Dienstag, 4. August 2020
Nicci (28)
Zum Schluss wird der Raum zwischen Mäuerchen und Fensterwand mit viel Stroh belegt. Dazu werden Strohballen aufgeschnitten und gleichmäßig auseinander geschüttelt. Jeder Gast bekommt frisches Stroh als Unterlage. Darauf kann er dann seinen Schlafsack ausbreiten.
Mitten in Peters Jahresurlaub sind die Männer fertig mit dem Umbau. Das wird mit einem kleinen Richtfest zu Viert gefeiert. Dabei fragt Bernd Peter, nachdem er schon den ganzen Abend herumgedruckst hat:
„Was hältst du davon, das Bauernhaus zu einem Zweifamilienhaus umzubauen, Peter? Es ist mir effektiv zu groß. Früher haben hier meine Großeltern mit einer großen Kinderschar und einigen Landarbeitern – früher sagte man, Knechten und Mägden – gewohnt. Ich verliere mich mit Jasmin regelrecht darin. Auch ist es schwierig, das große Haus im Winter warm zu halten – oder teuer…“
„Warum nicht?“ meint Peter. „Du hast dir ja noch Vieh übrigbehalten, und noch eine Fahrrad-Werkstatt zusätzlich aufgebaut. Dann noch die Käserei… Wie willst du das alles allein schultern?“
„Ich habe mir gedacht, dass du vielleicht…“ beginnt Bernd und schaut Peter erwartungsvoll an.
Peter setzt ein breites Grinsen auf.
„Ach, du meinst, weil ich dir beim Umbau geholfen hab, und wir uns inzwischen angefreundet haben…“
Bernd schaut Peter offen und erwartungsvoll an. Dieser meint:
„Wir haben in der Nähe unserer Wohnung ein Waldgebiet, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen! Auch ein See befindet sich ganz in der Nähe, wo wir so gut wie alleine sind…“
„Das heißt ‚Nein‘?“
Peter schüttelt verhalten den Kopf.
„Zuhause müssen wir auf die Nachbarn achten! Hier sind wir unter uns, solange keine Fahrradtouristen zu Gast sind. Auf sie müssen wir Rücksicht nehmen, denn durch sie verdienen wir unseren Lebensunterhalt.“ Peter nickt Bernd zu. „Ich bin einverstanden! Allerdings gründen wir eine GmbH und sind gleichberechtigte Gesellschafter.“
„Das ist selbstverständlich!“ bestätigt Bernd.

*

Ich bin Jasmin, seit ein paar Monaten nun schon Niccis Freundin. Wir haben uns mit dem Paar aus der Südeifel angefreundet und wollen Bernd’s Hof bald gemeinsam bewirtschaften. Meine Beziehung zu Bernd ist derjenigen sehr ähnlich, die Nicci und Peter führen. Ich habe Bernd allerdings auf der PETWEEK kennengelernt, einem Event von Petplayern. Wir sind ins Gespräch gekommen und haben dann die Angebote der PETWEEK probeweise als Owner-Doggie-Team genutzt. Das hat mir sehr Spaß gemacht und Bernd ist es ebenso gegangen. Also haben wir die Adressen getauscht.
Da Bernd einen Bauernhof bewirtschaftet und deshalb nur sehr wenig Freizeit hat, habe ich mich in meinen kleinen Japaner gesetzt und bin zu ihm hingefahren. Was ich dort vorgefunden habe, hat mich erschreckt. Bernds Geschwister haben sich in die Städte abgesetzt und ihn mit dem elterlichen Hof allein gelassen. Beim Tod der Eltern haben sie beschlossen die Ländereien zu verkaufen und das Geld unter sich zu verteilen. Einzig Bernd hat sich dagegengestemmt.
