Samstag, 11. Juli 2020
Luna -16-
Das Boot fährt in das Tau und bewegt sich hinten, wo ich sitze von der Kaimauer weg. Er hat sich aber schon das Tau von vorne über die Schulter geworfen und balanciert an der Seite der Kabine zu mir zurück. Jetzt stellt er die Motoren auf langsame Rückwärtsfahrt und steuert wieder an die Kaimauer heran. Dann springt er wieder auf die Kaimauer und geht ein paar Meter zurück zum nächsten Poller, um das Tau dort einzuhängen, das er über die Schulter hängen hat. Mit dem anderen Tauende kommt er zurück, zieht das Tau stramm und macht es ebenfalls an Bord fest.
Dann schaltet er die Elektromotoren aus, schiebt einen Deckel über der Tür nach vorne und öffnet die Tür zur Kabine. Er hält sich rechts und links fest und dreht sich drei Stufen tiefer zu mir um.
„So, jetzt du,“ sagt er. „Aber dreh dich um und komm rückwärts runter. Halte dich rechts und links fest und schau auf die Stufen!“
Die Stufen sind senkrecht untereinander angeordnet wie Regalbretter. Ich stelle meine Füße vorsichtig hinein und bin nun doch froh, dass Maik dabei ist und auf mich achtet. Unten drehe ich mich um und sehe rechts neben dem ‚Niedergang‘ eine Miniküchenzeile und links zwei Bänke mit einem Tisch dazwischen. Hier können vier Personen eng sitzen.
Dann kommt eine Zwischenwand mit Durchgang. Maik setzt sich einen Moment auf den Tisch, so dass ich vorbeikomme. Hinter dem Durchgang sind zwei Couchen an den Wänden eingebaut. Dann kommt wieder so ein Niedergang, über den man wohl nach vorne auf das Sonnendeck kommt.
„Und wo ist die Toilette?“ frage ich Maik.
Er ist mir gefolgt. Jetzt weicht er wieder bis zum Aufenthaltsraum zurück und öffnet links eine Tür.
„Hier hast du die ‚Nasszelle‘,“ sagt er. „Eine Campingtoilette und eine Dusche, nicht sehr geräumig, gebe ich zu…“
„Ah, okay,“ antworte ich und schaue hinein. „Wo ist denn das Waschbecken?“
„Hinten,“ erklärt er mir. „Das ist Wasch- und Spülbecken in einem.“
„Oh,“ meine ich und lächele ihn an. „Sehr spartanisch…“
„Du wirst sehen, das reicht völlig für einen Trip von ein paar Tagen. Du wirst dich schnell daran gewöhnt haben. Platz ist eben Geld und eine Luxusyacht ist die Escargot nicht!“
„Die was?“ frage ich.
„Escargot ist Französisch und bedeutet ‚Schnecke‘. Schnell kommen wir nun wirklich nicht voran. Aber für uns gilt sowieso ‚der Weg ist das Ziel‘! Wir können unterwegs so viel erleben, wenn wir nicht schnell an allem vorbei rauschen, nur das Fahrtziel im Kopf…“
„Da hast du recht!“ bestätige ich ihn und gebe ihm einen Kuss.
Dabei lasse ich mich ihm in die Arme fallen. Er fängt mich souverän auf.
„Wie lässt es sich denn schlafen auf den schmalen Sitzflächen vorne?“ frage ich ihn und schaue zu ihm auf.
„Der Mittelgang wird zugemacht, indem die Sitzfläche einer Couch vorgezogen wird. Dabei klappt die Rückenlehne runter und gibt Fächer mit dem Bettzeug frei,“ erklärt er mir.
Ich bin auf heute Abend gespannt.
„Und was bietet die Küche zu Mittag?“ frage ich ihn.
„Magst du Crêpes oder auch Wraps?“
„Dünne Pfannkuchen?“
„Ja, die kann man mit allem möglichen füllen. Ich verteile Gehacktes auf einer Schale und erhitze es unter Rühren, Zwiebeln kommen hinzu. Dann nehme ich es aus dem Ofen und rühre Ketchup unter. Mais und Kidney-Bohnen kommen hinzu. Zum Schluss schneide ich eine Tomate in Würfel und vermenge sie damit. Dann bestreiche ich zwei Wraps mit Schmand, lege je zwei Salatblätter drauf. Darüber kommt das Fleisch-Gemüse-Gemisch und darüber je zwei Schmelzkäse-Scheiben. Dann rolle ich die Wraps auf und serviere sie auf zwei Teller.“
„Au ja, das mach mal,“ sage ich, zwinkere ihm zu und setze mich auf eine der Bänke im Aufenthaltsraum.
Inzwischen ist es kurz nach dreizehn Uhr. Da bin ich mal gespannt, ob das schmeckt, was er mir da erzählt hat. Er beginnt mit seiner Arbeit und dreht mir dabei den Rücken zu.
