Dienstag, 27. Oktober 2020
Suìmh Aille -23
Der Curadh nickt. Es entsteht eine Gedankenpause. Dann antwortet er:
„Nun ist es müßig darüber zu reden, ohne dass ein Curadh seine Doggie in unserer Schule abgibt. Das Besprochene lässt sich so kaum direkt umsetzen. Ich schlage vor, wir warten eine Zeitlang ab. Ich darf doch sicher die Ausgehmöglichkeiten, die der Ort bietet, kostenlos nutzen? Später reden wir dann noch einmal über das Thema.“
Méara -Ortsvorsteher- Ciaraì nickt.
„Solange die Gewerke noch nicht alle besetzt sind, übernehme ich die Rechnungen, zum Beispiel in der Taverne und in der ‚Blauen Grotte‘. Später müssen Sie die Handwerker bezahlen, wie jeder Andere auch. Davon leben die Leute schließlich!“
Das Essen ist beendet. Zum Schluss haben die Herren noch bei Tee zusammengesessen. Nun stehen die Gäste auf und verabschieden sich höflich.
Nachdem sie uns verlassen haben, sage ich lächelnd:
„Der Curadh hat seinen Mac Léinn schon mitgebracht…“
Curadh Ciaraì wendet sich mir zu und schaut mich prüfend an. Er fragt:
„Was ist dein Eindruck, Susi? Würdest du wollen leben in seinem Haushalt?“
Mit zweifelnder Miene antworte ich ihm:
„Wenn ich ehrlich sein soll: Lieber nicht, Curadh Ciaraì!“
Curadh Ciaraì erhebt sich. Er sagt:
„Gut, du wirst wohnen bei mir weiterhin! In den Pausen du wirst verfeinern die Nonverbale Kommunikation mit Eithne und Runa. Auch wirst du begleiten mich an der Seite von Eithne, wenn ich gehe aus.“
Er geht noch einmal in sein Büro.

*

Fast eine Woche ist vergangen. Von Curadh Riagáin und seinem Sohn Finn haben wir seit dem Dinnéar -Abendessen- nichts mehr gesehen. Jedoch erhält der Méara von Curadh Donnagh, unserem Herbergswirt, täglich eine Rechnung über Speisen und Getränke in der Halle und auch gesondert Rechnungen über Besuche in der Taverne. Curadh Riagáin isst sämtliche Mahlzeiten außer Haus, führt also keinen eigenen Haushalt. Man erhält den Eindruck, als macht der Herr unbegrenzten Urlaub in Suìmh Aille.
Curadh Ciaraì möchte sich in entspannter Atmosphäre mit Curadh Murchardh treffen. Die Herren haben sich in der Uaimh ghorm –blaue Grotte- verabredet und wir, Eithne und ich, begleiten ihn dorthin.
In der Blauen Grotte dürfen wir ins Wasser, während sich der Curadh auf eine Liege in einer Nische zurückzieht. Wir erkennen, dass außer uns auch noch Finn im Wasser ist. Während wir einem Spielzeug hinterher schwimmen, das Curadh Ciaraì geworfen hat, kommt Curadh Riagáin aus dem Außenbereich herein geschwommen, orientiert sich kurz und schwimmt dann auf die Treppe zu. Die dort liegende Decke nutzt er nun, um sich abzutrocknen.
Ich schwimme gerade an Finn vorbei, als der junge Mann unvermittelt zu strampeln beginnt und mit dem Kopf unter Wasser gerät.
Sofort bin ich bei ihm und nehme ihn in den Schleppgriff, den ich beim DLRG gelernt habe. Eithne sieht das und lässt das Spielzeug auf der Wasseroberfläche dümpeln. Sie erreicht mich, als ich mit Finn an der Treppe bin. Auch Curadh Ciaraì ist zur Stelle. Ich beginne sofort eine Herzdruckmassage mit Beatmung, während der Curadh und Eithne dem Jungen Arme und Beine festhalten. Curadh Ciaraì hat ihm den umgenähten Zipfel einer Decke in den Mund gesteckt, nachdem er es mit Mühe geschafft hat, die Kiefer auseinander zu bringen.
In dem Moment kommt Curadh Murchardh hinzu und übernimmt Eithnes Part. Er schickt Eithne und Runa zu seiner Cleachtas Míochaine –Arztpraxis-, um seinen Koffer zu holen.
Inzwischen ist auch Curadh Riagáin hinzugekommen. Zuerst wohl aus Neugier, dann überwiegt die Sorge um seinen Sohn, als er die Lage erkennt. Der Méara weist ihn jedoch eine Spur zu grob zurück.
Als Eithne und Runa in Begleitung Curadh Murchardhs Mac Léinn zurückkommen, hat sich die Lage schnell geklärt. Unser Leigheas -Heiler- erklärt Finns Vater:
„Ihr Sohn hatte im Wasser einen epileptischen Anfall! Seien Sie froh, dass Susi sofort zur Stelle war und besonnen gehandelt hat. Finn wird jetzt schlafen. Bringen Sie ihn nachhause und bleiben Sie in seiner Nähe. Als nächstes sollte ihr Sohn einen Facharzt aufsuchen und auf ein Anti-Epileptika eingestellt werden!“
Der Mann beugt sich zu seinem Sohn hinunter, um ihn auf die Arme zu nehmen. Mit mir auf Augenhöhe, schaut er mich mit einem undefinierbaren Gesichtsausdruck an. Ich meine, Tränen in seinen Augen zu erkennen.
„Wie soll ich Ihnen das jemals danken…“ stellt er eine rhetorische Frage in den Raum.
„Indem Sie die Worte des Méara kürzlich bei dem Abendessen beherzigen…“ antworte ich einfach.
Dann hat Curadh Riagáin seinen Sohn auf dem Arm und verlässt das Spaßbad.

