Freitag, 17. Juli 2020
Luna -28-
Er biegt wortlos vom Weg ab. Als wir zwischen den Zweigen durch sind, unter der Krone, bleibt er stehen. Ich stemme mich aus dem Sitz des Rolli und drehe mich zu Maik um, um ihm einen Kuss zu geben. Dann bitte ich ihn, mir zu helfen, mich auf den Boden zu setzen. Er fasst mich lächelnd an den Schultern und lässt mich langsam zu Boden gleiten. Dabei geht er selbst in die Hocke und setzt sich schließlich neben mich auf die Wiese. Den Augenblick genießend lehne ich mich bei ihm an. Maik legt mir seinen Arm über die Schultern und lässt den Moment auch stumm auf sich einwirken.
„Du hast diesen Zwillingsbaum in unserem Heimatort als mystischen Platz ausgewählt,“ beginne ich vorsichtig. „Was hältst du davon, wenn wir – solange wir hier sind – diesen Platz als unseren gemeinsamen Ort wählen?“
Ich schaue zu ihm auf und ergänze:
„Wenn du nichts dagegen hast mich immer hierher zu bringen, wie heute! Denn damit wären wir sowieso immer zu Zweit.“
Er lächelt und auch seine Augen leuchten, als er mich dann anschaut.
„Sehr, sehr gerne, LUNA!“
Aufgrund der Nennung meines Rollennamens drehe ich mich nun im Gras, um auf alle Viere zu kommen und lecke seinen Handrücken. Maik zieht lachend seine Hand weg und umarmt mich. Er sagt:
„LUNA, MÜDE!“
Ich lege mich auf die Seite und bette meinen Kopf in seinen Schoß. Dann forme ich einen Kussmund und schaue schmachtend zu ihm auf.
Er beugt sich zu mir herunter, die Einladung annehmend, und wir küssen uns bis ich atemlos bin. Ich löse mich von ihm und flüstere mit geschlossenen Augen:
„Dieser Moment sollte nicht vorübergehen!“
Maik antwortet mit gedämpfter Stimme:
„Wir müssen aber zum Abendessen zurück sein und in unseren Zimmern schlafen.“
Ich schaue ihn an und frage:
„Aber wir kommen oft hierher?“
„Gern, wenn du magst!“ bestätigt er mir den Wunsch.
„Hier sind wir vor neugierigen Blicken geschützt und können Herrchen mit Hündin spielen…“ stelle ich fest.
Maik beantwortet das mit einem Lächeln. Wir bleiben noch eine Weile im Gras, dann hilft er mir auf. Ich setze mich in den Rolli und Maik schiebt mich zum Weg zurück. Das ist hier im Umfeld der Weide für mich allein ein Problem, denn immer wieder stoppen mich Löcher in der Grasnarbe. Ich habe sie mir genauer angeschaut, aber einen Eingang zu einer Nagerhöhle kann ich nicht entdecken.
Maik sagt mir, als ich ihn darauf anspreche, dass Tante Katharina ihm gesagt hat, im März/April brüten Enten unter der Weide. Hier sind sie und ihr Gelege vor Raubvögeln geschützt. Nachdem wir den Weg erreicht haben, spazieren wir zu Maiks Onkel und Tante zurück.