Die Arbeit scheint Bernd über den Kopf zu wachsen. Er hat sich damit arrangiert und macht nur das drängendste. Die dringend notwendige Modernisierung bleibt auf der Strecke. Nun bin ich als Friseurin aber nicht vom Fach. Mir macht es aber Spaß in der Natur zu arbeiten und so bin ich zu Bernd gezogen, um ihm unter die Arme zu greifen. Das alte Bauernhaus hat es mir besonders angetan. Ich habe mich richtiggehend hinein verliebt.
Also haben wir uns aufgeteilt. Ich kümmere mich ums Haus und Bernd um das Vieh. Die kleine Rinderherde wird von Bernd morgens auf die Weide getrieben und abends zurück in den Stall, wo die Kühe dann noch gemolken werden müssen. Während die Rinder auf der Weide sind, muss der Stall ausgemistet und der Boden mit frischem Stroh ausgelegt werden. Außerdem müsste er das alte Gemäuer längst ausbessern.
Gleiches gilt zwar auch für das Haus, aber das haben wir erst zurückgestellt. Ich kümmere mich um das Einkaufen, kochen und den Innenausbau des Bauernhauses, das auch längst eine Frischzellenkur nötig hat. Trotzdem habe ich oft den Eindruck, dass alles eine Sysiphus-Arbeit ist. Allmählich kann ich Bernds Geschwister verstehen. Aber gleichzeitig sehe ich, wie eng Bernd mit dem elterlichen Hof verbunden ist. Er würde sehr wahrscheinlich in der Stadt kein Bein auf den Boden bekommen – ein echter Naturbursche eben… Genau dieser Wesenszug fasziniert mich so an ihm.
Mit uns im Haus hat anfangs noch die inzwischen 15 Jahre alte Colliehündin Yucca gelebt. Von ihr habe ich viel gelernt für unsere Rollenspiele, in denen ich Bernds Hündin bin. Nach sieben Monaten ist sie jedoch verstorben. Bernd ist hin und her gerissen gewesen. Einerseits hätte ein neuer Hofhund ihm über den Verlust hinweggeholfen, andererseits haben wir keine finanzielle Luft.
Bernds Bank im nächsten Bauerndorf liegt ihm auch ständig in den Ohren, seinen Betrieb zu modernisieren, auf industrielle Viehhaltung umzustellen und sich dafür hoch zu verschulden. Gerade jetzt in der Niedrigzinsphase wären die Voraussetzungen besonders günstig. Sein Steuerberater ist gleichzeitig Unternehmensberater. Der Mann ist nicht gerade begeistert von der Bankofferte.
Da lernen wir Nicci und deren Partner Peter kennen. Sie wohnen nur etwa 90 km entfernt nördlich der Mosel. Bald darauf kommen sie uns besuchen und packen schnell tatkräftig mit an, was sie uns gleich sehr sympathisch macht. Abends beim gemütlichen Beisammensitzen – es ist bei all der Arbeit für mich die einzige Möglichkeit in meine Rolle zu schlüpfen – spiele ich mit Nicci auf allen Vieren, als Peter plötzlich Bernd eine Frage stellt:
„Sag mal Bernd – ich weiß, es gibt positiven und negativen Stress. Negativer Stress macht uns mit der Zeit krank, während positiver Stress uns seelisch stärkt. – Aber wäre es nicht schöner, hier auf dem Land sein Auskommen zu haben, ohne sich ständig Gedanken machen zu müssen, wie es morgen weitergeht? Fühlst du dich momentan nicht wie in einem Hamsterrad gefangen?“
„Was meinst du damit?“ fragt Bernd und runzelt die Stirn. Gute Ratschläge haben wir schon zuhauf gehört…
„Hier in der Nähe führt doch der Hunsrück-Höhenweg vorbei. Das ist eine touristisch erschlossene Strecke, die dem ländlichen Raum zusätzliche Einnahmen bringen soll. Nimm mal folgendes Szenario an: Du baust deine Stallungen um. Machst Gästezimmern für Radwanderer auf dem Höhenweg daraus. Wenn sie wissen, dass sie hier übernachten können, biegen sie gerne von der Hauptstrecke ab, und du verdienst an den Übernachtungen.