*

Ich, Susi, lebe jetzt schon ein halbes Jahr in Suìmh Aille. Nach dem Badeunfall ist Curadh Riagáin abgereist, aber etwa vier Wochen später klopft er wieder bei Curadh Ciaraì an. Er fragt, ob die Hundeschule immer noch verwaist sei, und ob er sich noch einmal bewerben dürfe. Er habe in der Zwischenzeit Zeit genug gehabt, seine Methoden mit den in Suìmh Aille üblichen zu vergleichen und würde sie sich in Zukunft zu Eigen machen.
Wir hören uns nach weiteren Mic Lèinn um, die in der Siedlung lernen wollen. In der Petplayer-Szene in England finden wir zwei junge Männer, die die Haushalte der Curadhs Murchardh und Riagáin führen wollen. So kann sich Curadh Murchardhs Mac Léinn ausschließlich um die Arztpraxis kümmern und Finn kann lernen mit Doggies umzugehen, ohne dass sie außer Haus essen müssen.
Was ist nun ein Mac Léinn. Curadh Ciaraì hat mir das Wort mit ‚Schüler/ Student‘ übersetzt und erklärt, dass die jungen Männer neben ihrer Arbeit als Butler, bei der sie die Führung eines Haushaltes lernen, oder alternativ das Gewerk des ‚Herrn/ Meisters‘, auch den Umgang mit Doggies erleben. So können sie in einigen Jahren nach entsprechenden Prüfungen ebenfalls den Titel eines Curadhs tragen und eine Doggie aufnehmen. Entweder sie eröffnen eine weitere Werkstatt, der sie als Curadh vorstehen, oder sie bleiben in der Werkstatt ihres Curadh als Geselle -Turasóir- bis der Curadh ihnen die Führung übergibt.
Curadh Riagáin zieht nun mit Finn und einem Mac Léinn in das Gebäude, das einmal die Hundeschule beherbergen soll. Einige Tage später besucht der Curadh am späten Vormittag den Méara und fragt, ob er mich zu einem Spaziergang mitnehmen darf.