Montag, 13. Juli 2020
Luna -20-
Meine Aufmerksamkeit gilt nun mehr der Umgebung, als den Wolken. Wir haben den Randkanal verlassen und sind wohl schon in einem der Seen des Naturschutzgebietes angekommen. Von Zeit zu Zeit fahren wir an roten und grünen Bojen vorbei. Das eigentliche Ufer des Sees ist nur selten zu sehen. Zumeist wird es von dichtem Schilf verdeckt. Oder eine Weide lässt ihre langen biegsamen Zweige ins Wasser hängen.
Bisher sind wir zwischen den roten und grünen Bojen hindurch gefahren. Auf einmal sehe ich beide an einer Seite der Escargot und dann erschreckt mich ein Rasseln vorne am Boot. Ich schaue vorsichtig über die Bordwand und sehe, wie eine Kette aus einem ‚Bullauge‘ herauskommt. Dann ändert sich das Summen des Motors und die Kette spannt sich. Gleich darauf höre ich hinten bei Maik das gleiche Rasseln.
Ich schaue über das Kabinendach zurück und frage Maik:
„Was machst du?“
„Ich habe hier außerhalb der Fahrrinne geankert. Ich wollte dich etwas beschäftigen und dann etwas zu Mittag machen,“ antwortet er mir.
„Oh, ist schon so viel Zeit vergangen?“ frage ich und krabbele zu der Luke, um in den Salon zu kommen.
Maik steigt auch schon den Niedergang zur Kombüse herunter und kommt mir entgegen.
„Als Hündin, die im Haushalt ihres Besitzers lebt, solltest du ein paar Kommandos kennen,“ meint er augenzwinkernd. „Wir haben sie ja schon geübt, aber Wiederholungen schaden nie!“
In der nächsten halben Stunde führt er mich durch das ganze Repertoire von Hunde-Kommandos. Schließlich meint er:
„So, jetzt mache ich uns etwas zu essen.“
Er geht zurück in die Kombüse und schüttelt Backofen-Frites aus der Tüte auf ein Backblech. Dann mischt er aus Tomatenketchup mit kleingeschnittenem Paprika und Zwiebeln eine Soße und wärmt die letzten zwei Frikadellen auf, die ich gestern geknetet habe. Dazu schneidet er grünen Salat in Streifen, fügt die restliche Paprika hinzu und gibt Joghurt-Salatsoße darüber. Das Ganze vermengt er mit dem Salatbesteck in der Schüssel.
Als alles fertig ist, füllt er zwei Teller. Das Essen auf einem Teller schneidet er klein und stellt den Teller vor mich auf den Boden der Kabine, dann beginnt er zu essen. Nur ab und zu erhasche ich einen Blick von ihm, wenn ich einmal zu ihm hochschaue.
Da es für mich ungewohnt ist, mein Essen wie Beauty mit dem Mund aufzunehmen, ist Maik schon vor mir mit seiner Portion fertig. Er wartet geduldig bis auch ich gegessen habe. Nun beugt er sich zu mir herunter und reinigt mir mit einem Küchentuch den Mund. Trotzdem bleibt bei mir das Gefühl, einen schmutzigen Mund zu haben. Entsprechend enttäuscht schaue ich ihn an.
Er räumt Geschirr und Besteck in die Spüle und feuchtet den Zipfel des Spül-Handtuches an, das da hängt. Damit reinigt er mir den Mund noch einmal und trocknet mich mit einem trockenen Zipfel des Tuches ab. Jetzt ziehe ich mich zufrieden auf die Liegefläche im Salon zurück und beobachte sein weiteres Tun in der Kombüse. Er spült und stellt Geschirr und Besteck in die Schränke zurück, wo sie gegen Herausfallen gesichert sind.
Dann nimmt er eine Karte aus dem Regal, breitet sie auf dem Tisch aus und sagt:
„LUNA, ZU MIR!“
Ich steige, neugierig geworden, von der Liegefläche und nähere mich ihm.
„AUF!“ sagt er jetzt und zeigt auf die ihm gegenüberliegende Bank.
Also steige ich mit den Händen und gestreckten Armen auf die Sitzbank und schaue ihn an. Habe ich das Kommando jetzt richtig interpretiert?
Maik lächelt und deutet auf die Karte.
„Das Naturschutzgebiet hat einen hohen Freizeitwert für die Bevölkerung. Natürlich müssen viele Bestimmungen eingehalten werden, aber ein unberührtes Naturschutzgebiet sähe anders aus. Vielleicht hast du ja schon davon gehört…
Neben dem ‚Haus am See‘ gibt es noch zwei Camping- und Caravanplätze. An einem davon fahren wir gleich vorbei. Dann biegen wir in einen Nebenarm ein, wo ich deine Hilfe brauche. Dort bleiben wir über Nacht. Morgen fahren wir bis zum ‚Haus am See‘, essen da und machen uns dann langsam auf den Rückweg.“
Während er das sagt, zeigt er mir auf der Karte, was er anspricht, und schaut mich dann offen an.
