Donnerstag, 6. August 2020
Nicci (32)
Er und Bernd sind inzwischen aufgestanden. Sie haben ihren Doggies aus Plastikflaschen trinken lassen. Danach ist Bernd mit den Tellern und dem restlichen Geschirr nach drinnen gegangen, während Peter auf das Doppeltor des Anbaus zugeht. Beide Doggies folgen ihm langsam. Also schließe ich mich den anderen Doggies an.
Peter öffnet das Tor und holt eine Reihe Gerätschaften hervor, die er auf einen Handwagen legt und schließlich das Tor wieder schließt. Jetzt zieht er etwa zehn rot-weiße Plastik-Hütchen auseinander und stellt sie hintereinander auf die Wiese. Dahinter stellt er zwei hölzerne Dreibeine, bei denen eins der Beine sicher viermal so lang ist, wie die beiden anderen. So ergeben sich Hindernisse. Am Ende der Wiese zieht er einen Stofftunnel auseinander und fixiert ihn auf dem Boden. Auf dem Weg zurück zur Terrasse verteilt er noch drei weitere Hindernisse so, dass das lange Bein mal nach rechts, mal nach links zeigt. Dann fährt er den Handwagen auf die Seite.
Bernd ist inzwischen wieder hinzugekommen und sagt nun:
„Jasi, zeig unserem Gast mal, wie man solch einen Parcours bewältigt. LOS!“
Jasmin ist vorhin zu ihrem Owner gelaufen, als Bernd die Terrasse wieder betreten hat. Dabei ist sie tatsächlich auf ihren Händen in den Pfotenfäustlingen und den Spitzen ihrer flexiblen Spezialschuhe gelaufen. Ihre Knie waren von Boden abgehoben. Ich staune, denn das schaffe ich nicht. Das habe ich noch nie versucht.
Sie hat vor Bernd SITZ gemacht mit dem Hintern auf ihren Fersen. Nun hebt sie den Hintern an, sieht dabei aus, wie ein Hundertmeter-Läufer am Start und stößt sich ab. Sie läuft wieder auf Fingerknöcheln und Zehen, nimmt die Hütchen mal rechts, mal links und springt nach dem Slalom über die beiden Hindernisse, indem sie die Hände anhebt, die Beine streckt, mit den Händen hinter dem Hindernis wieder auf dem Boden aufkommt und die Beine nachzieht. Schließlich kriecht sie durch den Tunnel – jetzt wohl auf Händen und Knien – und nimmt dann die restlichen drei Hindernisse im Slalom, indem sie auf allen Vieren immer über das lange Holz springt.
Ich mache große Augen, als ich das sehe. Dafür bräuchte ich sicher viel Übung, will ich das genauso elegant machen wie Jasi. Mit diesen Gedanken im Kopf schaue ich von Bernd zu Peter. Letzterer lacht und fragt:
„Sport liegt dir nicht, Maddox? Was denkst du wohl, wie viele ‚Oh’s‘ und ‚Ah’s‘ du auf Events ernten würdest… Aber gut, überleg‘ dir das halt nochmal und tritt dann in einer der nächsten Sessions mit dem Wunsch an uns heran. – Falls es dir Spaß macht und dir die Entfernung nicht zu weit ist!
Jetzt, an unserem ersten Treffen, wollte ich kein großes Training ansetzen, sondern ein spielerisches Kennenlernen.“
Er nimmt einen Gegenstand vom Terrassentisch und wirft ihn auf die Wiese. Sofort drehen sich Nicci und Jasi in Richtung Wiese. Sie haben genau wie ich in SITZ-Position in Richtung ihrer Herrchen gesessen. Jetzt heben sie ihren Hintern von ihren Fersen ab und starten wie Hundertmeter-Läuferinnen, indem sie sich vom Boden abstoßen, ihre Hinterbeine strecken und im Zweifüßlergang auf die Wiese laufen.
Nicci bückt sich als Erste, hebt den Gegenstand auf und läuft zu Peter zurück. Dort gibt sie den Gegenstand ab und geht sofort wieder in SITZ-Position. Eine gute Sekunde später ist auch Jasi wieder zurück und macht vor Bernd SITZ, schaut aber aufmerksam zu Peter herüber.