Plötzlich dreht er sich um und stellt mir eine Schüssel mit dem Rest Hackfleisch, einem offenen Karton Paniermehl und einem Karton Eier vor die Nase.
„Würdest du bitte Frikadellenmasse herstellen?“ fragt er mich.
„Gerne,“ lächele ich zurück. „Machst du die Frikadellen dazu?“
Er stellt noch ein Schälchen gehackte Zwiebeln dazu.
„Die brate ich jetzt auch. Dann haben wir das Wichtigste schonmal fertig, um Hamburger herzustellen, wenn du zwischendurch welche magst, oder zum Abendessen später.“
„Wunderbar,“ sage ich. Papa ist oft mit uns zu Hamburger-Restaurants gefahren, wenn wir zu Ausflügen in Freizeitparks unterwegs waren. Also bemühe ich mich, so etwas hin zu bekommen.
„Das wären meine ersten eigenen Frikadellen,“ warne ich Maik lächelnd vor.
Und wenige Minuten später brauche ich schon seine Hilfe:
„Maik…“
Ich hebe meine Hände aus einer ziemlich flüssigen Masse und schaue ihn hilfesuchend an. Er lächelt und meint:
„Nicht schlimm, Liebes. Nimm mehr Paniermehl, dann wird die Masse wieder knetbar.“
„Wenn ich den Karton jetzt anfasse…“
Er beugt sich zu mir herunter und gibt mir einen Kuss. Danach schüttet er etwas Paniermehl dazu und lässt mich weiter kneten. Das wiederholt er mehrfach, bis mir die Masse nicht mehr so an den Fingern klebt.
„Das werden jetzt Fleischbrötchen…“ meint er lächelnd dazu.
„Bist du mir böse?“ frage ich unsicher.
Er schüttelt den Kopf und leert den Tisch vor mir.
„Kannst du aufstehen, um deine Hände am Becken zu waschen?“ fragt er dann.
„Ich weiß nicht,“ sage ich. „Ich habe mich bisher immer im Sitzen gewaschen, vom Rolli aus. Ich müsste mich mit einer Hand festhalten.“



Luna -15-
„Hallo, Andrea. Ich wünsche euch ein paar wunderschöne Tage mit unserer Penichette!“
Er gibt mir die Hand und umarmt Maik.
„Pass‘ gut auf sie auf!“ ermahnt er ihm. Dann folgt er uns langsam.
Ich folge Maik, der längere Schritte macht, auf das Boot zu. Als ich es in der Nähe der Kaimauer allmählich überblicken kann, frage ich Maik:
„Wo ist denn vorne?“
Er dreht sich um und lächelt.
„Du meinst, hinten ist ein Boot flach – der sogenannte Heckspiegel – und vorne läuft das Boot spitz zu? Eine Penichette nicht. Hinten ist da, wo die zwei Sitze sind. Bei Regen lässt sich darüber ein Faltdach spannen. Die Kabine befindet sich im Mittelteil, wie du siehst und das Sonnendeck befindet sich vorne.“
„Ah,“ kommentiere ich seine Erklärung.
Ich steuere meinen Rolli also nach hinten, dorthin, wo ich zwei Sitze erkenne. Maik stellt sich mit einem Fuß auf das Boot und mit dem anderen auf die Kaimauer.
„Du kannst ruhig aufstehen,“ sagt er. „Ich helfe dir an Bord.“
Ich stehe also auf und mache einen Schritt auf ihn zu. Er hält mich fest. Dann fast er mit einer Hand unter meine Oberschenkel und trägt mich an Bord. Dort setzt er mich in einen der Schalensitze und geht noch einmal zurück. Sein Vater gibt ihm meine Reisetasche, die er in die Kabine trägt. Während sich sein Vater von uns verabschiedet, schiebt er meinen Rolli zusammen und schnallt in so zusammengeschoben vor den Sitzen auf dem Kabinendach fest.
Er stellt sich nun vor den anderen Sitz und öffnet ein Kästchen vor sich mit einem Schlüssel. Dann zieht er einen Hebel ganz zurück und wieder eine Winzigkeit nach vorn. Ich höre es einmal klicken. Jetzt drückt er einen Knopf unter dem Deckel des Kästchens und es ertönt ein leises Summen, verbunden mit leichtem Plätschern draußen im Wasser. Er dreht das Steuerrad vor sich von der Kaimauer weg. Das Tau mit dem das Boot hinten festgemacht ist wird locker.
Maik springt auf die Kaimauer, geht schnell zum Poller und löst dort das Tau. Er bringt es an Bord. Dann dreht er das Steuerrad wieder in Richtung Kaimauer und balanciert neben den Kabinenaufbauten nach vorne. Dort angekommen löst er das Tau von dem kleinen Poller an Bord und schwingt es aus dem Poller an Land. Er ‚schießt es auf‘ wie er mir später sagt, das heißt, er legt es in runden Schlingen sorgfältig auf das Deck vorne.