Willst du trotzdem Landwirt bleiben, statt komplett ins Hotelfach zu wechseln, dann halte ein paar Hühner und eine Kuh für frische Eier und Milch zum Frühstück. So sparst du an deinen Lebensmitteleinkäufen. Auch die Zimmer können gerne spartanisch sein. Mir fallen da sogenannte Heuhotels ein. Informiert euch ruhig mal und rechnet das durch.“



Nicci (27)
„Siehst du,“ sage ich. „Unser Vertrag braucht nicht schriftlich niedergelegt werden, wenn wir es ernst damit meinen, auf den Anderen zu achten und ihn als Person zu respektieren!“
Peter beugt sich vor und beginnt mich zu streicheln. Ich recke mich und biete ihm meinen Kussmund, den er bereitwillig annimmt. Die Welt versinkt um uns.

*

Ein halbes Jahr ist inzwischen ins Land gegangen. Einiges ist passiert. Eine Firma, die ausländische Arzneimittel für den deutschen Markt umettiketiert, hat einen Bürokaufmann gesucht. Ich habe mich beworben und nach einem Vorstellungstermin einen Termin fürs Probearbeiten bekommen. ‚Huch‘, habe ich mir gedacht. ‚Was wollen die denn an einem Tag feststellen? Büro ist doch Büro.‘
An diesem Tag bin ich ganz schön unter Stress gestanden! Ich habe abends, als Peter mich abgeholt hat, kein besonders gutes Gefühl gehabt. Und tatsächlich, drei Wochen später ist die schriftliche Absage eingetroffen ohne weitere Begründung. Peter hat mich mehrere Tage getröstet und versucht abzulenken. Drei Monate später macht er mich auf einen Zeitungsartikel aufmerksam, in dem berichtet wird, dass die Firma insolvent ist.
Er nickt mir zu und kommentiert das:
„Gut, dass du die Stelle nicht bekommen hast! Sonst stündest du jetzt auf der Straße.“
„Aber ich habe so oder so bis jetzt keine Stelle,“ gebe ich zu bedenken.
„Stell dir vor, wie du dich fühlen würdest, wärst du jetzt entlassen worden! Das ist dir erspart geblieben,“ meint er dazu. „Es geht auch ohne zusätzliches Geld ganz gut!“
Einige Tage danach mache ich ihn auf etwas aufmerksam, das ich im Internet gefunden habe.
„Schau mal hier, das Zeichen sieht beinahe aus wie eine Hundepfote…“
„Ja, und?“ fragt er, um Verständnis heischend.
„Hast du dir nie überlegt, mir ein Tattoo stechen zu lassen?“
Er lächelt mich an und antwortet:
„Ich bin nicht dafür, dass sich jemand mit der Zeit seine Haut komplett zustechen lässt – ein Tattoo neben dem Anderen. Ein oder zwei Tattoos, die eine bestimmte Bedeutung für uns Beide haben, gerne!“
„An was denkst du dabei?“ frage ich und schaue ihn offen an.
„Die Hundepfote an exponierter Stelle – da sage ich nicht nein!“ gibt er zurück.
„Wo soll ich sie mir hinstechen lassen? Was ist für dich eine ‚exponierte Stelle‘?“
Er zuckt mit der Schulter und antwortet:
„Zum Beispiel die Schulter?“
Ich suche also nach einem Tattoo-Studio in der Nähe und bitte Peter, mit mir dorthin zu gehen. Einige Tage ist die Umgebung des Tattoos noch rot und muss mit einer Creme behandelt werden. Mehrere Wochen später nimmt Peter Kontakt mit einem jungen Paar auf, die einen Bauernhof bewirtschaften. Die Frau ist ebenfalls eine Doggie. Beide haben sich da gerade erst in der Petplay-Community angemeldet. Sie freuen sich, schnell Kontakt bekommen zu haben.
