Samstag, 25. Juli 2020
Nicci (5)
„Das ist vollkommen in Ordnung,“ beruhigt Peter mich. „Hast du vielleicht zufällig einen Hund, oder bist du bei deinen Eltern früher mit einem Hund aufgewachsen?“
Ich ziehe die Stirn kraus.
„Ist das von Bedeutung?“ frage ich ihn.
„Nicht direkt,“ sagt er, und schüttelt leicht den Kopf. „Aber dann könntest du dich möglicherweise intuitiv in einen Hund hineinfühlen, wüsstest, was deren Gestik und Mimik bedeutet, und würdest sie mir gegenüber anwenden. Dann wüsste ich ohne viel Raten, dass du im sogenannten ‚Dogspace‘ bist.“
„Hm, den Begriff habe ich schon einmal gehört. Kannst du ihn mir einmal richtig erklären?“
„Dazu ist viel Vertrauen zum ‚Owner‘ nötig. Der Alltagsstress tritt in den Hintergrund. Deine Wahrnehmung verändert sich. Sind mehrere Leute im Raum, die miteinander reden, bekommst du das zwar mit – den Inhalt der Gespräche nimmst du aber nicht mehr wahr, ist unwichtig geworden. Du weißt, dass der ‚Owner‘ sich um dein Wohl kümmert, dass deine Grundbedürfnisse befriedigt werden, dass du die Zuwendung erhältst, die ein fühlendes Wesen nun mal braucht.
Du wirst die Räume anders wahrnehmen, als bisher. Menschen wirken aus deiner Perspektive sehr groß. Möbel erscheinen dir riesig. Sind andere Doggies dabei, assoziierst du damit ‚Artgenossen‘, ‚Spielkameraden‘. Doggies Blick gilt hauptsächlich Herrchens Hand mit dem Leckerlie, ansonsten ist Doggie neugierig, will alles untersuchen. Fremden – Menschen oder Doggies – begegnet Doggie sehr zurückhaltend. Sie sucht ständig Herrchens Nähe. Ihm vertraut sie, bei ihm fühlt sie sich geborgen.“
Ich höre Peter aufmerksam zu, während er spricht.
„Du legst großes Gewicht auf das Emotionale…“ gebe ich danach mein Kommentar ab.
„Man sagt, Tiere sind Gefühlsmenschen,“ kontert er lächelnd. „Tiere reagieren in allen Situationen nicht rational sondern emotional. Nicht wie wir Menschen, die wir unsere Emotionen vor der Umwelt verstecken, um nicht als Waschlappen zu gelten – und sie dann im stillen Kämmerlein herauslassen… Tiere sind daher oft viel ausgeglichener. Das wirst du feststellen! Ich mag es, wenn du die ganze Gefühlspalette in deiner Rolle zeitnah herauslässt, sei es nun Freude oder Trauer oder alle Abstufungen dazwischen!“
„Damit werde ich mich bestimmt schwer tun,“ meine ich, etwas distanziert.
„Aber, das ist doch völlig normal!“ bricht es aus ihm heraus. Leiser fügt er hinzu: „Ich habe Geduld! Geduld ist das wichtigste Attribut eines Herrn. Ich weiß, dass nichts von Anfang an vorhanden ist, von Anfang an klappt!“
Ich neige den Kopf und sage:
„Ich weiß schon, warum ich mich mit dir getroffen habe, Peter. Trotzdem wird es wohl eine ganze Zeit dauern bis ich ein vollkommen emotionales Lebewesen bin. Im Alltag war bisher anderes gefordert…“
„Die Zeit hast du!“ antwortet Peter in überzeugendem Ton. „Wir beginnen ganz langsam. Zuerst kommen die Nonverbale Kommunikation und die Beschwichtigungssignale.“
„Die ‚sprachlose Verständigung‘ und was für Signale? Warum muss ich dich beschwichtigen? Wirst du schnell sauer?“ frage ich verunsichert.
Peter lacht kurz auf, dann greift er nach meiner Hand und legt seine sanft darüber.