„Okay,“ antworte ich und frage: „Wie kann ich dir helfen?“
„Wenn wir gleich losfahren bist du wieder Andrea und sitzt neben mir. Wir radeln ohne Motor am Campingplatz vorbei. Damit erregen wir bestimmt Aufmerksamkeit - und niemand kann sagen, er hätte eine Motoryacht gesehen. So fahren wir dann auch in den Seitenarm hinein. Dort gehe ich aber mit einer Stange nach vorne und lote die Wassertiefe aus. Du radelst dann alleine und steuerst, wie ich es dir sage.“
„Okay,“ wiederhole ich mich und nicke ihm zu.
Dann hilft er mir den Niedergang zum Achterdeck hoch und kommt nach. Oben drück er einen Knopf und es beginnt wieder zu vibrieren und zu rasseln. Maik schaut hinten über die Bordwand, also schaue auch ich neugierig nach draußen.
Die Kette kommt langsam wieder hoch und bald erkenne ich den Anker im Wasser. Maik dreht sich schnell um und stoppt die Winde, dann dreht er mit einem langen Haken die ‚Ankerflunken‘ herum und sagt zu mir:
„Schaltest du bitte wieder ein?“
Ich drehe mich um und drücke auf den Knopf. Wenige Sekunden später erstirbt das Geräusch der Winde mit einem letzten „KLACK“. Maik schaltet die Winde aus. Jetzt hangelt er sich auf dem Gangbord nach vorne und gibt mir von dort Anweisungen:
„Stell den Fahrthebel auf ‚Neutral‘ und schalte die Elektromotoren ein.“
Dann:
„Jetzt den Fahrthebel ein Tick nach vorn. Halte das Steuer fest und drück den Knopf für die Ankerwinde vorn.“



Luna -19-
„Guten Morgen, Luna,“ begrüßt er mich. „Hast du gut geschlafen?“
„An deiner Seite – immer!“ bestätige ich ihm und gebe ihm einen Kuss.
„Wenn du willst, kannst du weiterhin in deiner Rolle bleiben. Dann bist du halt der Bordhund LUNA,“ antwortet er lächelnd.
Das macht mich neugierig. Nicht bloß ein paar Minuten in eine andere Welt eintauchen, sondern eine ganze Zeitlang…
„Geh ruhig schonmal ins Bad und mach dich frisch!“ meint er.
Ich rutsche also von der Liegefläche und gehe in die Nasszelle, mich überall festhaltend. Als ich wenige Minuten später herauskomme, hat er das Bettzeug zusammengelegt.
„Lass die Liegefläche so,“ bitte ich ihn. „Dann komme ich einfacher auf das Sonnendeck.“
„Gern,“ antwortet Maik. „Aber das Bettzeug verstaue ich.“
Er hebt eine der Rückenlehnen an und versenkt das Bettzeug in den Bettkasten darunter.
„Da fällt mir ein: Den Inhalt unserer Reisetaschen könnte ich in den Regalen hier stapeln,“ meint er dann, hebt die Rückenlehne auf der anderen Seite an, holt unsere beiden Reisetaschen hoch und legt den Inhalt sauber nebeneinander in die Regale, die sonst von den Rückenlehnen verdeckt worden wären. Die leeren Taschen legt er wieder zurück und schließt den Bettkasten.
„Dann solltest du aber auch auf allen Vieren bleiben,“ sagt er nun.
Ich nicke und beuge mich hinunter. Maik drückt sich an mir vorbei und geht nach hinten in den Aufenthaltsraum. Er nennt sie ‚Kombüse‘, während er zum Schlafraum ‚Salon‘ sagt. Jetzt beginnt er das Frühstück zu bereiten. Ich nähere mich ihm langsam auf allen Vieren, bleibe aber aus Mangel an Fußraum im Durchgang neben der Nasszelle.
Als der Kaffee fertig ist setzt er sich an den Tisch, auf dem inzwischen alles steht. Er schmiert sich ein Brot mit Quark und Marmelade und beginnt, es in kleine Stücke zu schneiden. Neugierig nähere ich mich ihm und schaue aus dem Gang zwischen der Küchenzeile und der Sitzgruppe zu ihm auf.
„Du möchtest natürlich auch frühstücken,“ sagt er lächelnd.
Er greift sich eins der kleingeschnittenen Stücke Brot und hält es mir hin. Ich schürze die Lippen und nehme es ihm damit aus den Fingern. Während ich kaue, nimmt er eine kleine Thermosflasche vom Tisch, zieht den Verschluss zurück und hält sie mir hin. Ich nehme einen Schluck und schmecke, dass es Kakao ist, mein Lieblingsgetränk. Er hat also speziell für mich etwas zubereitet.