Ich habe den dunklen Gegenstand fliegen gesehen und bin ein paar Schritte auf Händen und Knien hinter den Mädels her. Als ich gesehen habe, dass ich chancenlos bin, habe ich mich jedoch ins Gras gesetzt und zugeschaut.
Peter kommt zu mir und setzt sich im Schneidersitz neben mich auf die Wiese.
„Maddox, je mehr du bei uns zuschaust, desto verblüffter scheinst du zu sein. Was du siehst, entspricht wohl gar nicht deinem Verständnis von Dogplay. Zuerst war da, dass unsere Doggies das Gleiche zu essen bekommen, was auch wir essen. Jetzt siehst du sie auf ihren ‚Hinterbeinen‘ apportieren…“
Ich schaue ihn an und nicke.
„Es heißt doch, wenn du ins ‚Dogspace‘ abgleitest, sollst du dich ‚fallenlassen‘ im Vertrauen darauf, dass der Owner die Verantwortung für sein Doggie trägt, es beschützt, für es sorgt. Doggie kann sich sicher und geborgen fühlen, frei von Alltagsstress. Doggie sein ist also zuerst einmal eine seelische Sache: Wenn du deinen inneren Hund herauslässt und dafür dein Menschsein vorübergehend in dein Herz einschließt, dann kannst du auch auf zwei Beinen Hund sein.“
Ich schaue ihn weiter an und überlege, dass das wohl doch ein tiefergehendes Hundsein sein muss, als es den Anschein hat. Peter redet weiter:
„Du brauchst, um ins Dogspace abzutauchen, dein Kostüm, ausschließlich den Vierfüßlergang und die Tiernahrung. Das akzeptieren wir vollkommen, weil wir dich als Person respektieren und deine Ansichten tolerieren. Wo kämen wir auch sonst hin…“
Er zeigt mir den Gegenstand, den er wohl vorhin auf die Wiese geworfen hat. Es ist ein brauner Plastik-Knochen. Er wirft ihn auf die Wiese und ich laufe auf allen Vieren dorthin, wo ich ihn niedergehen sehe. Inzwischen ist Peter aufgestanden und zur Terrasse zurückgekehrt. Ich nehme den Plastik-Knochen mit dem Mund auf und bringe ihn – immer noch auf allen Vieren – zur Terrasse zurück. Peter hält mir die Hand hin, zwinkert und sagt AUS!
Ich lasse den Knochen in seine Hand fallen. Peter wendet sich an Nicci und sagt zur ihr:
„Du kannst gerne Maddox Gesellschaft leisten. Dann aber auf allen Vieren!“
Dann wirft er den Knochen und ruft:
„Maddox, Nicci, HOL!“
Wir starten beide. Nicci überholt mich schon wieder! Ich verharre einen Augenblick und schaue verdutzt Nicci hinterher. Sie läuft auf den Fäusten, die in den Pfotenfäustlingen stecken, und hat die Knie vom Boden abgehoben. Sie läuft hinten auf den Fußspitzen. Nur die Zehen bis zu den Zehenballen berühren den Boden, was man wegen der flexiblen Spezialschuhe gut sehen kann. Die Fersen zeigen nach oben, so dass die Unterschenkel ungefähr parallel zum Wiesenboden sind und die Knie gerade mal die Spitzen der Grashalme berühren.
Das versuche ich jetzt auch.
Schon hat Nicci den Knochen erreicht und nimmt ihn hoch. Dann kommt sie zurückgelaufen. Ihr auf Händen und Knien zur Terrasse folgend, setze ich meine Knie wieder auf dem Boden ab. Ich spüre meine Unterschenkelmuskulatur und die Archillessehne an der Ferse.
‚Will ich mich irgendwann genauso fortbewegen, muss ich wohl mehr Sport treiben,‘ denke ich und grinse in mich hinein. Denn das Üben dieser Gangart kommt ‚Sport treiben‘ gleich, sonst würde ich nicht die Unterschenkelmuskulatur derart spüren.



