Dienstag, 20. Oktober 2020
Suìmh Aille -16
Ich heiße Susi und bin Petplayerin. Ich weiß nicht mehr genau, wann das war: Es mag ein Traum in der Nacht gewesen sein, in dem ich mich als Kind mitten im Wald gesehen habe. Am Vortag hat mich ein Bericht über den Yugoslawien-Krieg emotional aufgewühlt…
Ich habe geträumt, dass meine Eltern und andere aus unserem kleinen Heimatort in den Wald getrieben worden sind. Dort haben sie so lange Stangen auf uns gerichtet. Dann hat es in schneller Folge geknallt, so dass ich mich erschreckt an meine Mama gekuschelt habe. Mama ist so hingefallen, dass sie halb auf mir zu liegen kam. Geschockt habe ich keinen Ton mehr von mir gegeben. Dann sind die Männer davongegangen.
Als alles ruhig ist, versuche ich von Mama frei zu kommen. Danach versuche ich, sie zu wecken und beginne wieder zu weinen. Mama bleibt unbeweglich liegen.
Da sehe ich zwischen den Bäumen große Hunde, die zu mir herüberschauen. Ich krabbele auf sie zu, aber sie laufen weg. Schließlich bin ich da, wo ich sie zuletzt gesehen habe und schaue mich um. Weit entfernt sehe ich für einen Moment wieder so einen Hund. In diese Richtung orientiere ich mich nun.
Immer wieder taucht kurzfristig ein Hund auf, schaut in meine Richtung und verschwindet wieder. Ich krabbele immer weiter. Immer dorthin, wo ich den großen Hund zuletzt gesehen habe.
Schließlich ist da ein großes Loch vor mir im Boden. Ein Hund streckt den Kopf heraus, fletscht die Zähne und knurrt mich an. Erschreckt bleibe ich an Ort und Stelle liegen.
Bald kommt der Hund heraus und läuft weg. Kurz darauf verlassen zwei kleine Hunde das Loch, bleiben aber an Ort und Stelle und beginnen miteinander zu spielen. Kurze Zeit danach werde ich in ihr Spiel einbezogen und mache auch gerne mit.
Irgendwann kommt der große Hund zurück. Die kleinen Hunde springen an seinem Kopf hoch und fiepen. Nun würgt der große Hund Fleischbrocken hervor, über die sich die Kleinen hermachen. Als ich das sehe, knurrt mir der Magen und ich krabbele näher. Während die kleinen Hunde wieder an dem Großen hochspringen, mache ich mich über die beiden restlichen Fleischbrocken her.
Der große Hund ignoriert die Kleinen und läuft wieder weg. Als es Dunkel wird ziehen sich die kleinen Hunde in das Loch zurück. Mutig krabbele ich hinterher und kuschele mich drinnen an die Beiden an.
Das Mondlicht scheint herein, bis sich der Eingang verdunkelt. Es ist der große Hund, der sich hereindrückt. Drinnen würgt er noch einmal Fleischbrocken hervor, über die wir drei Kleinen uns nun gemeinsam hermachen.
In dem Moment werde ich wach. Ich bin schweißgebadet und kann in der restlichen Nacht nicht mehr schlafen. Auch während der Arbeitszeit im Büro bin ich ‚durch den Wind‘. Zuhause recherchiere ich im Internet über ‚Feral Childs‘. Der Yugoslawien-Krieg ist ja vor meiner Zeit gewesen. Es gab damals einige Fälle von ‚Wolfskindern‘, lese ich, aber ob alle Fälle bekannt geworden sind?
Vielleicht ist ein kleines Kind in der Wildnis gestorben, trotzdem es von Wölfen versorgt worden ist, und seine Seele lebt nun in mir weiter? Seelenwanderung und Wiedergeburt ist etwas, dass mich schon seit meiner Pubertät interessiert. Seit damals fühle ich etwas in mir, kann es aber nicht richtig fassen. War der Traum in der letzten Nacht etwa ein Hinweis?
Ich recherchiere nach Leuten, die ein Tier in sich spüren, und stoße auf eine Petplay-Community. Interessiert und neugierig melde ich mich dort an und schreibe in meinem Profil, dass ich mich als Wolf oder Hund fühle.
Wie auf vielen Plattformen, muss ich mich auch hier der vielen Männer erwehren, die meinen, jemanden für ONS gefunden zu haben. Systematisch lösche ich die Mails vor jeder Sitzung und lese mich durch das Forum und die Gruppen.
Mir fällt dabei eine Gruppe mit einem unaussprechlichen Namen auf. Der Administrator der Gruppe scheint dem Namen nach auch kein Deutscher zu sein. Die Gruppe heißt ‚Suìmh Aille‘ und bezieht sich auf einen Ort in Irland. Sie hat die wenigsten Mitglieder aller Gruppen auf der Seite. Meine Neugier zwingt mich dazu, mich anzumelden.
Dort werden Leute mit alten Handwerksberufen geworben für ein Leben in einem irischen Ort, oder junge Menschen, die dort ein altes Handwerk erlernen wollen, oder den Butlerberuf. Nebenbei wird für Vorstellungen in einem kleinen Theater mit angeschlossener Gastronomie und Herbergsbetrieb. In den Vorstellungen geht es zumeist um Dog-Dancing. Das ist aber nur ein Oberbegriff, der im Petplay tausenderlei Deutungen zulässt, heißt es.
Schließlich steht da noch etwas von einer Hundeschule. Elektrisiert bleibe ich hier hängen und lese mich ein. Endlich weiß ich, was ich zu tun habe! Mein nächster Urlaub auf ‚Balkonia‘ wird flachfallen! Ich lasse mich im Reisebüro über Irlandreisen beraten. Auch frage ich den Administrator der Gruppe ‚Suìmh Aille‘ wo ich genau hinfahren muss. Er nennt mir ein Herrenhaus im Südwesten, in der Grafschaft Kerry. Dieses Ziel gebe ich nun im Reisebüro an und buche sogleich einen Pauschalurlaub für erst einmal eine Woche zum ‚Schnuppern‘.

*

Zwei Monate später lande ich mit dem Flieger im Flughafen Dublin. Ich habe ein Ticket für den Zug. Am Zielbahnhof werde ich von einem Oldtimer abgeholt. Der Mann hat einen schwarzen Anzug an und trägt weiße Handschuhe. Er begrüßt mich so steif, wie man es von einem britischen Butler aus den einschlägigen TV-Serien her kennt. Ich lasse mich noch eine Dreiviertelstunde durch eine hügelige grasbewachsene, nicht enden wollende Landschaft kutschieren, dann fahren wir durch ein offenstehendes schmiedeeisernes Tor auf ein Landhaus zu. Der Mann hält an einem Nebengebäude mit großem Tor, durch das sicher früher Kutschen gefahren sein müssen.