Freitag, 24. Juli 2020
Nicci (3)
Leider ist er zurzeit nicht online, also schicke ich ihm eine Nachricht auf sein Postfach:
Hallo Petowner,
gerne unterhalte ich mich unverbindlich mit dir, wenn wir mal gleichzeitig online sind. Ich habe noch viele Fragen zum Petplay!
Liebe Grüße zurück,
Beauty
Ich lese noch ein wenig in der Community, dann schalte ich ab, denn dieser PETOWNER ist in der Zeit nicht on gekommen. Ob wir uns jemals auf der Seite treffen?
Am nächsten Tag bekomme ich eine Email auf mein Handy. Ich schaue nach und sehe, dass sie vom ‚Administrator‘ der Community kommt. Es ist eine kurze Benachrichtigung, dass sich eine Mail dort in meinem Postfach befindet.
Ich mache erst noch meine übliche Joggingrunde, dann setze ich mich an meinen Laptop und logge mich in die Community ein. In meinem Postfach bleibt, nachdem ich die Spammails gelöscht habe, eine liegen:
Hallo Beauty,
*lächel* du kannst mich gerne löchern. Ich bin offen für alle Fragen deinerseits und beantworte sie nach bestem Wissen und ehrlich! Das Wichtigste ist jedoch - finde ich -, dass wir uns irgendwie treffen, damit wir uns unterhalten können. Nicht real! Dafür ist es noch zu früh! Aber wenn wir uns hier so oft verpassen, wäre ein Messenger überlegenswert. Damit du mir deine Handynummer nicht nennen musst, versuche mich doch über meine Email-Adresse auf Hangouts zu erreichen.
Liebe Grüße
Petowner
‚Hm, Hangouts?‘ geht mir durch den Kopf.
Whats app habe ich auf meinem Handy. Dafür müssen wir tatsächlich unsere Handynummern austauschen. Da hat er recht! Das ist mir auch noch zu früh. Ich gehe auf sein Profil und schreibe mir seine Email-Adresse ab.
Nachdem ich den Laptop auf die Seite gelegt habe, rufe ich Google auf meinem Handy auf und suche nach ‚Hangouts‘. Kurz darauf kann ich mir den Messenger auf mein Handy laden. Und eine Viertelstunde später sende ich in Hangouts ein „Hallo, Beauty hier“ an seine Email-Adresse.
Es dauert einige Stunden, ich will gerade ins Bett gehen, als mein Handy piept. Ich öffne Hangouts und kann lesen:
Hallo Beauty, entschuldige, dass es so spät geworden ist heute. Magst du mir sagen, wann du morgen Zeit zum Chatten hast?
Ich antworte ihm:
Von 18 bis 21 Uhr bin ich eigentlich täglich erreichbar
Kurz darauf lese ich:
Okay, dann schreib ich dich morgen um 18 Uhr an, wenn ich darf? Hab eine entspannende Nachtruhe und schöne Träume
Ich lächele und schreibe zurück:
Schlaf du auch gut! Bis morgen
Am nächsten Tag kann ich mich im Büro kaum konzentrieren. Der Tag zieht sich wie Kaugummi in die Länge. Endlich ist es 16Uhr und ich kann nach Hause fahren. Beim Joggen kann ich mich auch nicht recht konzentrieren und breche meine Runde vorzeitig ab. In der restlichen Dreiviertelstunde beschäftige ich mich mit Belanglosem. Endlich piept mein Handy.
Hallo Beauty, alles okay bei dir?
Ich lächele. Mir ist, als fällt ein Gewicht von mir ab.
Aber klar. Und bei dir?
;) Bei mir auch! Welche Fragen brennen dir denn auf der Seele?
Oh, da gibt es einige. Du musst wissen, dass ich neu in dem Metier bin. Zuerst muss ich dich loben: Du kehrst mir gegenüber nicht den DOM heraus, wie das so viele Kerle in ihren Mails in der Community tun.
Hm, die brauchen das anscheinend… Ich bin der Meinung, ein Herr muss erstens dominant sein und nicht dominant tun. Also er kann SEINER Sub sagen, was sie tun soll, so sie das mag – aber nicht einer noch Unbekannten gegenüber, die man erst kennenlernen will! Zweitens bedeutet in meinen Augen Dominanz nicht ‚herumkommandieren‘, sondern sich um das Wohl der Sub kümmern, sich um sie sorgen, sie führen…
Führen? Was verstehst du darunter?