*

Die restliche Zeit der zwei Wochen bei Maiks Onkel und Tante hat Maik Pflicht und Spaß so über den Tag verteilt, dass er vormittags auf dem Hof mitarbeitet, in der Mittagspause den Tagesbericht für seinen Ausbildungsbetrieb schreibt und den Nachmittag mit mir zusammen ist. Fast täglich sind wir dafür unter der Weide am Ufer des Feuerteiches.
Maik nimmt dafür ein Hunde-Halsband und –Leine mit. Unter der Weide arretiere ich den Rolli, während Maik mir das Halsband anlegt. Dann beuge ich mich vor und gleite so aus dem Rolli, wie ich es zuhause immer mache, wenn ich mit Beauty auf allen Vieren spielen will. Um nicht mit grün gefärbten Knien an der Jeans zurück zu kommen, ziehe ich für die Nachmittage mit Maik immer eine Shorts an.
Maik klinkt die Leine ein und führt mich erst einmal etwas unter der Weide herum. Dann lässt er mich SITZ machen und löst die Leine vom Halsband. Er geht ein paar Schritte weg und dreht sich wieder zu mir um. Jetzt sagt er:
„LUNA, ZU MIR!“
Ich hebe meine Knie vom Boden und laufe auf Fäusten und Zehenballen auf ihn zu, um vor ihm wieder in SITZ-Position zu gehen. Dann schaue ich ihn erwartungsvoll an. Er zeigt ein fröhliches Lächeln und greift nach mir. Nun fährt er mir sanft durch mein Haar und sagt stolz:
„Gutes Mädchen, Luna!“
Anschließend entfernt er sich wieder ein paar Schritte und ruft mich noch einmal zu sich heran. Das wiederholt er mehrmals, dann nimmt er eine Plastikflasche aus einer Tasche in der Rückenlehne meines Rollis und lässt mich trinken.
Danach nimmt er das Strandtuch von der Sitzfläche des Rollis und breitet es auf der Wiese aus. Er setzt sich darauf und ruft mich wieder zu sich, um danach MÜDE zu sagen. Also lege ich mich neben ihn. Auch Maik hat sich zurückgelegt. Wir dösen eine Weile. Ich fühle mich himmlisch in seiner Nähe.
Als Maik dann wieder aufsteht und zum Rolli geht, drehe ich mich und schaue ihm interessiert hinterher. Er nimmt den zusammen geschobenen Walking-Stick in die Hand. Ich dachte, er wollte mit mir den Berg höher hinauf spazieren, als er ihn heute Nachmittag mitgenommen hat. Jetzt zieht er ihn auseinander, während er zu mir zurückkommt.
„Eine Übung noch,“ sagt er, „dann packen wir zusammen und spazieren langsam zurück.“
Er verbindet die Leine wieder mit dem Halsband und sagt:
„SITZ!“
Also setze ich mich wieder auf meine Fersen.
Kaum sitze ich, zieht er leicht an der Leine und sagt:
„BEI FUSS!“
Ich komme in den Vierfüßler-Stand hoch und nähere mich ihm. Er geht los und ich versuche, an seiner Seite zu bleiben. Maik hält in einer Hand den Walking-Stick und in der anderen Hand die Leine. Als ich zufällig einen Schritt schneller bin als er, weil ich die Knie aus der Wiese anhebe, hält er mir den Walking-Stick vor die Nase.
Erschreckt schaue ich zu ihm auf. Doch er scheint nicht böse zu sein, denn er lächelt mich an.



Luna -27-
Dann fährt er mich rückwärts die verwinkelte Treppe hinunter in die Halle. Nur noch sein Onkel und die Tante sitzen am Frühstückstisch. Ich werde sofort herzlich begrüßt und Katharina, Maiks Tante, fragt mich, ob ich gut geschlafen habe.
Ich bestätige ihr das mit einem fröhlichen Lächeln.
Maik schiebt mich an ein Gedeck, vor dem kein Stuhl steht und setzt sich daneben.
„Dann langt mal zu,“ sagt Onkel Hans. „Die frische Luft draußen wird hungrig machen!“
Nach dem Frühstück führt Maik mich über den Hof. Hundegebell erschallt von beinahe überall her. Wir betreten ein Nebengebäude, in dem Hundemütter mit tapsigen Fellknäueln in Boxen untergebracht sind. Ich darf die Futternäpfe für die Muttertiere auffüllen, während Maik sich mit den Hündinnen beschäftigt, ihnen Zuwendung gibt. Einmal legt er mir einen Welpen in den Schoß, der sich sofort auf die Hinterbeine stellt und zu lecken beginnt. Nur wenige Sekunden, dann gibt Maik ihn seiner Mutter zurück.
So vergeht über eine Stunde bis wir ein anderes Nebengebäude betreten, getrennt durch den Hof vor dem Hauptgebäude. Maiks Onkel und zwei Mitarbeiter sind dort mit dem Training junger Hunde beschäftigt. Er ruft mir zu, dass ich dort stehenbleiben soll, wo wir uns gerade befinden und Maik soll sich ebenfalls einen jungen Hund nehmen und zeigen, was er bisher bei ihm gelernt hat. So schaue ich dem Grundtraining für junge Hunde zu bis ein Glockenton aus einem Lautsprecher an der Decke kommt.
Die Männer führen die Hunde in ihre Käfige, geben ihnen Futter und Wasser und dann gehen wir zusammen zum Mittagessen. Danach ist zwei Stunden Mittagsruhe, erklärt mir Maik, als er mich mit dem Rolli die Treppe hinauf zu unseren Zimmern bugsiert.
„Legst du dich hin?“ frage ich ihn.
Er schüttelt den Kopf.
„Kurz vielleicht. Ich schreibe über den heutigen Tag etwas in mein Berichtsheft, damit ich in meinem Ausbildungsbetrieb etwas vorweisen kann.“
„Ah – das Seminar, der Lehrgang…“ mache ich, und frage:
„Darf ich mich etwas auf dein Bett legen?“
„Gern,“ antwortet Maik, während er sein Berichtsheft hervorkramt und sich an den Tisch setzt.
Ich rolle an das Bett und stehe auf. Nach einer kleinen Drehung lasse ich mich in die Polster plumpsen und ziehe die Beine nach. Aus dieser Position beobachte ich eine Zeitlang wie Maik seinen Bericht verfasst. Schließlich klappt er die Kladde zu. Er zieht sich Schuhe und Strümpfe aus und verlässt das Zimmer auf Badelatschen. Einige Minuten später kommt er zu mir an das Bett. Er setzt sich und schwingt die Füße auf das Bett, dann dreht er sich zu mir und legt sich lächelnd hin. Ich nähere mich ihm und kuschele mich an. Er nimmt mich in die Arme und schaut zur Decke hinauf, dass ich das Gefühl gewinne, er träumt sich mit mir in eine andere Welt.

