Freitag, 23. Oktober 2020
Suìmh Aille -19
Wieder nickt Herr Ciaraì bei meinen Ausführungen. Dann fragt er:
„Warst du auf allen Vieren schon einmal nach dem Traum?“
„Ich habe mich lange nicht getraut,“ gebe ich zu. „Eine gewisse Scheu hielt mich zurück. Aber kurz vor der Reise hierher bin ich dann doch auf Hände und Knie hinunter und habe ein paar Schritte gemacht.“
„Nun, unsere Doggies den Bear Crawl nutzen. Das schont die Gelenke, aber beansprucht die Muskulatur mehr anfangs. Aber damit sie sind schneller und es sieht aus natürlicher.“
Ich habe mich schon gewundert, warum Eithne und Runa auf Händen und Füßen laufen, mit angehobenen Knien. Also, Bear Crawl nennt man diese Gangart.
„Okay, das versuche ich dann auch!“ antworte ich ihm.
„Gut, ihr Drei werdet gehen hinaus über die Weiden heute Nachmittag. Ihr werdet sicher lernen voneinander, ich denke.“
Herr Ciaraì erhebt sich und geht zum Ausgang. Ich schaue Eithne an. Sie nickt mir aufmunternd zu und lächelt mich an. Dann folgt sie ihrem Herrn und Runa läuft hinterher. Also folge ich Beiden zum Ausgang, den Herr Ciaraì für uns offenhält.
Draußen trennen sich unsere Wege. Während Herr Ciaraì auf ein anderes dieser eiförmigen Häuser zustrebt, fordert Eithne mich mit einem „Wuff“ auf, ihr zu folgen. Wir laufen zwischen den Häusern hinaus auf eine leicht wellige Graslandschaft. Draußen sagt sie zu mir:
„Wir befinden uns hier leider nicht in einer bewaldeten Gegend, trotzdem kann in einer Senke vor dir plötzlich etwas liegen, worauf du uns aufmerksam machen möchtest. Nutze dafür die nonverbale Kommunikation der Caniden! Benimm dich ganz wie ein Hund oder Wolf sich in der gleichen Situation benehmen würde. So lernen wir aus der Situation heraus, welche Geste was bedeutet. Später sprechen wir dann darüber. Aber Vorsicht! Wenn du in Richtung der Abbruchkante läufst: Halte dich vom Abhang fern! Halte also Suìmh Aille am besten immer im Rücken bis ich sage, dass wir umdrehen müssen.“
„Okay,“ meine ich und halte beim langsamen Vordringen in die Landschaft den Blick gesenkt. Ich weiß zwar nicht, was wir suchen.
‚Aber ich werde schon irgendetwas finden,‘ denke ich mir.
Die beiden anderen Doggies entfernen sich mit jedem Schritt ein wenig mehr von mir.
Plötzlich liegt vor mir ein Loch. Ich meine, ich hätte eine flüchtige Bewegung gesehen. Ein kleines Tier wird darin verschwunden sein. Ich bleibe vor dem Loch stehen, und hebe den Kopf. Ein „Bowwwwww Bow Wow“ verläßt meinen Mund. Dann schaue ich kurz noch einmal nach unten, wiederhole meinen Ruf und beginne damit, die Ränder des Loches zu vergrößern.
Wenige Minuten darauf sind Eithne und Runa bei mir.
„Ah, das war das Heranrufen, wenn du etwas gefunden hast,“ kommentiert sie mein Verhalten.
„Sorry, ich habe vollkommen aus dem Gefühl heraus gehandelt,“ sage ich. „Ich war so ‚weg‘, dass ich ohne Überlegung einfach gemacht habe…“
„Aber genau darum geht es ja!“ antwortet sie mir lächelnd. „Denke nicht nach! Handele spontan gefühlsmäßig!“
Wir bleiben bis zur Abenddämmerung in dieser grandiosen Landschaft. Dann laufen wir nach Suìmh Aille zurück. Diese Rücktour organisieren Eithne und Runa als Verfolgungsjagd, was ja auch ein beliebtes Spiel der Caniden ist. Mit Rücksicht auf mich, da es mein erster Tag im Bear Crawl ist, machen sie einige Pausen. Dazu legen sie sich ins Gras und halten den Zweig, um den es bei der Jagd geht, unter ihrem Bauch versteckt.
In Suìmh Aille angekommen, bringen sie mich direkt zur Herberge. Dort verabschieden wir uns voneinander bis zum nächsten Tag. Ein Mac Léinn lässt mich ein. Immer noch auf allen Vieren gehe ich hoch in mein Zimmer und krabbele auf mein Bett. Kurz darauf bin ich total erschöpft eingeschlafen.

*

Am nächsten Morgen mache ich mich erst einmal unter der Dusche frisch. Danach gehe ich, wieder auf zwei Beinen, hinunter zum Frühstück. Ich habe einen riesigen Hunger heute Morgen.
Kaum bin ich fertig, meldet sich eine Stimme schräg hinter mir. Es ist Eithne, die sich sicher angepirscht hat, während ich mich auf das Essen konzentriert habe.
„Guten Morgen, Susi,“ begrüßt sie mich.
Mich zu ihr umwendend, antworte ich ihr lächelnd:
„Hey, einen schönen guten Morgen, Eithne! Was machen wir heute?“
„Du begibst dich wieder auf alle Viere. Dann gehen wir zur Schule. Heute zeigt dir Curadh Ciaraì die Hundekommandos, soweit wir damit kommen.“
„Ah, okay,“ sage ich und drehe mich vom Hocker herunter in den Vierfüßler-Stand.
Wieder geht es durch Suìmh Ailles ‚Unterwelt‘. In der Halle der Schule warten Runa und Herr Ciaraì. Eithnes Curadh -Herr/Meister- fragt nach den Erlebnissen des gestrigen Nachmittages draußen auf den Weiden. Er lässt sie sich aus meiner Sicht und auch aus Sicht der beiden ansässigen Doggies berichten.
Anschließend holt er eine süße Beere aus einer ledernen Gürteltasche und zeigt sie mir. Ich nähere mich erwartungsvoll seiner Hand. Aber er führt seine Hand über meinen Kopf nach hinten. Ich folge mit meinem Blick neugierig seiner Hand mit der Beere und muss mich auf meine Fersen setzen, damit ich mein Gleichgewicht nicht verliere.