Sonntag, 7. März 2021
Mars04-Das Gestüt (1)
Nervös kaue ich, Sunshine, auf meiner Gebissstange herum. Ein unruhiges Schnauben gebe ich von mir und tänzele von einem Huf auf den anderen.
Dumpf dringt die Stimme des Geschäftsführers von Carlsson Stables von der Bühne zu mir durch. Leider kann ich nicht jedes Wort verstehen, aber wenigstens habe ich eine Ahnung davon, was dort oben passiert. Man will heute einige Ponys versteigern und erklärt den Zuschauern den Ablauf.
Ich gehöre Carlsson Stables, seit ich vor einem halben Marsumlauf im Ministerium für Pets trainiert worden bin und dann an die Firma abgegeben wurde. Das Leben als Hengst hat mir bisher eigentlich ganz gut gefallen. Zu meinen Pflichten hat nur ein tägliches leichtes Training gehört, um in einer ansehnlichen Form zu bleiben. Daneben bin ich von meinem Betreuer regelmäßig als Zuchthengst eingesetzt worden. Zumeist habe ich eine ?falsche Stute? bespringen müssen und bin entsamt worden. Ab und zu habe ich auch eine lebende Stute bespringen dürfen. Daran kann man sich richtig gewöhnen!
Dagegen verläuft der heutige Tag völlig ungewohnt. Schon heute Morgen hat man mich aus meiner Box geholt und nach langer Fahrt, einschließlich Rohrbahn, in einen enorm großen Stall gebracht mit einer großen Zahl Boxen, die fast alle belegt sind. Die Menschen sprechen von einer großen Pferdemesse, die nur einmal pro Marsumlauf hier stattfindet.
Im Moment befinde ich mich aber nicht mehr im Stall, sondern direkt in der Messehalle, und zwar wenige Meter hinter der Bühne, die für Vorträge, Präsentationen und Veranstaltungen aller Art genutzt wird.
Wie viele Menschen werden sich wohl vor der Bühne aufhalten und den Worten des Geschäftsführers lauschen? Testweise ziehe ich an meinem Zaumzeug. Die Leine ist durch einen Ring in der Wand gezogen und verknotet worden. Da ich meine Hände nicht benutzen kann, muss ich mich wohl der Situation stellen.
Mein Betreuer taucht neben mir auf und löst die Führleine aus dem Wandring. Er zieht kurz daran, so dass ich ihn anschaue.
?Dein Auftritt kommt gleich,? meint er und lächelt mich aufmunternd an.
Ich nicke und schnaube leise.
Es dauert vielleicht noch eine Minute, da höre ich wie der Geschäftsführer lautstark meinen Namen ruft. Mein Betreuer führt mich nun um eine kleine Mauer herum auf die Bühne.
Von der Bühnenbeleuchtung geblendet, schließe ich für einen Moment die Augen. Als ich sie wieder öffne, fällt mein Blick auf das Publikum. Es müssen mehrere hundert Menschen sein, vor denen ich hier stehe. Ein verhaltener Applaus schallt mir entgegen.
?Hier haben wir ein schönes Beispiel für einen unserer jungen Zuchthengste!? spricht der Mann in das Mikrofon in seiner rechten Hand. Er dreht sich halb zu mir um und erklärt: ?Dieses Pony ist mit gerade einmal zehn Marsumläufen der jüngste Hengst in unserem Stall. Bitte beachten Sie den wunderbaren Körperbau, die breiten Schultern und die wachen Augen des Pets.?
Er macht eine kurze Pause, um dem Publikum die Gelegenheit zu bieten, das Pet zu betrachten. ?Wir von Carlsson Stables setzen auf Vielseitigkeit, gute Anlagen und die Leistungsfähigkeit von Nachwuchshengsten.?
Ich versuche, einigermaßen ruhig und gleichmäßig zu atmen. Irgendwie ist es mir sehr unangenehm, auf dieser Bühne präsentiert zu werden. Am liebsten wäre ich sofort wieder hinter die Bühne verschwunden, doch schon der Versuch hätte bestimmt unschöne Konsequenzen.
Also versuche ich mich ein wenig abzulenken, indem ich meinen Blick langsam über das Publikum schweifen lasse. In den ersten Reihen fällt mir eine junge Frau in meinem Alter auf, die einerseits meinen Körper intensiv zu mustern scheint, andererseits den Eindruck erweckt, dem Redner förmlich an den Lippen zu hängen.
Unwillkürlich kommt mir der Gedanke, dass die Frau möglichweise selbst zu einer Stute werden möchte. Soweit ich das erkennen kann, würde sie bestimmt ein sehr hübsches Pet abgeben. Ich spüre, wie mir die Hitze ins Gesicht steigt. Mit rauschenden Ohren stehe ich auf der Bühne. Am liebsten wäre ich im Boden versunken.

*

?Glaubst du wirklich, dass du hier einen Hengst findest?? fragt Tina Willows zweifelnd ihren Mann.
Ohne seine Aufmerksamkeit von der Bühne abzuwenden, zuckt der Angesprochene mit den Schultern.
?Mal schauen,? meint Matt Willows.
Sie betreiben beide seit kurzem ein Gestüt in einem Lavatunnel des Arsia Mons, nahe der Stadt Arsia. Eine ganze Woche dauert die Pferdemesse in der Hauptstadt Olympia. Solange sie sich hier in einer Herberge eingemietet haben, bewirtschaftet ihre Tochter Andrea den kleinen Hof mit bisher zwei Ponys alleine mit Hilfe einer Mitarbeiterin.
Tina verzieht das Gesicht. Sie richtet ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Bühne. Vorhin sind dort zwei Stuten zur Versteigerung gekommen.
Ihre Unterhaltung wird unterbrochen, als ein Mann die Bühne betritt. Es gibt einen kurzen Applaus, ehe er in sein Mikrofon spricht. Er stellt sein Unternehmen vor, die Carlsson Stables. Dann stellt er einen jungen Hengst vor. Erneut applaudiert das Publikum. Anschließend erklärt auch er noch einmal das Prozedere der Versteigerung und weist darauf hin, dass jedes Gebot bindend ist.
?Genug geredet, ich möchte Sie ja nicht langweilen,? meint der Mann auf der Bühne. Er tritt ein paar Schritte zur Seite und positioniert sich in der Nähe eines kleinen Pultes. ?Bühne frei für Sunshine!?
Ein Mann in Matts Alter betritt die Bühne und führt einen hochgewachsenen Hengst an einer kurz gehaltenen Führleine hinter sich her. Das Pet hat ein breites Kreuz und einen muskulösen Körper.
?Dieser Hengst ist gerade einmal zehn Marsumläufe alt. Er misst 133 marsianische Zentimeter - natürlich ohne die Hufe gemessen. Der Körper dieses wunderschönen Pets ist von Natur aus hervorragend für sportliche Leistungen geeignet. Bisher ist er zur Zucht verwendet worden."