Luna -27-
Dann fährt er mich rückwärts die verwinkelte Treppe hinunter in die Halle. Nur noch sein Onkel und die Tante sitzen am Frühstückstisch. Ich werde sofort herzlich begrüßt und Katharina, Maiks Tante, fragt mich, ob ich gut geschlafen habe.
Ich bestätige ihr das mit einem fröhlichen Lächeln.
Maik schiebt mich an ein Gedeck, vor dem kein Stuhl steht und setzt sich daneben.
„Dann langt mal zu,“ sagt Onkel Hans. „Die frische Luft draußen wird hungrig machen!“
Nach dem Frühstück führt Maik mich über den Hof. Hundegebell erschallt von beinahe überall her. Wir betreten ein Nebengebäude, in dem Hundemütter mit tapsigen Fellknäueln in Boxen untergebracht sind. Ich darf die Futternäpfe für die Muttertiere auffüllen, während Maik sich mit den Hündinnen beschäftigt, ihnen Zuwendung gibt. Einmal legt er mir einen Welpen in den Schoß, der sich sofort auf die Hinterbeine stellt und zu lecken beginnt. Nur wenige Sekunden, dann gibt Maik ihn seiner Mutter zurück.
So vergeht über eine Stunde bis wir ein anderes Nebengebäude betreten, getrennt durch den Hof vor dem Hauptgebäude. Maiks Onkel und zwei Mitarbeiter sind dort mit dem Training junger Hunde beschäftigt. Er ruft mir zu, dass ich dort stehenbleiben soll, wo wir uns gerade befinden und Maik soll sich ebenfalls einen jungen Hund nehmen und zeigen, was er bisher bei ihm gelernt hat. So schaue ich dem Grundtraining für junge Hunde zu bis ein Glockenton aus einem Lautsprecher an der Decke kommt.
Die Männer führen die Hunde in ihre Käfige, geben ihnen Futter und Wasser und dann gehen wir zusammen zum Mittagessen. Danach ist zwei Stunden Mittagsruhe, erklärt mir Maik, als er mich mit dem Rolli die Treppe hinauf zu unseren Zimmern bugsiert.
„Legst du dich hin?“ frage ich ihn.
Er schüttelt den Kopf.
„Kurz vielleicht. Ich schreibe über den heutigen Tag etwas in mein Berichtsheft, damit ich in meinem Ausbildungsbetrieb etwas vorweisen kann.“
„Ah – das Seminar, der Lehrgang…“ mache ich, und frage:
„Darf ich mich etwas auf dein Bett legen?“
„Gern,“ antwortet Maik, während er sein Berichtsheft hervorkramt und sich an den Tisch setzt.
Ich rolle an das Bett und stehe auf. Nach einer kleinen Drehung lasse ich mich in die Polster plumpsen und ziehe die Beine nach. Aus dieser Position beobachte ich eine Zeitlang wie Maik seinen Bericht verfasst. Schließlich klappt er die Kladde zu. Er zieht sich Schuhe und Strümpfe aus und verlässt das Zimmer auf Badelatschen. Einige Minuten später kommt er zu mir an das Bett. Er setzt sich und schwingt die Füße auf das Bett, dann dreht er sich zu mir und legt sich lächelnd hin. Ich nähere mich ihm und kuschele mich an. Er nimmt mich in die Arme und schaut zur Decke hinauf, dass ich das Gefühl gewinne, er träumt sich mit mir in eine andere Welt.

*

Ich bin neben Maik selig eingeschlummert. Plötzlich werde ich von einem lauten Alarmton aus meinen Träumen gerissen. Neben mir richtet sich Maik in sitzende Position auf. Er schüttelt den Kopf und hat die Stirn in Falten. Dann dreht er sich zur Seite und springt aus dem Bett. Er macht zwei schnelle Schritte auf meinen Rolli zu und schiebt ihn ans Bett. Dabei sagt er mit gehetzter Stimme:
„Schnell, Andrea! Wir müssen raus hier! Feueralarm!“
Ich bekomme Angst und versuche zum Bettrand zu rutschen. Ich habe ganz an der Wand gelegen. Dann verfange ich mich auch noch in einem Faltenwurf der Tagesdecke, auf der wir gelegen haben. Maik beugt sich über mich, fasst mich unter den Knien und im Rücken. Er senkt mich erst über den Rolli, dann hat er es sich wohl anders überlegt und trägt mich die Treppe hinunter. Ich klammere mich an seinem Hals fest und drücke mich an ihn.
Unten in der Halle angekommen wendet er sich zum Eingang. Seine Tante hält uns die Haustüre auf und läuft mit uns zum Geländewagen. Sie schließt ihn auf und hilft Maik mich auf dem Rücksitz festzuschnallen, nachdem er mich in den Wagen gehoben hat. Stimmen und Motorenlärm sind um mich herum. Maik und seine Tante steigen vorne ins Auto. Bevor sie losfahren kann, fragt er sie:
„Soll ich nicht in die Werkstatt und Onkel Hans helfen?“
Natürlich! In einer Notsituation wie dieser wäre es besser, wenn er hilft. Es reicht, wenn seine Tante in meiner Nähe bleibt. Aber bevor ich Maik zu seinem Onkel schicken und ihm sagen kann, dass er sich jetzt um mich nicht mehr sorgen muss, antwortet seine Tante lächelnd:
„Das ist eine Übung! Wir müssen als Betrieb ab und zu eine Übung abhalten. Hans meinte, heute wäre eine günstige Gelegenheit. So sieht er, wie schnell im Ernstfall Gäste das Haus verlassen können.“
Während Maik vorhin mit mir im Arm zum Auto gelaufen ist, haben die beiden Mitarbeiter mit einem Quad, an dem ein Anhänger mit einem aufgerollten Schlauch hängt, den Hof verlassen. Jetzt kommt einer der Beiden mit dem Quad zurück. Unterwegs hat er wohl den Schlauch abgerollt. Zurück auf dem Hof schließt er ihn an den Verteiler an. In diesem Moment kommt Onkel Hans aus der Werkstatt und verkündet laut den Abschluss der Übung. Dann kommt er zum Auto, nickt mir freundlich lächelnd zu und sagt:
„Im Ernstfall sollte es genauso laufen wie jetzt gerade. Tut mir leid für den Schrecken, aber nur wenn alles wie am Schnürchen klappt, können wir Schlimmeres verhindern. Hier in den Bergen wäre nur der Hubschrauber in so einem Fall effektiv genug. Wir müssen uns schon irgendwie selbst zu helfen wissen. – Kommt rein, Katharina hat einen Tee gemacht!“
Später frage ich Maik nach dem Feuerteich. Er fragt Onkel Hans um sein Einverständnis, dann machen wir einen kleinen Spaziergang dorthin. Es geht bergauf, so dass Maik mir schnell helfen muss und mich schiebt. Dann sehe ich einen Teich in etwa in der Größe eines Stadions mit grasbewachsenem Ufer und einem Rundweg. Eine einsame Weide steht am Ufer und bedeckt mit ihrer Krone aus hängenden Zweigen einen Teil der Wiese. Ein paar der Zweige erreichen auch fast die Wasseroberfläche. Auf einer Seite liegt eine Felswand, von der ein etwa zwei Meter hoher und dünner Wasserfall in den See mündet. Dort steigt der Rundweg auf das höhere Niveau an und eine hölzerne Brücke führt über einen kleinen Bach.
Wir umrunden den Teich und als wir wieder bei der Weide ankommen frage ich Maik:
„Dies ist ein schöner Platz. Kannst du mich bitte ans Wasser schieben? Unter die Weide?“