Freitag, 21. August 2020
Die Wölfin 05
Ich versuche wieder einzuschlafen, aber es wird nur ein ‚Vor-mich-hin-dösen‘ daraus. Als es zu dämmern beginnt, erhebe ich mich und mache mich im Bad frisch. Heute nutze ich dafür den Zwei-Füßler-Gang, um die Probleme von gestern Morgen zu umgehen. Danach gehe ich das Haupthaus, und lasse mich erst im Durchgang auf alle Viere herunter.
Heute Morgen bin ich früh dran. Der Koch hat unser Frühstück noch nicht bereit. Also gehe ich auf die Terrasse, fasse eins der Schaffelle und ziehe es nach innen. An der Terrassentür habe ich Probleme. Der Koch hört die Geräusche und streckt seinen Kopf neugierig aus der Küche. Schnell hat er erkannt, worum es mir geht und kommt mir zu Hilfe. Schließlich kann ich mich neben die Schwingtüre der Küche auf das Fell legen und warten. Der Koch verspricht mir:
„Ich habe dein Frühstück gleich fertig, Vanja!“
Es dauert wirklich nur wenige Minuten, bis er mit meinem Napf in der Hand aus der Küche kommt und ihn neben mich auf den Boden stellt. Dann geht er wieder zurück in die Küche, um den zweiten Napf zu bereiten.
Ich bin gerade fertig mit frühstücken, als Ennie die Treppe herunterkommt. Ihr Napf steht gerade an seinem Platz und auch sie frühstückt jetzt. Nach einer Minute zuschauen, frage ich leise, was denn heute auf dem Plan steht.
„Nun,“ antwortet sie, und lächelt mich an. „Du hast gestern Kommandotraining gehabt. Ich denke, der Master will heute Morgen sehen, was du davon behalten hast und eventuell korrigieren. Wie dann der weitere Tag aussieht, entscheidet er aus dem Augenblick heraus. Lassen wir uns überraschen.“
Bald ist auch Herr Wagner unten, um in der Küche zu frühstücken. Später gehen wir drei wieder hinunter in den Schulungsraum. Der Hausherr führt mich noch einmal durch das komplette Programm der Hundekommandos, und korrigiert manches, was ich ihm zeige. Dann ist es schon Mittag und wir gehen nach oben zum Mittagessen.
Anschließend streifen Ennie und ich auf allen Vieren durch die Umgebung und haben Spaß beim Spiel miteinander. Schnell ist schon wieder Abend. Ich weiß überhaupt nicht, wo die Zeit geblieben ist, als Ennie mich zum Hof zurückführt. Heute ist es wohl schon zu spät zum Rekapitulieren, was wir unternommen und wie wir uns dabei verhalten haben. Wir verabschieden uns voneinander und ich gehe zu meiner Box ins Nebengebäude. Schnell bin ich eingeschlafen.
Das Gespräch folgt dann am nächsten Morgen. Danach geht Herr Wagner mit uns nach draußen. Er schlägt die Richtung zum Wäldchen ein, und lässt uns freilaufen. Nun überprüft er aber auch die Anwendung der Kommandos im Praxistest.
Nun habe ich noch eine Nacht in meiner Box und frühstücke am darauffolgenden Tag als Zweibeiner. Nach einem herzlichen Abschied von allen, fahre ich mit meinem Wagen die lange Strecke zurück an meinen Heimatort. Der Koch hat mit zum Abschied einen breiten, flachen und schweren Karton in Geschenkpapier überreicht. Als Erinnerung an die schöne Zeit auf dem Wagner-Hof, wie er sagt…

*

Gleich am nächsten Tag muss ich schon wieder arbeiten. Nach der langen Heimfahrt falle ich als Erstes ins Bett und schlafe wie ein Stein. Die Arbeit am nächsten Tag verläuft so eintönig wie immer. So dauert es bis zum frühen Abend, bis ich wieder ins Internet komme. Sofort öffne ich die Seite der Petplay-Community und gehe zur Gruppe „Hundeschule“.