Peter hat ihnen versichert, dass ihm ihr Paarprofil gefallen hat. Er hält sie für seelenverwandt gewissermaßen. Sie lesen sich durch die Beiträge und kommen immer wieder mit Fragen auf Peter zu, die er ihnen geduldig beantwortet. Irgendwann fragt er ziemlich indiskret, ob sie in der momentanen wirtschaftlichen Situation denn keine Probleme haben. Er hätte gerade gelesen, dass einige Bauernhöfe für Radwanderer ihre Ställe als ‚Heuhotels‘ geöffnet haben.
Es gehen wieder einige Wochen in das Land, da meint Bernd – wie der männliche Part des Paares heißt – er hätte sich im Internet umgeschaut und dann mit einem Architekten und seinem Steuerberater über die Sache gesprochen. Er will die Ställe innen mit Holzpanelen verkleiden und einige zusätzliche Fenster in die Außenmauern brechen. Reich würde man davon allerdings nicht, meint er noch.
„Aber du hast keine Gülle mehr! Der Duft von Bäumen und Sträuchern kann sich ausbreiten. Du stellst endlich fest, wie idyllisch das Leben auf dem Land sein kann,“ antwortet Peter ihm. „Außerdem kannst du deine Location für Petplayer öffnen, die ja doch immer nach Häusern mit Wiesen suchen, wo sie ihr Faible ausleben können!“
Da Peter ihm angeboten hat zu helfen - wenn er zeitlich kann -, fahren wir die 150km bis zu Bernd in den Hunsrück und schauen uns die Sachlage vor Ort an. Tatsächlich, der Hof liegt am Hunsrück-Höhenweg, einer touristisch erschlossenen Strecke. Bernd hat nur noch wenige Stück Vieh. Es sind gerade genug, dass er damit sich, Jasmin, seine Doggie, und eventuelle Gäste verköstigen kann.
Hühner liefern Eier. Alte gerupfte Hühner werden zu Hühnersuppe verarbeitet. Ein Hahn sorgt für mäßigen Nachwuchs. Ziegen liefern Milch und daraus wird zum Teil Käse hergestellt. Hin und wieder bringt er eine der Ziegen zum Schlachter. Ab und zu mietet er einen Bock von seinem Nachbarn, um über Zicklein seinen Bestand gleichzuhalten.
Den größten Teil der Stallungen hat er in Zimmer unterteilt. Diese befinden sich auf der Seite der Stallungen, wo die Fenster hinaus in die umgebende Natur zeigen. Auf der anderen Seite der Stallungen hat er Duschen und Toiletten in ausreichender Zahl installiert. Hier befinden sich auch die Fahrradboxen. Bernd hat sogar an eine kleine Fahrradwerkstatt mit Ersatzteillager gedacht.
Peter hilft ihm bei der Wandvertäfelung. Dafür verwenden wir die nächsten Wochenenden und Peters Jahresurlaub, den er ins nächste Frühjahr legt.
Die Zimmer haben hinter der Tür, nachdem man hinein gegangen ist und sich umgedreht hat, rechts einen Schrank und links Waschbecken, Spiegel und Haken. Diese Wand ist mit Ziegeln gemauert und gekachelt. Kacheln bedecken auch den Boden und die Rückwand bis in Höhe des Fensters. Ein etwa einen Meter breiter Raum an der Zimmertür, über die gesamte Zimmerbreite ist durch ein kniehohes Mäuerchen abgetrennt. Dieses Mäuerchen und die Seitenwände werden von Bernd und Peter mit Holzpanelen verkleidet. Die Decke und die Rückwand neben und über dem Fenster streichen die Männer weiß. Der Abschluss des Mäuerchens bildet eine Holzbohle.