Nun, sicher nicht das, was die Anderen darunter verstehen, die dich gleich ‚herumkommandieren‘! Ich will die Sub erst einmal kennenlernen. Ich will wissen, wobei sie sich wohlfühlt. Ich bin neugierig auf ihre Ansichten – und dann führe ich sie mittels Vorschlägen genau dahin. Ich bestimme wohl den Weg…
Siehst du, da unterscheidest du dich von vielen Anderen. Und über deine Art und Weise Dominanz auszuüben, möchte ich gern mehr erfahren
Als wir uns an diesem Abend verabschieden und ich auf die Uhr schaue, bin ich erstaunt, dass wir schon 22 Uhr durch haben. Jetzt muss ich aber machen, dass ich ins Bett komme, um morgen früh pünktlich den Bus zur Arbeit zu erreichen.
An den nächsten Abenden erfahre ich, dass ihm das Dogplay am meisten liegt und dass er geschieden und solo ist – die ideale Jagdbeute für mich! Aber ich muss noch mehr wissen, bevor ich mich mit ihm vielleicht in Bahnhofsnähe in ein Cafe setze und sehe, ob Sympathie überspringt.
In der Community setze ich meine Meinung unter jeden seiner Beiträge, nachdem ich sie mir aufmerksam durchgelesen habe. Stolpere ich über eine Passage, frage ich speziell danach und fordere ihn auf, sie mir zu erklären. Ich stelle fest, dass er sich darüber freut, dass überhaupt jemand die Kommentarfunktion benutzt. Es entwickelt sich hier und da eine kleine Diskussion.
Später frage ich ihn auf Hangout:
Hi Petowner, grüß dich. Ich hoffe, du bist nicht sauer über meine Aktivitäten in der Community?
Er antwortet mir:
Ach was, Beauty. Ich freue mich, dass es zur Beschäftigung mit den von mir angesprochenen Themen kommt! Ich diskutiere gern mit den Leuten. Schafft man es dabei, mich von anderen Werten zu überzeugen, nehme ich auch gerne Abstand von meiner Meinung.
Nein, nein. Ich finde, dass du die richtigen Werte vertrittst! Da ich aber noch neu auf dem Gebiet bin, brauche ich schon hier und da eine vertiefende Erklärung. Ich freue mich, dass du sie mir mit unendlicher Geduld und einfachen Worten lieferst. Das halte ich nicht für selbstverständlich!
Du, ich halte mich nicht für das Maß aller Dinge! Ich muss meine Leser immer da abholen, wo sie stehen.
Weißt du, Petowner… Ach was, ich bin die Nicci
*Lächel* Ich heiße übrigens Peter
Wie wirst du eigentlich von deinen Doggies genannt, Herrchen… Herr?
*lach* Wenn die Doggie den Titel braucht, soll sie mich so nennen. Früher hatten die Männer in den Familien noch das Sagen. Das war selbstverständlich. Da rüttelte früher noch niemand dran. Trotzdem hat die Frau ihren Mann nicht Herr genannt – und trotzdem hat sie sich seinem Urteil gebeugt. Heute – wenn dir mein Urteil im Alltag wichtig ist, wenn du meine Sub wärst, dann tust du was ich sage – ohne mich Herr zu nennen. Wenn du meine Entscheidung für falsch hältst, musst du nicht blind folgen, sondern sagst mir deine Meinung. Schließlich wird sich ein Kompromiss finden! Ich breche mir keinen Zacken aus der Krone, wenn ich schließlich sage: Wir machen das so und so – und was wir machen ist weitgehend „auf deinen Mist gewachsen“!!



Nicci (2)
„Das wird ja nicht ewig andauern!“ sage ich und knuffe ihn in die Seite. „Im Moment fühle ich mich ganz gut so.“
„Wenn du in ein paar Wochen Abstand gewonnen hast und dich wieder nach Männern umschaust, wie sollte der denn beschaffen sein?“ fragt er weiter.
