede ich mich vor lauter Neugier mit ihm. Die Uhrzeiten will er mir durchgeben, wenn er das Ticket in Händen hat.
Die folgenden acht Wochen sind dann die Unruhigsten meines bisherigen Lebens gewesen. Ich habe kaum geschlafen, bin im Büro unkonzentriert und habe dem Kontakt mit dem Mann regelrecht entgegengefiebert. Da ich von ihm nichts weiter kenne als seinen Namen, habe ich ihn mittels Wikipedia und dem Google Übersetzer zu sezieren versucht. Herausgekommen ist dabei dies: Iarla Eamon Ciaraì bedeutet auf Deutsch ‚Graf Edmund Kerry‘, und er wohnt im Südwesten Irlands in der Grafschaft Kerry. Nebenbei hat er dort ein Ressort für Petplayer geschaffen, auf Land, das ihm gehört… An wen bin ich da bloß geraten?

*

Am späten Nachmittag des Samstags, für den wir uns verabredet haben, bekomme ich die erlösende Nachricht auf mein Handy. Wir haben inzwischen unsere Handynummern getauscht, weil das Chatten auf der Internet-Seite doch etwas umständlich ist.
Er schreibt: „Sorry, dass ich mich nicht früher gemeldet habe, aber ich hatte noch im Hamburger Hafen zu tun, nachdem der Flieger gelandet war.“
„Wann bist du denn dann hier?“ frage ich zurück.
„In zwei Stunden,“ schreibt er.
Ich habe ihm die Adresse eines ‚Old English Pubs‘ in der Innenstadt gegeben, die er mit Google Maps finden kann. Ich mache mich nun fertig und auf den Weg. In etwas über einer Stunde bin ich am Treffpunkt und betrete den Pub. Dazu habe ich mir das Ausgeh-Outfit einer Irin aus der Unterschicht angezogen, das ich im Kostümverleih für heute erstanden habe. Es ist ein knöchellanges weißes Kleid mit einem grünen Überwurf, vorne offen und vor der Brust geschnürt. Auf Eamons Gesichtsausdruck bin ich gespannt.
Gut zwanzig Minuten später betritt ein Mann in einer grauen Hose den Pub. Darüber trägt er eine Kombination aus grüner Weste und Jacke über einem weißen Hemd mit einer grünen Schleife am Hals. Eine grünkarierte Ballonmütze mit Schirm über der Stirn vervollständigt das Bild.