Mittwoch, 14. Oktober 2020
Suìmh Aille -10
Ihr Gesichtsausdruck auf meine Aussage hin, spricht Bände. Ich schüttele lächelnd den Kopf und frage:
„Hast du schon einmal den Begriff ‚Brautgemach‘ gehört?“
Da sie den Kopf stumm schüttelt, erkläre ich:
„In der Urkirche war das eins der Sakramente. Beide Liebenden wurden gesalbt und dem Heiligen Geist empfohlen. Dann mussten sie sich trennen. Den Zeitrahmen bestimmten die Brauteltern. Üblich war eine Woche ohne Kontakt zueinander. In der Zeit sollten beide ihre Gefühle füreinander prüfen. Fällt die Prüfung positiv aus, wurde das Sakrament der Hochzeit gefeiert…“
„Ah, und das habt ihr für euch ausgegraben?“
„Nein!“ widerspreche ich. „Das ist in Suìmh Aille allgemein üblich!“
„Oh,“ macht sie da nur.
In den nächsten Tagen ist die Spannung im Elternhaus stark gestiegen. Man meint es regelrecht knistern zu fühlen.

*

Ich sitze mit Papa und Mama im Wintergarten an der Westseite des Hauses und schaue in den Sonnenuntergang. Die Farben wechseln von gelb über orange zu rot. Heute ist der Tag an dem Eamon sich melden müsste.
Die Sonne zeigt sich noch als schmaler Streifen am Horizont, als es an der Haustür klingelt. Meine Eltern schauen sich an. Wer mag das um diese Uhrzeit noch sein? Beide erheben sich und Mama beschleunigt ihre Schritte. Sie öffnet die Haustür und starrt den späten Besucher wie einen Geist an. Draußen steht ein rotblonder Mann in grau-grüner Kombination.
Über einer weiten Hose, die die Waden eng umschließt, kleidet er sich in eine grüne Jacke und eine ebensolche Weste. Darunter trägt er ein weißes Hemd mit einer grünen Schleife um den Hals. In der Hand hält er einen Blumenstrauß, ganz in grün-weiß gehalten. Neben sich einen dicken Lederkoffer.
Mama bringt kein Wort heraus. Papa hat die Tür inzwischen erreicht und schaltet sofort.
„Ah, einen wunderschönen guten Abend, Herr Ciaraì,“ begrüßt er lächelnd den späten Besucher. „Sie sind doch Herr Ciaraì, oder nicht?“
„Ja, ich bin,“ antwortet Eamon lächelnd.
„Dann kommen Sie einmal herein!“ fordert Papa den Besucher auf und macht den Eingang frei, indem er vor die Tür tritt und Eamons Koffer ergreift.
„Mann!“ meint er scherzhaft. „Haben Sie irischen Basalt mitgebracht?“
„Nein, das es ist nicht!“ meint Eoghan, und fragt: „Wo ist Sophie?“
Da hat er mich schon im Flur gesehen und kommt näher. Er übergibt mir den Strauß und fragt:
„Sophie, würdest du folgen mir nach Irland als meine Partnerin?“
Ich nehme die Blumen und strecke ihm meine freie linke Hand hin. Er nimmt sie und führt sie an meine Lippen, während er mir verliebt in die Augen schaut. Anschließend weist er auf den Koffer, und sagt:
„Ich habe mitgebracht die Kleidung einer Lady. Bitte, probiere sie an schon heute. Vielleicht, der Schneider muss einige Änderungen vornehmen.“
Ich lächele und gebe die Blumen an Mama weiter.
„Bitte, stelle sie in eine Vase, Mama.“
Sie scheint aus einem Traum zu erwachen. Mama übernimmt die Blumen und geht mit ihnen in die Küche. Papa sagt nun zu Eamon:
„Mister Ciaraì, bitte, setzen Sie sich doch!“
Er weist durch die Tür des Wohnzimmers auf die Couchgarnitur, und ergänzt:
„Ich gehe dann mit Sophie und dem Koffer nach oben…“
Eamon nickt lächelnd und nimmt auf dem Sessel im Wohnzimmer Platz, von wo man über den Couchtisch hinweg einen freien Blick auf die Wohnzimmertür und einen Teil des Flures hat. Papa lässt mich in mein Zimmer vorgehen und schleppt den schweren Koffer hinter mir die Treppe hinauf.
„Mann,“ meint er unterwegs. „Dein Eamon sieht eigentlich gar nicht nach Arnold Schwarzenegger aus…“
In meinem Zimmer angekommen kippt er den Koffer auf die Seite und öffnet die beiden Schnallen rechts und links des Tragegriffes. Dann lässt er das Schloss aufschnappen und hebt den Deckel an.
„Hm,“ macht er mit großen Augen. „So sollst du durch den Ort gehen? Nicht genug, dass dein Herr Ciaraì in Tracht hier aufschlägt…“
Ich schüttele den Kopf und beuge mich über die Kleidungsstücke. Zuoberst liegt ein wollener, bodenlanger Mantel mit Kapuze in grün. Die Kapuze hat einen Rand aus Fell. Ich nehme den Mantel auf und hänge ihn an einen der Kleiderhaken innen an der Zimmertür. Darunter liegt, ordentlich gefaltet, ein weißes Kleid, nicht minder lang. Es weist viele Stickereien aus grünem Faden auf und Borten vom Halsausschnitt über die Schultern die Ärmel hinab, sowie vom Dekolleté vorne bis in Oberschenkelhöhe. Ich hebe es kurz an, dann suche ich im Schrank nach einem dicken Mantelbügel. Damit hänge ich das Kleid neben den Mantel.
Im Koffer finde ich darunter nun die Unterwäsche und Schuhe. Ich lächele Papa an:
„Jetzt solltest du mich allein lassen! Ich muss mich umziehen…“
Mit zweifelndem Gesicht verlässt mich Papa und schließt die Tür meines Zimmers hinter sich. Langsam geht er die Treppe hinunter und ins Wohnzimmer.
Derweil ziehe ich mich aus und die Unterwäsche aus dem Koffer an. Sie ist an bestimmten Stellen gerefft und simuliert auf diese Art mehr Inhalt als wirklich vorhanden ist. Dann nehme ich das Kleid vom Haken und versuche, es mir über den Kopf anzuziehen. Das will nicht gut klappen. Also öffne ich die Zimmertür und rufe durch den Stoff hindurch dumpf klingend nach Mama.