Ich reibe meine Wange an seinem Oberschenkel und schaue noch einmal zu ihm hoch. Er greift auf sein Brettchen und hält mir ein weiteres Stück Brot hin. Auf diese Weise sind wir bestimmt eine halbe Stunde beschäftigt. Dann räumt er alles auf und spült kurz das gebrauchte Geschirr.
„Wir sollten uns langsam auf den Weg machen,“ meint er und geht auf das Achterdeck.
„Als LUNA kann ich aber kaum auf den Sitz neben dir,“ spreche ich ihn an, als er gerade zum Losmachen an Land gehen will.
Ich habe mich an den Niedergang gekniet und stütze mich an der Unterkante der Luke mit den Händen ab.
„Das kommt auf dich drauf an, wie tief du in deine Rolle hinein willst,“ meint er. „Die Mädels in dem Manga laufen ja auch zweibeinig herum und tragen Kleidung, sind also für Beobachter von außen kaum als Hündinnen zu identifizieren.“
„Bis auf die Ohren und Schwänze,“ gebe ich zu bedenken.
„Das könntest du tragen. Menschen, die uns begegnen würden das für irgendeine Mode halten oder ein Kostüm. Das Boot ist schnell vorbei und wir damit aus ihrem Gedächtnis verschwunden.“
„Wenn ich auf allen Vieren bleiben will?“ frage ich erwartungsvoll.
„Den Sitz ausbauen kann ich leider nicht,“ antwortet Maik. „Da sind ja auch die Pedale, das Zahnrad und die Kette. Du könntest dich verletzen, wenn das Boot eine unverhoffte Bewegung macht, durch die Wellen, die ein vergleichbares Boot verursacht.
Du kannst aber über die Liegefläche nach vorne auf das Sonnendeck und dich dort faul von der Sonne bescheinen lassen…“
Ich lächele erwartungsvoll und frage: „Machst du den öfter Pause als gestern und kümmerst dich mehr um deine LUNA?“
Er lächelt zurück, hockt sich hin und gibt mir einen Kuss.
„Versprochen!“ sagt er.
Er löst das Tau hinten und schwingt es aus dem Poller heraus. Dann startet er den Elektromotor und stellt den Fahrthebel auf langsam voraus, so dass das Tau vorne nicht mehr so straff gespannt ist. Danach dreht er das Steuerrad in Richtung Kaimauer. Jetzt gleicht der Elektromotor gerade die Strömung im Kanal aus und das umlaufende Gummi, der ‚Abweiser‘, wird gegen den Beton der Kaimauer gedrückt.
Maik springt von Bord und läuft die wenigen Meter nach vorne, um das Tau auszuhängen. Mit dem ‚Auge‘ des Taus in der Hand kommt er zurückgelaufen und springt an Bord. Dadurch kommt das Boot wohl wenige Millimeter von der Kaimauer frei. Es ruckt. Aber das Steuer drückt das Boot wieder an die Kaimauer zurück. Maik hängt das Tau ein und dreht das Steuerrad in Richtung Kanal. Wir kommen von der Mauer frei und Kai drückt den Fahrthebel weiter nach vorn. Nach wenigen Minuten sind wir in der Kanalmitte und folgen seinem Verlauf in der Landschaft.
Bis jetzt war ja noch Action. Nun sitzt Maik auf seinem Platz und bewegt nur ab und zu das Steuerrad ein wenig. Gelangweilt verlasse ich meinen Platz am Niedergang der Kombüse und ziehe mich weiter in die Kabine zurück.
Langsam steige ich auf die gepolsterte Liegefläche im Salon und beobachte die vorbeiziehende Landschaft durch die Fenster. Währenddessen habe ich mich hingelegt und bin wohl eingenickt. Als ich wieder wach werde zeigt die Uhr, dass eine Stunde vergangen ist.
Ich krabbele nach vorne und öffne die Luke zum Sonnendeck. Dann krabbele ich hinaus und knie mich kurz hin, um Maik zuzuwinken.
„Klettere nicht auf das Kabinendach,“ ermahnt er mich. „Und balanciere auch nicht über das ‚Gangbord‘ nach hinten. Gehe lieber immer durch die Kabine von vorn nach hinten und umgekehrt.“
Ich nicke ihm zu und lege mich in die Sonne. Das Tau vorne liegt ja nun nicht ‚aufgeschossen‘ hier auf dem Sonnendeck, sondern hängt an der Seite des Bootes. Ich relaxe auf dem Rücken liegend und beobachte die Wolken über mir.
Plötzlich klatscht irgendetwas in das Wasser neben mir außerhalb der Bordwand. Verwirrt hebe ich den Kopf. Ich kann aber nur kreisförmige Wellen erkennen, wo etwas ins Wasser gefallen sein muss. Da kommt ein Etwas hoch, das sich als Vogel entpuppt mit blauem Gefieder. Mühsam kommt er vom Wasser frei und steigt hoch in die Luft. Er strebt auf einen Baum zu, wo er sich im Geäst niederlässt. Nun kann ich ihn leider nicht mehr sehen.