Jetzt treibt das Boot langsam von der Kaimauer weg. Er balanciert auf dem gleichen Weg zurück, sich an einer Stange, dem sogenannten ‚Handlauf‘, an der Kante der Kabinenaufbauten festhaltend. Jetzt gibt er dem Boot eine Richtung, die es wohl eine Weile in der Mitte des Kanals hält, und ‚schießt das Tau zwischen den Sitzen auf‘, mit dem das Boot hinten festgemacht war.
Dann erst setzt er sich in seinen Sitz links neben mir und schiebt den Fahrthebel einen Klick weiter vor. Das Boot wird davon nicht merklich schneller. Er öffnet eine Klappe neben sich und zieht zwei Dinger in signalrot daraus hervor.
„Das sind Schwimmkragen,“ erklärt er mir und hängt sich einen um den Hals.
Dann legt er sich einen Gurt um die Taille und klickt ihn vorne fest.
„Leg ihn dir genauso an!“ meint er. „Das ist nur zur Sicherheit.“
Ich hänge mir den Schwimmkragen auch um den Hals und befestige den Gurt.
„Der sitzt ziemlich locker,“ mache ich ihn aufmerksam.
Er zeigt mir so etwas wie eine Ratsche.
„Zieh ihn dir daran enger,“ schlägt Maik mir vor. „Aber nicht zu eng,“ setzt er lächelnd nach.
„Wie funktioniert das?“ will ich wissen.
„Wenn der Kragen mit Wasser in Berührung kommt, löst sich eine Kalktablette auf. Dadurch wird ein Schlagbolzen frei, der eine Gaspatrone öffnet. Das Gas strömt in den Kragen. Der bläht sich auf und hält deinen Kopf über Wasser. Dadurch ist der Kragen auch ohnmachtssicher,“ erklärt mir Maik.
„Was sind das hier für Pedale?“ will ich weiter wissen.
Vor den Schalensitzen befinden sich nämlich Pedale. Das Ganze sieht aus wie zwei bequeme Heimtrainer. Er lächelt und meint:
„Wenn das Lithium-Batteriepack vorne unter Deck leer sein sollte, können wir auf Pedalantrieb umschalten. Oder wir schalten die beiden E-Motoren aus und strampeln, wenn du magst?“
Ich schaue ihn mit großen Augen an.
„Hm,“ ist das Einzige, was mir dazu einfällt.
„Ich mag auch nicht gerne gegen die Strömung strampeln,“ antwortet er mir lächelnd. „Dann zieht die Landschaft zu langsam an uns vorbei – obwohl Papa da eine schöne Übersetzung eingebaut hat. Auf der Rückfahrt können wir das gerne machen – auch wenn ich alleine in die Pedale trete!“
„Okay,“ meine ich dazu. „Und wie sieht es in der Kabine aus?“
„Gleich hier befindet sich der Aufenthaltsraum,“ sagt er und zeigt auf die niedrige Tür vor meinem Sitz. „Weiter vorne liegt der Schlafraum, und von da kommst du durch genauso eine Tür nach vorne auf das Sonnendeck.“
„Wie weit fahren wir heute?“
„Alle vier Kilometer gibt es Poller zum Festmachen. Das heißt, ungefähr jede Stunde können wir uns entscheiden zu Pausieren oder zu Übernachten. Später im Naturschutzgebiet haben wir die Möglichkeit zu ankern, wo es uns gefällt, oder einen der zehn Liegeplätze am ‚Haus am See‘ zu belegen. – Das kostet aber eine Gebühr, weil sonst für die Gäste zu wenig Festmacher da sind.“
„Oh, ich hätte gerade Lust mir das Boot von innen anzusehen…“ meine ich.
„Ich verstehe deine Neugier,“ sagt er. „Ich möchte aber gerne beim ersten Benutzen des Niedergangs dabei sein, um dich eventuell auffangen zu können, falls du strauchelst. Auch, wenn ein Motorboot vorbeifährt könnte es passieren, dass du den Halt verlierst. Ich möchte nicht, dass du dir eine Beule holst. – Lass uns in einer knappen Stunde festmachen. Dann gehen wir zusammen durch das Boot.“
„In Ordnung,“ sage ich.
Ich füge mich, obwohl ich seine Fürsorge für übertrieben halte.
Nach etwas mehr als einer Dreiviertel-Stunde sehe ich tatsächlich eine kleine Reihe von Pollern auf der Kaimauer. Maik schaltet die Motoren zurück und steuert das Boot an die Kaimauer heran. Dann rubbelt die umlaufende Gummileiste unserer Penichette an der stählernen Kante der Kaimauer entlang. Zwischen zwei Pollern schaltet Maik noch etwas zurück und springt aus dem Boot. Er hat sich das Tau zwischen unseren Sitzen genommen und läuft die wenigen Meter nach vorn, um es auf den Poller zu hängen und dann an Bord festzumachen.