„Hm, so einen Waschlappen wie Mike muss es nicht wieder sein!“
„Er war ja mal ein Anderer! Solange er erfolgreich war, war er das Gegenteil von dem, wie er sich jetzt darstellt…“
„Richtig, seine Selbstverliebtheit fand ich anfangs amüsant. Aber dann begann er immer mehr, sein eigenes Ding durchzuziehen. Ich war nur gut für die Hausarbeit und fürs Bett. Ich habe aber auch noch meine Arbeit!“
„Ein Weichei, das dir im Haushalt hilft, wäre also jetzt dein Favorit?“
Ich bin Alex dankbar, dass er mich jetzt unter dem Eindruck der vergangenen Erlebnisse zum Grübeln bringt; dass ich mich über meine Zielperson in einer zukünftigen Suche langsam klar werde.
„Ein neuer Kontakt braucht erst einmal viel Geduld. Ein großes Maß an Empathie und Einfühlungsvermögen sollte ihn auszeichnen. Ich suche erst einmal einen Freund bei dem man sich anlehnen kann und keine Bettgeschichten!“
„Das ist deiner schlechten Erfahrung jetzt geschuldet. Das verstehe ich,“ meint Alex und legt seine Hand kurz auf meine. „Während du mit ihm befreundet bist und ihr einiges gemeinsam unternehmt, lernst du den Neuen näher kennen. Auf was achtest du dabei?“
„Auf keinen Fall wieder so ein Schönling!“ bricht es aus mir heraus. „Ein durchschnittlicher Mann mit Macken, der Intelligenz, Macht und Körperkraft beweist, gepaart mit Geduld und Empathie.“
„Hm.“ Alex schaut zweifelnd. „Du suchst einen Boxer? Oder den Anführer einer Gang?“
„Nein!“ Ich schaue ihn mit großen Augen an. „Ich will nicht eine von mehreren Stuten sein, die er am laufen hat! Ich will die einzige Frau sein, nach der er sich sehnt. Ich möchte weiche Knie bekommen in seiner Nähe. Er soll mir seine ganze Aufmerksamkeit schenken, mich beschützen, mir Geborgenheit vermitteln. Er soll mich glauben lassen, es sei das Wichtigste auf der Welt, ihm zu gefallen. Ich will ihm etwas bedeuten, nicht ignoriert oder vernachlässigt werden!“
Ich mache einen tiefen Atemzug und schaue Alex an, der ungläubig lächelt. Nach einer Weile rede ich weiter:
„Der richtige Mann schenkt mir eine Menge Aufmerksamkeit, vielleicht sogar mehr als mir manchmal lieb ist. Er ist neugierig auf meine Gedankengänge, er begehrt mich und zeigt, dass ich sein bin, indem er stets nach meinem Wohl trachtet.“
„Hm,“ macht Alex noch einmal. „Meinst du, so einen Mann lässt sich finden? Jedenfalls nicht in unserer Altersklasse! Vielleicht ein Gentleman alter Schule, der so etwas Patriarchalisches an sich hat, ohne gleich sooo alt zu sein!“
Er grinst bei seinen letzten Worten.
Ich zucke mit den Schultern und zwinkere ihm zu.
„Er muss ja nicht hundertpro in das Schema passen! ‚Ein durchschnittlicher Mann mit Macken,‘ sagte ich ja zu Beginn. Das andere sind Träumereien. Wenn der Mann davon das eine oder andere hat, fände ich das wunderbar…“
„Na, wir werden sehen,“ antwortet Alex.
Er bleibt noch eine Weile, dann verabschiedet er sich.

*

In den folgenden Wochen bleibe ich meinem Hobby ‚Joggen‘ treu, aber ich durchforste auch das Internet nach Seiten, auf denen ich meinem Traummann begegnen könnte. Über die Suchmaske, die ich bei der Einweihungsparty mit meinem Bruder Alex entworfen habe, komme ich schließlich an BDSM-Communities. Erschreckt lasse ich ein paar Tage die Finger davon. Dann überwiegt meine Neugier und ich beginne mich zu informieren.
Nach mehreren Wochen Recherche und dem Verfolgen von entsprechenden Chats imponieren mir die Aussagen einiger Leute aus dem Petplay-Bereich. Die Vorstellung, jemandes Pet zu sein, lässt mich ständig feucht werden, wenn sie vor meinem inneren Auge materialisiert. Besonders geil machen mich dabei die Aussagen, dass es zwei Arten von Zuneigung gibt, die sich gleichen, wie ein Zwilling dem Anderen: Die Zuneigung zwischen Eltern und Kind einerseits und die Zuneigung zwischen Mensch und Haustier andererseits. Diese Aussage auf das Petplay übertragen, macht mich richtig heiß.