*

Ich bin neben Maik selig eingeschlummert. Plötzlich werde ich von einem lauten Alarmton aus meinen Träumen gerissen. Neben mir richtet sich Maik in sitzende Position auf. Er schüttelt den Kopf und hat die Stirn in Falten. Dann dreht er sich zur Seite und springt aus dem Bett. Er macht zwei schnelle Schritte auf meinen Rolli zu und schiebt ihn ans Bett. Dabei sagt er mit gehetzter Stimme:
„Schnell, Andrea! Wir müssen raus hier! Feueralarm!“
Ich bekomme Angst und versuche zum Bettrand zu rutschen. Ich habe ganz an der Wand gelegen. Dann verfange ich mich auch noch in einem Faltenwurf der Tagesdecke, auf der wir gelegen haben. Maik beugt sich über mich, fasst mich unter den Knien und im Rücken. Er senkt mich erst über den Rolli, dann hat er es sich wohl anders überlegt und trägt mich die Treppe hinunter. Ich klammere mich an seinem Hals fest und drücke mich an ihn.
Unten in der Halle angekommen wendet er sich zum Eingang. Seine Tante hält uns die Haustüre auf und läuft mit uns zum Geländewagen. Sie schließt ihn auf und hilft Maik mich auf dem Rücksitz festzuschnallen, nachdem er mich in den Wagen gehoben hat. Stimmen und Motorenlärm sind um mich herum. Maik und seine Tante steigen vorne ins Auto. Bevor sie losfahren kann, fragt er sie:
„Soll ich nicht in die Werkstatt und Onkel Hans helfen?“
Natürlich! In einer Notsituation wie dieser wäre es besser, wenn er hilft. Es reicht, wenn seine Tante in meiner Nähe bleibt. Aber bevor ich Maik zu seinem Onkel schicken und ihm sagen kann, dass er sich jetzt um mich nicht mehr sorgen muss, antwortet seine Tante lächelnd:
„Das ist eine Übung! Wir müssen als Betrieb ab und zu eine Übung abhalten. Hans meinte, heute wäre eine günstige Gelegenheit. So sieht er, wie schnell im Ernstfall Gäste das Haus verlassen können.“
Während Maik vorhin mit mir im Arm zum Auto gelaufen ist, haben die beiden Mitarbeiter mit einem Quad, an dem ein Anhänger mit einem aufgerollten Schlauch hängt, den Hof verlassen. Jetzt kommt einer der Beiden mit dem Quad zurück. Unterwegs hat er wohl den Schlauch abgerollt. Zurück auf dem Hof schließt er ihn an den Verteiler an. In diesem Moment kommt Onkel Hans aus der Werkstatt und verkündet laut den Abschluss der Übung. Dann kommt er zum Auto, nickt mir freundlich lächelnd zu und sagt:
„Im Ernstfall sollte es genauso laufen wie jetzt gerade. Tut mir leid für den Schrecken, aber nur wenn alles wie am Schnürchen klappt, können wir Schlimmeres verhindern. Hier in den Bergen wäre nur der Hubschrauber in so einem Fall effektiv genug. Wir müssen uns schon irgendwie selbst zu helfen wissen. – Kommt rein, Katharina hat einen Tee gemacht!“
Später frage ich Maik nach dem Feuerteich. Er fragt Onkel Hans um sein Einverständnis, dann machen wir einen kleinen Spaziergang dorthin. Es geht bergauf, so dass Maik mir schnell helfen muss und mich schiebt. Dann sehe ich einen Teich in etwa in der Größe eines Stadions mit grasbewachsenem Ufer und einem Rundweg. Eine einsame Weide steht am Ufer und bedeckt mit ihrer Krone aus hängenden Zweigen einen Teil der Wiese. Ein paar der Zweige erreichen auch fast die Wasseroberfläche. Auf einer Seite liegt eine Felswand, von der ein etwa zwei Meter hoher und dünner Wasserfall in den See mündet. Dort steigt der Rundweg auf das höhere Niveau an und eine hölzerne Brücke führt über einen kleinen Bach.
Wir umrunden den Teich und als wir wieder bei der Weide ankommen frage ich Maik:
„Dies ist ein schöner Platz. Kannst du mich bitte ans Wasser schieben? Unter die Weide?“