„Echte Hunde können nicht sprechen,“ erklärt er. „Sie kommunizieren trotzdem untereinander und mit uns Menschen. Personen, die jahrelang mit Hunden zusammengelebt haben, können deren Gestik und Mimik im Zusammenhang mit der jeweils aktuellen Situation verstehen. Das nennt man ‚nonverbale Kommunikation‘. Du hast weder einen Schweif, noch bewegliche Ohren. Also ist DEINE nonverbale Kommunikation eingeschränkt. Die Gestik kannst du jedoch erlernen. Dabei sind die Beschwichtigungssignale die wichtigsten: Hunde wollen keinen Streit, also signalisieren sie ‚Ich bin harmlos‘. Außerdem kannst du eine ausgeprägte Mimik zeigen, also zum Beispiel verständnislos gucken, ein freudiges oder trauriges Gesicht machen…“
„Ah,“ mache ich. „Und das bringst du mir alles bei?“
„Ich gebe dir Zeit, dich emotional zu äußern. Und nachher jeweils kommt immer ein wenig positive Manöverkritik, ja,“ bestätigt er lächelnd. „Ich gehe nicht schulmeisterlich vor. Ich sage nur, wo du etwas verbessern könntest.“
„Soll ich dir mal was sagen?“ beichte ich ihm nun. „Ich bin schon ganz kribbelig, wenn ich mich in meiner Phantasie das machen sehe, was du da alles beschrieben hast.“
Peter zuckt lächelnd die Schultern.
„Du hast dir ausdrücklich dieses Treffen nur zum Reden gewünscht. Zum Schauen, ob Sympathie überspringt, wenn wir uns Aug in Aug gegenüber sitzen. Dann wolltest du ein neues Treffen vereinbaren, um das Besprochene einmal auszuprobieren – falls ich dir auch real sympathisch bin!“
„Ja, ich weiß,“ gebe ich zurück, und frage spontan: „Wie findest du mich denn? Könntest du dir mich als deine Doggie vorstellen?“
Peter nickt ernst. Dann lächelt er mir zu.
„Das kann ich! Ich finde dich sehr sympathisch!“
„Mir geht es mit dir genauso,“ gebe ich zu. „Dennoch will ich das Erlebte erst einmal verarbeiten. Du bist mir nicht böse, wenn ich mich verabschiede? Nächstes Wochenende lade ich dich dann zu mir nach Hause ein!“
„Ich habe dir ja vorhin gesagt, dass ich dir jede Zeit der Welt gebe! Ich bestimme den ‚Lehrplan‘ und du die Zeit, die du brauchst! Wer sonst könnte abschätzen, wieviel Zeit du benötigst. - Bist du mit dem Zug hier?“
Ich schüttele aufatmend den Kopf.
„Nein, mit dem Bus.“
Er steht auf und geht an den Tresen im Bahnhofscafe. Ich folge ihm. Als er zahlen will, lege ich drei Euro hinzu. Peter nimmt sie lächelnd. Dann gehen wir aus dem Cafe in Richtung der Bussteige.
„Als Herr bezahle ich aber später unsere gemeinsamen Ausgaben,“ meint er unterwegs.
„Später – ja,“ sage ich und gehe auf die Zehenspitzen.
Ich drücke ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange und sage augenzwinkernd:
„Bis nächste Woche, mein Herr.“
Er zwinkert zurück, legt seinen Arm um meine Schultern und drückt mich kurz an sich.



Nicci (4)
Als ich die lange Nachricht in Hangouts gelesen habe, bin ich baff… Ich muss sie nochmal lesen und nochmal.
Bist du noch da? lese ich nun.
Ja, klar. Ich musste die Nachricht mehrfach lesen, um sie zu glauben. Sie ist so revolutionär..
Es ist schon wieder spät, Nicci. Schlaf dann gut und denk drüber nach. Ich freue mich auf unser Gespräch morgen.
Gern, Peter. Schlaf du auch gut!
Ich schalte das Handy auf Standby und sitze noch ein paar Minuten auf der Couch. Dieser Mann ist es! Da bin ich mir sicher. Mit Peter werde ich mich in der nächsten Zeit treffen und Aug in Aug über unser Thema reden.
Dann mache ich, was Peter sagt. Es ist vernünftig jetzt ins Bett zu gehen, um morgen Früh ausgeschlafen zu sein. Im Bett kann ich eine Zeitlang noch nicht schlafen. Was spreche ich morgen an, um seine Meinung dazu zu erfahren? Schließlich bin ich doch eingeschlafen.
Am Nachmittag des nächsten Tages fällt mir beim Joggen etwas ein. Nach dem Essen um 18 Uhr melde ich mich bei ihm über Hangouts:
Hallo Peter. Sag mal: Wie nah an der Wirklichkeit einer Hundehalter-Hund-Beziehung möchtest du das Dogplay in den Sessions durchführen?
So nah wie möglich. Schau mal, der Hund ist für viele Halter ein Familienmitglied. Er hat viele Freiheiten, bekommt nur dann ein Kommando zu hören, um ihn vor einer Gefahr zu bewahren. Der Hund wird geknuddelt. Es ist nicht schlimm, wenn er einen Spaß mit dem Halter treibt. Der Hund wird kaum bestraft – wenn, dann durch kurzzeitiges Ignorieren. Genauso oder ähnlich stelle ich mir Dogplay-Sessions vor! Der Halter muss sich in seiner freien Zeit immer mit dem Hund beschäftigen. Dazu nutzt er das Kommandotraining, lockert es auf mit Spielen und ein wenig Sport. Doggies kann man noch mit der ‚nonverbalen Kommunikation‘ der Hunde beschäftigen. Du siehst, dass jeder sich nur mit sich selbst beschäftigt, wird nie vorkommen!