‚Was für ein interessantes Konzept,‘ denke ich mir, und nehme mir vor, mehr darüber in Erfahrung zu bringen.
Dennoch, viele der Leute dort lehnen ihr Petplay an SM-Praktiken an. Das stößt mich ab! Ich will als Pet nicht aus Angst vor schmerzenden Strafen, den Kommando gehorchen, ich will keinen Zwang spüren, sondern ich möchte aus Vertrauen, dass der Herr auf mein Wohl achtet, auf seine Kommandos hören. Trotz allem muss ich also auch hier die Spreu vom Weizen trennen.
Schließlich melde ich mich in einer Community an. In mein Profil schreibe ich, dass ich erst einmal keinen Kontakt wünsche, sondern mich in Ruhe umzuschauen gedenke. Trotzdem bekomme ich infolge öfter eindeutig zweideutige Nachrichten in meinem Postfach. Manche sind auch so dreist, kein Blatt vor den Mund zu nehmen und sofort ihr Anliegen anzusprechen. Ich muss das wohl hinnehmen. Schließlich gibt es den Löschknopf!
Langsam lese ich mich durch die spärlichen Beiträge im Forum. Ich bemerke, dass Petplay nicht gleich Petplay ist. Die meisten Community-Mitglieder sind Ponyplayer. Dann folgen die Cat- oder Kittyplayer. Danach folgen die Dogplayer, Cowplayer, Pigplayer – in dieser Reihenfolge - und schließlich noch einige Exoten. Die Beiträge im Forumsbereich für Dogplayer interessieren mich besonders. Besonders diejenigen eines bestimmten Mitgliedes. Ich schaue mir sein Profil an und bin gleich positiv berührt.
Nur ein Problem sehe ich: Der Mann ist siebzehn Jahre älter als ich. Mir fällt Alex‘ Bemerkung dazu bei der kleinen Einweihungsparty ein. Ich zucke mit den Schultern und drücke auf den Kontaktknopf. Das System sendet dem Mann nun eine Freundschaftsanfrage. Dann schalte ich meinen Laptop aus und atme tief durch. Eine Freundschaftsanfrage ist erst einmal unverbindlich. Mal schauen, ob er hält, was sein Profil verspricht!
Ein paar Tage später logge ich mich wieder in die Community ein. Wie üblich muss ich erst wieder einige Spam-Mails in meinem Postfach löschen. Ich habe mir angewöhnt, immer als erstes den ‚großen Besen‘ auszufahren, bevor ich mich weiter durch die Beiträge der Nutzer lese.
Plötzlich stutze ich. Eine der Mails, die seit meinem letzten Besuch in der Community aufgelaufen sind, trägt als Absender den Mann, dem ich die Freundschaftsanfrage geschickt habe. Mein Finger zittert leicht, als ich den Cursor über den ‚Öffnen‘-Button bewege. Ich lese:
Hallo Beauty,
gern habe ich deiner Freundschaftsanfrage entsprochen. Ich muss gestehen, dass ich mir dein Profil neugierig durchgelesen habe. Gerne können wir uns über unser beider Ansichten über Petplay unterhalten! Natürlich nur, wenn du an einem unverbindlichen Chat interessiert bist…
Liebe Grüße
Petowner
‚Bei einem unverbindlichen Chat in der Community vergebe ich mir nichts. Ich kann jederzeit abschalten, wenn es mir zu dumm wird,‘ denke ich und schaue, ob der sogenannte PETOWNER gerade online ist.



Nicci (1)
Mein Freund geht mir im Moment gewaltig auf die Nerven. Gut, dass ich nach der Arbeit mit Joggen etwas abschalten kann. Vor zwei Jahren sind wir zusammengezogen. Was bin ich damals verliebt gewesen! Ich habe mir eine rosarote Zukunft an seiner Seite ausgemalt. Schon bald darauf sind die Seifenblasen geplatzt.
Er hat sich als Egozentriker herausgestellt. Zuerst habe ich noch darüber gelächelt, dass er fürs Styling morgens im Bad beinahe länger gebraucht hat als ich. Ich habe es durch die rosarote Brille betrachtet und bin so stolz auf ihn gewesen. Dass er im gemeinsamen Haushalt keinen Finger krumm gemacht hat, habe ich ihm nicht übelgenommen. Mein Vater ist genauso gewesen. Das muss daran liegen, dass es halt Männer sind, habe ich mir gedacht.