Nicci (31)
Peter betritt mit mir den Anbau. Wir steigen eine Treppe hinauf und gehen oben einen Gang entlang, der durch ein Fenster mit getönter Scheibe an seinem Ende erleuchtet wird. Dann halten wir vor einer Tür.
„Ich habe gar keine richtigen Fenster außen gesehen…“ kommentiere ich meinen Eindruck.
Peter zuckt mit den Schultern.
„Zur Wiese hin findest du die Gemeinschafts- und Hygieneräume. Wir haben uns dafür entschieden, keins der Zimmer mit Toilette und Dusche auszustatten, sondern sie in Kabinen in Gemeinschafträume zu gruppieren. Um Licht hinein zu bekommen und trotzdem eine Art Privatsphäre zu erhalten, haben wir uns für ein schmales Fensterband unter der Decke entschieden. Die Zimmer haben normale Fenster, die jedoch Spiegelglas erhalten haben. So kann man zwar hinausschauen, aber nicht von draußen hinein.“
„Ah,“ mache ich noch, dann öffnet Peter schon das Zimmer.
Drinnen stehe ich vor einem Gitter auf einem Querbalken.
Mir entfährt ein erstauntes „Oh…“
„Richte dich erst einmal ein, Andy. Dann schlüpf‘ in deine Rolle und komm runter zur Terrasse. Wir haben bis dahin dort Kaffeegedecke aufgebaut,“ bietet Peter an.
„Kaffee für Petplayer?“ frage ich und schaue ihn schräg an.
Peter schmunzelt.
„Wenn du lieber Wasser magst – als Doggie - wird das natürlich berücksichtigt!“
Dann lässt Peter mich allein und ich schaue mich im Zimmer etwas um. Gleich hinter der Tür befindet sich ein etwa anderthalb Meter breiter Bereich in dem Schrank, Tisch und zwei Stühle stehen. Auf der anderen Seite der Tür befinden sich ein Waschbecken mit Spiegelrückwand und einige Haken. Ich beginne meine Tasche zu leeren und meine Hygiene-Artikel auf der Ablage vor dem Spiegel zu platzieren.
Dann verlasse ich das Zimmer und inspiziere die Toiletten und Duschen draußen im Gang gegenüber. Das Ganze bekommt dadurch den Touch einer Jugendherberge, wie ich sie aus den Erzählungen meiner Eltern kenne. Ich bin selbst noch nie in so einem Haus gewesen, aber ich habe mir sagen lassen, dass der Standard in Jugendherbergen heute auch schon besser ist.
Zurück im Zimmer schaue ich mir das Gitter näher an. Es läuft in je einer Schiene auf dem Baumstamm am Boden und an der Decke. Es sind eigentlich zwei Gitter, die man von beiden Seiten des Zimmers heranziehen und in der Mitte verriegeln kann. Hinter dem Stamm, der etwa zwei Treppenstufen hoch ist, wurde der Boden des Zimmers etwa ein Handbreit hoch mit Stroh ausgelegt. Ich breite meinen Schlafsack dort aus, nachdem ich eine Decke aus dem Schrank auf einem Teil des Strohs ausgelegt habe.
Anschließend ziehe ich meine Alltagskleidung aus und das lederne Hundekostüm an, das ich mitgebracht habe. Spezielle Schuhe und Pfotenfäustlinge mit Klettverschluss folgen. Den Abschluss bildet eine Hundekopf-Halbmaske. Ich begutachte noch einmal alles vor dem Spiegel und verlasse danach mein Zimmer, gehe die Treppe hinunter zum Eingang des Anbaus, trete hinaus und lasse mich dann auf Hände und Knie herab. So gehe ich langsam zur Terrasse hinüber.
