Dienstag, 16. März 2021
Mars05-Die Hochzeit (1)
Im Fernsehen wird von der Wiederöffnung des Gründungsmuseums berichtet. Damit jeder Bewohner des Mars die Möglichkeit bekommt, sich das frisch renovierte Museum mit seinen Artefakten anzuschauen, übernimmt der Präsident die Kosten. Eine Woche ist der Besuch nun also kostenlos. Ich, Tim Armstrong, bin interessiert.
Eine Woche muss ich warten, dann lasse ich mich von einer Rikscha in Begleitung meiner Hündin ALBA dorthin fahren. Nach einer knappen Stunde durch das Gewusel der Hauptstadt erreichen wir den Block, der das Gründungsmuseum beherbergt. Auch hier halten die Rikschas unter einem Eck-Überhang des Gebäudeblocks. Riesige Lettern an der Fassade machen die Vorbeifahrenden aufmerksam.
Wir entsteigen der Rikscha und ich bezahle den Fahrer. Dann führe ich Alba an der Leine auf den Eingang zu. Beim Näherkommen fährt die Portaltüre nach rechts und links auf. Wir betreten das Foyer. Im Vorbeigehen am Ticketschalter werde ich freundlich begrüßt.
?Guten Tag, der Herr! Ich wünsche einen angenehmen Aufenthalt in unserem Haus. Kann ich Ihnen die Info empfehlen? Sie beinhaltet auch einen Plan zur Orientierung.?
?Ja, gern!? antworte ich der jungen Frau im silbergrauen Dress.
Sie reicht mir freundlich lächelnd die Faltkarte. Ich nehme sie und klappe sie auf.
Zuerst gehen wir in den Innenhof. Dort ist das Basislager einer der ersten bemannten Marsmissionen nachgestellt. Aus dem Schulunterricht weiß ich noch, dass 2032 die erste bemannte Landung auf dem Mars gelungen ist. Während der wissenschaftlichen Arbeit sind die Raumfahrer von einem Sandsturm überrascht worden und überstürzt gestartet. So also hat es damals an der Landestelle ausgesehen?
?Warst du in deinem früheren Leben schon einmal hier?? frage ich ALBA.
Sie schaut zu mir auf und schüttelt leicht den Kopf. Ihr durch das krause Haar streichelnd, meine ich:
?Dann sind die Exponate bestimmt auch für dich interessant.?
Sie antwortet mir mit einem kurzen ?Bow?, und wirft dabei den Kopf in den Nacken.
Wir folgen der Serie von Dreiecken ins Gebäude zurück und sehen weitere relevante Marslandungen irdischer Raumfahrer in verkleinertem Maßstab. Sie sind hinter raumhohen Scheiben aus Sicherheitsglas in raumgroßen ?Kojen? aufgebaut.
Da das Unternehmen ?Mars Resource Corporation? diese Flüge finanziert hat, wurde bald nach gewinnträchtigen Bodenschätzen gesucht und entdeckt. In einer riesigen Anstrengung hat man speziell entwickelte Abraummaschinen für Tagebaue auf den Mars geschafft. Man hat Arbeiter angeworben und Lavaröhren an den Hängen erloschener Schildvulkane gesucht, um dort drin Wohnungen für die Arbeiter zu bauen.
Da es ein US-amerikanisches Unternehmen ist, sind die ersten Arbeiter fast nur US-Amerikaner gewesen. Eine ganze Infrastruktur wurde so auf den Mars geschafft. Unter den hellhäutigen Amerikanern hat es vermehrt Fälle von Krebs gegeben, bedingt durch die harte Sonnenstrahlung, die ungehindert die Marsoberfläche bombardiert. Die dunkelhäutigen Amerikaner sind hier klar im Vorteil gewesen. Also hat man bald im Äquatorgürtel rund um den Erdball dunkelhäutige Menschen gesucht, um den amerikanischen Wissenschaftlern und Ingenieuren zuzuarbeiten und die Infrastruktur der Wohnstätten aufrecht zu erhalten.