Dann liest man auf einmal in allen Zeitungen – und es kommt auf allen Programmen -, dass es bei Silvesterfeiern in einer westdeutschen Stadt zu Übergriffen auf Frauen gekommen ist. Ihn schien das nicht sonderlich zu berühren. Tage später komme ich von einer Feier bei meinem Bruder nach Hause – es ist schon dunkel -, als mir auf dem Weg zum Hauseingang des Wohnblocks, in dem wir wohnen, eine dunkle Gestalt begegnet. Mein Herz rutscht in die Hose. Ich beeile mich zum Eingang zu kommen und drücke den Sprechknopf unserer Wohnung.
„Ja?“ antwortet mein Freund.
Er ist nicht mit auf die Feier gekommen, weil ihm angeblich nicht gut gewesen ist. Stattdessen legt er sich etwas hin, hat er beim Abschied gesagt.
„Mike, kommst du bitte mal runter!“ rufe ich aufgeregt ins Mikrofon.
„Was ist denn?“ fragt er unwirsch zurück.
„Komm einfach mal runter!“ fordere ich ihn mit zitternder Stimme auf.
Es klackt und kurz darauf geht das Licht im Treppenhaus an. Das beruhigt mich etwas.
Weiter hinten beginnen die Lämpchen des Aufzugs zu wandern und kurz darauf öffnet er die Haustür.
„Was ist los?“ fragt er.
Als er mich anspricht, weht mir eine Alkoholfahne entgegen.
Ich schlüpfe durch den Türspalt nach drinnen und sage: „Draußen bin ich einer unheimlichen Person begegnet… Du hast getrunken?“
Das ist völlig unüblich! Er hat sich noch nie betrunken bisher. Das passt einfach nicht zu seiner Selbstverliebtheit.
„Ich habe Sport geschaut,“ meint er nur.
Wir fahren gemeinsam hoch in die Wohnung. Auf unserer Couch liegen einige Kissen so, dass er bequem auf der Seite liegen kann. Vor der Couch stehen ein paar Flaschen verschiedener alkoholischer Getränke. Wir haben ja nicht viel im Haus, aber verschiedene Sorten für verschiedene Gelegenheiten. Auf dem Boden liegen außerdem einige Papiere. Ich sammele sie auf. Es interessiert mich doch, um was es sich handelt. Darunter finde ich seine Kündigung. Als ich ihn darauf anspreche, dreht er sich auf der Couch um und spielt die Mimose. Plötzlich ist er nicht mehr der Mann, den ich vor fast fünf Jahren kennengelernt habe, so selbstsicher und souverän. Jetzt ist er nur noch ein Häufchen Elend.
Ich räume die Papiere erst einmal in eine Schublade und bringe die leeren Flaschen in die Küche. Dann setze ich mich auf eine Ecke der Couch und versuche, ihn mit Streicheln zu beruhigen. Er schüttelt aber meine Hand ab und ruft etwas heftig aus:
„Lass mich in Ruhe!“
Also ziehe ich die Hand zurück und gehe ins Schlafzimmer, da ich ja auch schon ziemlich müde bin. Am Morgen des nächsten Tages, einem Sonntag, wache ich auf und finde mich einsam in meinem Bett liegend. Ich stehe auf und schaue als erstes ins Wohnzimmer. Er liegt auf der Couch und schnarcht.
Das beruhigt mich soweit, dass ich mich im Bad für den Tag vorbereite und dann in der Küche das Frühstück zubereite. Dann gehe ich zu Mike und rüttele ihn an der Schulter.
„Guten Morgen, Schatz! Die Sonne scheint; das Frühstück ist fertig!“
Er lässt nur ein Brummen von sich hören, also frühstücke ich nun ohne ihn. Danach gehe ich nach draußen joggen. Eine halbe Stunde später bin ich wieder zurück und finde ihn auf der Couch sitzend, den Kopf in die Hände gestützt. Auch jetzt schickt er mich wieder fort, als ich mich ihm tröstend nähern will. Die Küche sieht ziemlich unordentlich aus. So habe ich sie vorhin nicht verlassen. Hat er vielleicht weiteren Alkohol gesucht?