Peter sieht mich kommen, erhebt sich und kommt mir ein paar Schritte entgegen. Lächelnd tätschelt er mir den Kopf und erklärt:
„Deiner ist der rote Napf!“
Er zeigt auf den Napf, der alleine am Rand der Wiese auf der Terrasse steht. Es ist eine ‚Doppelschüssel‘ aus Plastik. In der einen Schale finde ich Hunde-Leckerlies und in der anderen Schale ist Wasser, wie wir es vorher telefonisch vereinbart haben. Ich möchte so nahe wie möglich an die echte Hundehaltung herankommen. Dazu gehört nach meiner Auffassung auch richtiges Hundefutter. Peter hat zwar am Telefon das Gegenargument gebracht, dass der menschliche Metabolismus nicht darauf eingerichtet ist, sich nur von Fleisch zu ernähren. Ich habe das Argument damals damit entkräftet, dass die Samen und Innuit, also die Völker am Polarkreis, sich seit Jahrtausenden nur von Robben- und Renfleisch ernähren.
Die beiden anderen Doggies von Peter und Bernd nehmen ihren Snack von einem Teller neben den Plätzen ihrer Owner am Terrassentisch. Er setzt sich wieder an den Tisch und lehnt sich entspannt zurück.
Bei meinem Napf angekommen, klappe ich die Halbmaske in den Nacken und nehme eins der Hunde-Leckerlies mit dem Mund auf. Nun lege ich mich auf die Seite und zerkaue es. Danach richte ich mich wieder auf alle Viere auf und beuge mich nun über die Wasserschale meines Napfes. Ich schlürfe einen Schluck heraus und nehme ein zweites Leckerlie in den Mund, um es dann wieder auf der Seite liegend langsam zu zerkauen.
Die Ruhe wird von Bernd gestört, der den Teller seiner Doggie vom Boden hochnimmt und sich an Peter wendet:
„Was wollen wir heute noch machen?“
Ich drehe mich so, dass ich die Anderen im Blick habe und schaue interessiert in Richtung Bernd. Die anderen Doggies horchen ebenfalls auf. Die Frauen haben in ihrer Rolle als Doggies außer einem Riemchen-Outfit aus Leder, Spezialschuhe und Pfoten-Handschuhen nichts an. Ihre Knie sind von leichten Knieschonern aus Stoff geschützt.
‚Nun ja, jeder so wie er mag…‘ denke ich mir.
„Ich denke, wir machen etwas Dog-Agility. Da kann Andy mitmachen. - Ich hole schonmal die Gerätschaften aus dem Schuppen,“ bietet Peter an.
„Mein Name ist ‚Underdog‘,“ protestiere ich.
Peter schaut mich an und schmunzelt.
„Überlege mal, du hättest einen echten Hund und würdest ihn auf einer weitläufigen Wiese oder zuhause in zärtlichen Momenten so rufen. Nach dem Motto ‚der Name ist Programm‘ kannst du dir gerne in der Community diesen Nicknamen geben und damit signalisieren, dass du gerne tust, was man dir sagt. Aber im Rollenspiel – wenn du dabei einem echten Hund möglichst nahekommen willst – solltest du dir einen Hundenamen ausdenken. Die Bandbreite ist riesengroß! Zum Einen, irgendeinen Vornamen (der Einfachheit halber dein eigener Vorname), oder eine deiner Eigenschaften (dann gerne auf Englisch oder Französisch, oder in welcher Sprache auch immer), oder einen Kunstnamen, der wie alle anderen Rollennamen aus zwei bis drei melodischen Silben besteht.“
Da ich Peter nun grübelnd anschaue, gibt er mir Beispiele:
„Also, wenn du einen anderen, als deinen Vornamen brauchst, um damit zu verdeutlichen ‚Jetzt ist mein Hundecharakter gemeint‘, dann wähle zum Beispiel Happy, Lucky, Maddog. Oder wähle Bezeichnungen aus der Pflanzenwelt mit Eigenschaften, die zu dir passen: Der Mescalin-Kaktus ist zum Einen stachelig wie alle Kakteen. Seine Inhaltsstoffe haben die Schamanen der Indianer genutzt, um ihre Seele fliegen zu lassen, also in eine andere Sphäre zu gelangen…“
„Hm,“ brumme ich. „Mescalin… Maddog…“
„‘Mad‘ bedeutet ‘Crazy‘, also ‘Verrückt‘…“ sagt Peter, breit grinsend. „Also ‚verrückter Hund‘…“
Ich lache.
„Dann nehmen wir ‚Maddox‘,“ entscheide ich.
„Gut,“ sagt Peter.