Scouts aus den Reihen der südafrikanischen Khoisan und der australischen Aboriginals bereisen die Oberfläche, die etwa die Größe Eurasiens hat, auf der Suche nach weiteren Lagerstätten von wertvollen Mineralien.
Bis etwa um das Jahr 2100 haben sich die Leute in verschiedenen Berufsverbänden organisiert, die sich um die bei ihnen organisierten Beschäftigten gekümmert und deren Interessen gegenüber der Corporation vertreten haben. All dies wird wunderbar in den verschiedenen ?Kojen? dargestellt.
Neben den Berufsverbänden wurden später auch Vereine gegründet, um die Freizeit der Menschen zu organisieren. Muss die Arbeit rund um die Uhr aufrechterhalten werden, weil Unterbrechungen teurer werden würden, hat man das in vier Sechsstundenschichten organisiert. Doch bei den Handwerkern und Verkäufern hat es sich herausgebildet, dass sie den Betrieb an zweimal je sechs Stunden offen haben. Genauso hat man auch die Öffnungszeit des Museums eingerichtet.
Ich persönlich habe als Büromensch auch nach sechs Arbeitsstunden frei. Ich übergebe dann an meinen Kollegen der Spätschicht und die Nacht über sind die Büros geschlossen, wie auch sämtliche Freizeitangebote.
Bald haben sich die Berufsverbände zusammengeschlossen, um in verbandsübergreifenden Tagungen allgemeingültige Beschlüsse für ihre Mitglieder zu fassen. Das wiederum hat die Vereine veranlasst, sich zu Verbänden zusammenzuschließen, um ihren Mitgliedern ebenfalls eine Stimme auf den Tagungen zu geben.
Mit der Zeit hat man auf diesen Tagungen ein für alle Marsianer gültiges Regelwerk geschaffen. Auf den Tagungen hat man Räte auf Zeit gewählt, die über dieses Regelwerk wachen und Urteile aussprechen können. Dieser ersten Verfassung ist eine ganze ?Koje? gewidmet.
Mitte des 22. Jahrhunderts hat man die Tagungen in der Hauptstadt Olympia in einer Lavaröhre des Olympus Mons permanent als Ständeparlament eingerichtet. Man hat sich einen Parlamentsprecher gegeben, und eine Regierung aus Ressort-Ministern und einem Premierminister auf Zeit gewählt. Der Premierminister muss sich wiederum gegenüber der Mars Resource Corporation verantworten.
Im Jahr 2184 ist es dann zu einem marsweiten Generalstreik gekommen. Im Ergebnis dieses Volksaufstandes hat sich die irdische Firma aus der direkten Einflussnahme zurückgezogen und ihr Verhältnis über Verträge mit dem Parlament geregelt.
Ein weiterer Erfolg des Volkaufstandes ist es gewesen, dass ein Petitionsamt eingerichtet worden ist. Hierhin können alle Einwohner des Mars Eingaben stellen, denen dann nachgegangen wird. An der Spitze des Petitionsamtes hat man einen Mann gestellt, der vom Volk direkt gewählt wird, ganz im Gegensatz zu den Parlamentariern. Dieser Mann hat den Titel des Präsidenten des Mars erhalten. Er kann die Petitionen bündeln und daraus Volksbegehren schneidern, die er den Marsianern zur Abstimmung vorlegt. Mit den Ergebnissen dieser Volksbegehren kann er Politik machen, indem er sie dem Parlament zur Abstimmung vorlegt. Das Parlament kann nun den Inhalt der Volksbegehren leicht abändern, aber seine Substanz nicht verändern.
Anfang des 23. Jahrhunderts hat der Mars nun die Verträge mit der Mars Resource Corporation insoweit gekündigt, dass die Resourcen des Mars als Eigentum der Marsianer angesehen werden und die Corporation für den Abbau zahlen muss. Der Mars hat sich abgeschottet.