„Hör mal,“ sage ich zu ihm, nachdem ich mich vor ihm aufgebaut habe. „Eine Kündigung ist kein Weltuntergang! Wir durchforsten jetzt gemeinsam das Internet nach Anzeigen, die zu dir passen!“
Er zuckt nur mit den Schultern. Sein Elan ist wie weggeblasen. Also nehme ich mir unseren Laptop und gehe damit zum Esstisch, da Mike die Couch belegt. Bald habe ich ein halbes Dutzend Anzeigen zusammen und schicke sie zum Drucker. Mit den Blättern gehe ich zum Couchtisch und lege sie ihm vor.
„Hier!“ spreche ich ihn an. „Schau, was ich für dich gefunden habe!“
Er wischt die Blätter mit einer unwirschen Handbewegung vom Tisch herunter.
„Hör mal!“ meine ich empört dazu. „Schau sie dir wenigstens an! Und morgen schreibst du deine erste Bewerbung!“
Wieder ist ein Brummen seine einzige Antwort. Ich beginne nun mit der Hausarbeit und dem Mittagessen. Er kommt diesmal tatsächlich an den Esstisch, stochert aber nur im Essen herum. Später verlässt er die Wohnung mit der Bemerkung, dass er zu einem Kumpel geht.
‚Nun gut,‘ denke ich. ‚Vielleicht schafft der ihn aufs Gleis zurück zu bringen.‘
Nach der Hausarbeit setze ich mich mit einem Orangensaft vor den Fernseher. Als ich schließlich ins Bett gehen will, wird es laut an der Wohnungstür. Ich öffne und finde drei Mann im Eingang stehend. Mike ist von zwei Kumpels nach Hause gebracht worden! Er hängt in den Armen der beiden Anderen, die auch getrunken haben müssen…
Ich dirigiere die Gruppe zur Couch und bedanke mich bei den Kumpels. Dann komplimentiere ich sie hinaus. Zurück im Wohnzimmer tönt mir schon regelmäßiges Schnarchen entgegen. Die Stirn besorgt in Falten gelegt, aber doch für den Moment resigniert, gehe ich nun ebenfalls schlafen. Am nächsten Tag muss ich schließlich früh zur Arbeit.

*

So geht das jetzt schon drei Wochen. Mein Freund ist kaum ansprechbar. Er liegt mir quasi nur noch auf der Tasche. Aber wir sind doch mal so glücklich gewesen. Ich liebe ihn noch. Um den Kopf frei zu bekommen, jogge ich nun täglich bis zu einer Stunde. Aber irgendwann muss ich ja nach Hause. Jemand muss sich schließlich um die Hausarbeit kümmern.
Ich frage Alex, meinen Bruder, was ich tun kann. Zunächst zeigt sich eine Zornesfalte auf seiner Stirn und er poltert los, dass ich erschreckt zurückweiche. Dann wird er ruhig, macht einen Schritt auf mich zu und nimmt mich in den Arm.
„Schmeiß den Kerl raus!“ sagt er. „Du hast es nicht nötig einen Schmarotzer mit durchzufüttern. Wenn er mit der Situation nicht klar kommt, muss er noch einiges lernen fürs Leben!“
„Wie soll ich das machen?“ frage ich leise. „Die Einrichtung haben wir gemeinsam gekauft. Das Meiste hat er bezahlt. Ich habe ihn ja inzwischen dazu gebracht, dass er zum Arbeitsamt gegangen ist, denn ohne sein Geld könnten wir die Wohnung nicht halten!“
„Dann mache es so: Suche dir eine kleine Appartementwohnung und richte sie dir heimelig ein. Dann nimm alles aus eurer Wohnung, was du brauchst und schreibe dem Vermieter eine Änderungskündigung. Darin bezeichnest du Mike als alleinigen Mieter ab dem nächsten Ersten und gibst sein Girokonto an. Bei der Bank kündigst du deinen Dauerauftrag ‚Miete‘, und dann wird alles gut! Um Möbel aus der Wohnung in dein neues Appartement zu bringen, komme ich mit ein paar Kumpels vorbei.“
Ich drücke ihn und bedanke mich mit einem Kuss auf die Wange. Mit neuem Lebensmut nehme ich all das in Angriff, was Alex vorgeschlagen hat. Wochen später mache ich eine kleine private Einweihungsfeier, bei der Alex zwischen zwei Bissen von der selbstgemachten Pizza fragt:
„Wie fühlst du dich jetzt?“
„Viel besser! Danke dir, Alex. Und sag auch deinen Kumpels meinen Dank!“
„Werd‘ ich gerne machen,“ antwortet er lächelnd. „Und wie ist das Single-Dasein?“