Samstag, 29. August 2020
Yamato Meinu - 01
-Die Ninkyo Dantai-

„Sag mal, Jason, du bist doch Hundeflüsterer…“
Ich muss über den Begriff schmunzeln. Eigentlich bin ich Hundetrainer. Aber natürlich habe ich mir über die Jahre auch ein großes Wissen über die nonverbalen Signale der Hunde angeeignet. Man könnte sagen, sie unterhalten sich untereinander und mit mir mittels ihrer Gestik und Mimik. Aber eigentlich weiß mein Chef das alles! Was will er mir also damit sagen?
„Jaaa,“ dehne ich daher meine Antwort und schaue ihn fragend an.
„Tjaa,“ windet sich mein Chef nun, bevor er mir direkt in die Augen sieht. „Meine Tochter Ariella studiert an einer Uni in Japan die japanischen Wölfe und deren Aufgehen in den Shiba-Hunden, wie du weißt. Sie hat sich seit Wochen nicht mehr gemeldet. Würdest du mir den Gefallen tun und dort nach dem Rechten sehen? Vielleicht ist ja alles in Ordnung…“
„Gerne, Chef!“ antworte ich ihm. „Aber was hat das damit zu tun, dass ich Hundeflüsterer sein soll?“
„Ariella macht im Rahmen des Studiums ein Seminar über Nonverbale Kommunikation in einer japanischen Hundeschule… Warte mal… Hier, die Organisation heißt Ninkyo Dantai und die Schule Meinu Do. Sie liegt außerhalb der Hauptstadt in den Bergen!“

*

Der Auslandseinsatz im Auftrag des Chefs weckt meine Neugier. Er hat mir Flug und Unterbringung bezahlt und nun soll ich für ihn recherchieren. Es ist nicht einfach gewesen einen Kontakt herzustellen. Die Organisation ‚Ninkyo Dantai‘ hält sich irgendwie bedeckt. Schließlich habe ich es doch geschafft. Meine Kontaktperson, ein Mann mit ergrauten Haaren, nennt mir für ein erstes Gespräch ein kleines, versteckt liegendes Hinterhoflokal. Ich betrete es und schaue mich suchend um.
In diesem Moment tritt eine junge Japanerin an mich heran, beugt lächelnd den Oberkörper leicht vor und spricht mich an:
„Irasshai mase -Willkommen!“
Ich nicke ihr lächelnd zu und sage, dass ich hier von Amatsuka-San erwartet werde, wie mein Kontaktmann heißt. Sie lächelt zurück und weist mit der Hand in den Raum. Ich folge ihr zu einem freien Tisch, auf dem eine kleine Schale mit Wasser bereitsteht und ein Gästetuch gefaltet daneben liegt.
Ich nehme das Angebot an und tauche meine Finger in die Schale, um sie danach mit dem Tuch abzutrocknen. Auf dem Flug von Edmonton hierher habe ich in einem Japan-Führer gelesen, dass man hier so etwas macht. Japaner sind wahrscheinlich ein reinliches Völkchen.
Nachdem ich einige Minuten gewartet habe, tritt jemand an meinen Tisch. Ich erkenne Amatsuka-San und erhebe mich, um ihn zu begrüßen. In diesem Moment werde ich von hinten festgehalten und man hält mir ein Tuch vor Nase und Mund.

*

Als ich erwache, habe ich leichte Kopfschmerzen und keine Ahnung, was mit mir geschehen ist und wie ich hierher gekommen bin. Ich öffne die Augen und sehe mich auf einer Futon-Matratze in einem sonst fast leeren Raum liegen. Zu meiner Rechten hängt ein großes Blatt Reispapier mit japanischen Schriftzeichen.
Auf der anderen Seite hängt eine hölzerne Halterung an der Wand. Darin steckt ein Ken -Schwert- und eine Gerte. Eine strenge Würde geht von den Dingen aus, als seien sie zum Gebrauch bereit.
Außer diesem Wandschmuck, dem Futonbett, zwei Stühlen und einem Tisch, ist der Raum leer. Die Stühle haben, wie hier in Japan üblich, keine Stuhlbeine und der Tisch ist nur so hoch, wie die Couchtische bei uns zuhause. Der Fußboden ist mit Reisstrohmatten bedeckt und die Wände bestehen aus verschiebbaren Elementen, von denen ich noch nicht weiß, welche davon Schiebetüren sind, um hinaus zu gelangen, und welche Schranktüren.
Ich richte mich in Sitzposition auf und bemerke, dass ich vollkommen nackt bin. In diesem Moment gleitet ein Wandelement zur Seite und mein Kontaktmann betritt den Raum.
„Ah, Mackenzie-San, Sie sind wach!“ bemerkt er lächelnd und neigt den Kopf leicht. „Entschuldigen Sie die Umstände. Aber Sie dürfen nicht wissen, wo Sie sich hier befinden.“
Er klatscht in die Hände und in der Tür erscheint eine junge Japanerin. Ich meine, ich hätte sie schon einmal gesehen. Sie legt ihre Hände flach an ihre Oberschenkel und beugt sich mit dem ganzen Oberkörper leicht vor. Amatsuka-San spricht mit ihr auf Japanisch, woraufhin sie ein weiteres Wandelelement zur Seite bewegt. Sie öffnet einen Schrank und reicht mir Unterkleidung, eine Hose, ein Longshirt mit Gürtel und Schuhe, deren Riemen wohl bis zu den Knien hinauf geschnürt werden.
Mein Besucher ist währenddessen zur Tür gegangen. Im Hinausgehen meint er:
„Lassen Sie sich von Yuna-Chan ruhig beim Ankleiden helfen. Sie können Sie heute Abend gerne haben.“
Ich kräusele die Stirn und schaue mir die Frau genauer an. Es ist die Frau, die mir in dem Hinterhoflokal den Tisch zugewiesen hat. Sie trägt hüftlanges schwarzes Haar und jetzt ein oberschenkellanges schwarzes Kleid auf dem eine Menge blaßrosa Muster prangen, mit weiten Ärmeln und lange weiße Strümpfe. Um den Hals trägt sie einen dünnen metallenen Reif mit einer Plakette daran. Die Kleidung, die sie mir reicht, ziehe ich unter der Decke auf dem Futon sitzend an. Dann schlage ich schließlich die Decke zur Seite, erhebe mich und ziehe alles zurecht.
Mein Gegenüber mustert mich, dann beugt sie sich wieder höflich vor und sagt etwas auf Japanisch. Da ich die Sprache nicht verstehe, zucke ich mit den Schultern und nicke. Nun legt sie Hand an, richtet den Gürtel und schnürt mir die Schuhe, nachdem sie sich vor mir auf ihre Knie niedergelassen hat. Anschließend geht sie zur Tür des Zimmers und sagt dort etwas.
Amatsuka-San betritt meinen Schlafraum erneut und sagt etwas in hartem Ton zu Yuna, die daraufhin sofort verschwindet.