Wir texten noch über einiges anderes, bis es wieder Zeit ist schlafen zu gehen. Zum Abschluss frage ich ihn, ob er sich vorstellen kann, sich bald mit mir zu treffen – nur zum Kennenlernen und Reden miteinander, versteht sich – und wann er Zeit dafür hätte. Er meint, das nächste Wochenende böte sich an. Also vereinbaren wir ein Gespräch in einem Cafe in Bahnhofsnähe. Ich schlage vor, dass wir uns am Taxistand auf dem Bahnhofsvorplatz treffen. In der Zwischenzeit hat jeder vom Anderen schon ein Portrait-Foto. Also werden wir nicht aneinander vorbeilaufen.

*

Am Sonntag setze ich mich also am frühen Nachmittag in den Bus zum Bahnhof. Eine halbe Stunde später steige ich dort aus und gehe erst einmal in den Bahnhof. Beim Spazieren an den Schaufenstern der kleinen Läden dort entlang, entspanne ich ein wenig. Dann sehe ich auf der Bahnhofsuhr an der Stirnwand der Halle, dass ich nur noch fünf Minuten Zeit habe. Also gehe ich auf den Vorplatz zum Taxistand.
Fast habe ich die wartenden Taxis erreicht, als hinter mir eine Stimme sagt:
„Nicci?“
Ich drehe mich um und erkenne Peter, der auf mich zu kommt.
„Hallo, Peter,“ begrüße ich ihn erfreut.
Artig gibt er mir die Hand zur Begrüßung und fragt dann:
„Magst du dich dort drüben hinsetzen?“
Er zeigt auf den Außenbereich des Bahnhofscafes.
„Gern,“ antworte ich und nähere mich an Peters Seite einem der freien Bistrotische. Kaum sitzen wir, ist auch schon ein Mitarbeiter zur Stelle und fragt, was wir möchten. Peter nickt mir zu, also bestelle ich mir einen Cappuccino.
„Bringen Sie mir bitte auch einen!“ setzt Peter nach.
Der Kellner nickt und fragt zurück: „Zwei Cappuccino zusammen?“
Peter nickt bestätigend und der Kellner verschwindet in der Tür des Cafes, um wenig später mit der Bestellung am Tisch zurück zu sein.
„Wie war deine Fahrt?“ frage ich in der Zwischenzeit.
„Alles in Ordnung,“ meint Peter. „Keine besonderen Vorkommnisse. Meinen Wagen habe ich hinten im Parkhaus untergestellt.“
Nachdem uns der Kellner wieder allein gelassen hat, lenkt Peter das Gespräch auf unser Thema:
„Du möchtest einmal mit mir eine Petplay-Session machen, meine Doggie spielen? Hast du das schon einmal probiert, also Erfahrung?“
Ich schüttele den Kopf.
„Real noch nicht. Deshalb sollte der Herr, der mir das Petplay näherbringt nicht so ein Kerl sein, dessen Gehirn anscheinend in die Hose gerutscht ist. Mir steht der Sinn nicht nach einem One-Night-Stand, sondern ich möchte das Verhältnis Herr-Hund hautnah erfahren – wie Herr und Hund miteinander umgehen.“
„Dann hast du sicher auch noch kein Equipment…“
„Kein – was?“ frage ich zurück und mache ein verständnisloses Gesicht.
„Zubehör,“ erklärt Peter. „Also ein eigenes Halsband und was es da sonst noch so gibt.“
„Nein,“ ich schüttele meinen Kopf. „Daran habe ich bisher noch nicht gedacht.“
„Es freut mich, dass du mich als deinen ersten ‚Owner‘ erwählt hast – wie das im fachchinesisch heißt,“ sagt Peter und lächelt mich an. „Ich bin ebenfalls nicht an Sex, sondern am Spiel miteinander interessiert. Ich würde mich freuen, wenn ich dir das Petplay nahebringen kann und dabei eine Freundschaft entsteht!“
„Darüber würde ich mich ebenso freuen,“ bestätige ich ihm lächelnd.
„Wo möchtest du die Sessions stattfinden lassen?“ fragt Peter nun.
„Erst einmal bei mir in der Wohnung!“ bestimme ich.
In bekannter Umgebung fühle ich mich sicherer, auch wenn mein Appartement nicht sehr viel Platz bietet.