Ich schreibe einen kleinen Bericht von meinem kurzen Aufenthalt und schicke ihn ab, damit jeder Interessent lesen kann, was ich erleben durfte. Damit möchte ich, dass etwas mehr Leben in die Gruppe kommt und mich gleichzeitig bei den Bewohnern des Wagner-Hofes bedanken.
Anschließend fällt mir das schwere Paket ein, dass mir Heinz, der Koch des Wagner-Hofes zum Abschied gegeben hat. Ich nehme es von der Ablage, stelle es vor mich auf den Tisch und öffne es mit einem Küchenmesser. Mir fällt ein Umschlag in die Hände, den ich vorerst zur Seite lege. Die Schachtel in dem Paket zeigt das Bild einer Glasschale.
Vorsichtig öffne ich die Schachtel, lege einen Beipackzettel beiseite und nehme die Glasschale heraus.
Sie hat einen dicken Boden, ist etwa sechs Zentimeter hoch und hat einen Durchmesser von fast dreißig Zentimetern. Das Glas ist zum Teil milchig undurchsichtig und außen sind zwei Plaketten aufgeklebt. Die eine Plakette erinnert an den ‚Wagner-Hof‘. Auf der anderen Plakette stehen mein Petname und eine persönliche Widmung von Heinz. Ein warmes Gefühl durchströmt mich. Ich muss unbedingt bald wieder dorthin zurück, nehme ich mir vor. Den Koch habe ich bei meinem Aufenthalt nicht wirklich kennenlernen können!
In den Wochen bis zu meinem nächsten Urlaub werde ich auf der Internet-Seite von neugierigen Petplayern bombardiert, die wissen wollen was auf dem Wagner-Hof ‚abgeht‘.
Ich erkläre ihnen geduldig Herrn Wagners Unterrichtsmethode der ‚positiven Verstärkung‘, obwohl ich mir sicher bin, dass Herr Wagner seine Methode schon zu Genüge erläutert hat. Dabei habe ich das Gefühl, dass Viele meine Antworten ungenügend finden. Sie vermissen wohl die sexuelle Komponente…
Wiederholt muss ich erklären, dass wir Petplayer nicht auf einer Insel der Glückseligen leben. Beziehungen bahnen sich an, wie unter ‚Vanillas‘ im Alltag auch: Man lernt sich kennen, stellt vielleicht Zuneigung fest, auf jeden Fall gemeinsame Interessen. Man unternimmt etwas gemeinsam, freundet sich mit der Zeit an – und daraus KANN Liebe entstehen. Wem das zu langwierig ist und schnellen Sex sucht, der braucht eben das entsprechende Gegenstück oder soll zu Professionellen gehen!
Danach wird es ruhig um uns… In der Zeit bis zu meinem nächsten Urlaub überlege ich, ob für mich 24/7 infrage käme, wie es Herr Wagner und Ennie praktizieren. Mir kommt dabei ein Gedanke: Früher sind die Frauen meist nach der Hochzeit zuhause geblieben. Dafür bekamen sie einen Teil der Rente des Mannes zugesprochen. Bisher war der Teil mehr als gering. Aber das letzte höchstrichterliche Urteil lässt hoffen, dass Frauen auch hier bald gleichgestellt werden!
Dazu gehört aber die Hochzeit! Und vorher muss man Zuneigung für einen Mann mit gleichen Interessen aufbauen, sich anfreunden, füreinander einstehen… Das ist ein weiter Weg!
Eine andere Frage taucht da in meinen Gedanken auf: Würde Herr Wagner mir ein Gehalt zahlen als Instrukteurin in der Hundeschule, von dem ich Rentenversicherung bezahle und dadurch selbst abgesichert bin? Darüber muss ich unbedingt mit Herrn Wagner reden, denn in der Hundeschule hätte ich eine Beschäftigung, die mir Spass macht und die mich mehr ausfüllen würde als mein aktueller Bürojob.