Nicci (31)
Peter betritt mit mir den Anbau. Wir steigen eine Treppe hinauf und gehen oben einen Gang entlang, der durch ein Fenster mit getönter Scheibe an seinem Ende erleuchtet wird. Dann halten wir vor einer Tür.
„Ich habe gar keine richtigen Fenster außen gesehen…“ kommentiere ich meinen Eindruck.
Peter zuckt mit den Schultern.
„Zur Wiese hin findest du die Gemeinschafts- und Hygieneräume. Wir haben uns dafür entschieden, keins der Zimmer mit Toilette und Dusche auszustatten, sondern sie in Kabinen in Gemeinschafträume zu gruppieren. Um Licht hinein zu bekommen und trotzdem eine Art Privatsphäre zu erhalten, haben wir uns für ein schmales Fensterband unter der Decke entschieden. Die Zimmer haben normale Fenster, die jedoch Spiegelglas erhalten haben. So kann man zwar hinausschauen, aber nicht von draußen hinein.“
„Ah,“ mache ich noch, dann öffnet Peter schon das Zimmer.
Drinnen stehe ich vor einem Gitter auf einem Querbalken.
Mir entfährt ein erstauntes „Oh…“
„Richte dich erst einmal ein, Andy. Dann schlüpf‘ in deine Rolle und komm runter zur Terrasse. Wir haben bis dahin dort Kaffeegedecke aufgebaut,“ bietet Peter an.
„Kaffee für Petplayer?“ frage ich und schaue ihn schräg an.
Peter schmunzelt.
„Wenn du lieber Wasser magst – als Doggie - wird das natürlich berücksichtigt!“
Dann lässt Peter mich allein und ich schaue mich im Zimmer etwas um. Gleich hinter der Tür befindet sich ein etwa anderthalb Meter breiter Bereich in dem Schrank, Tisch und zwei Stühle stehen. Auf der anderen Seite der Tür befinden sich ein Waschbecken mit Spiegelrückwand und einige Haken. Ich beginne meine Tasche zu leeren und meine Hygiene-Artikel auf der Ablage vor dem Spiegel zu platzieren.
Dann verlasse ich das Zimmer und inspiziere die Toiletten und Duschen draußen im Gang gegenüber. Das Ganze bekommt dadurch den Touch einer Jugendherberge, wie ich sie aus den Erzählungen meiner Eltern kenne. Ich bin selbst noch nie in so einem Haus gewesen, aber ich habe mir sagen lassen, dass der Standard in Jugendherbergen heute auch schon besser ist.
Zurück im Zimmer schaue ich mir das Gitter näher an. Es läuft in je einer Schiene auf dem Baumstamm am Boden und an der Decke. Es sind eigentlich zwei Gitter, die man von beiden Seiten des Zimmers heranziehen und in der Mitte verriegeln kann. Hinter dem Stamm, der etwa zwei Treppenstufen hoch ist, wurde der Boden des Zimmers etwa ein Handbreit hoch mit Stroh ausgelegt. Ich breite meinen Schlafsack dort aus, nachdem ich eine Decke aus dem Schrank auf einem Teil des Strohs ausgelegt habe.
Anschließend ziehe ich meine Alltagskleidung aus und das lederne Hundekostüm an, das ich mitgebracht habe. Spezielle Schuhe und Pfotenfäustlinge mit Klettverschluss folgen. Den Abschluss bildet eine Hundekopf-Halbmaske. Ich begutachte noch einmal alles vor dem Spiegel und verlasse danach mein Zimmer, gehe die Treppe hinunter zum Eingang des Anbaus, trete hinaus und lasse mich dann auf Hände und Knie herab. So gehe ich langsam zur Terrasse hinüber.
Peter sieht mich kommen, erhebt sich und kommt mir ein paar Schritte entgegen. Lächelnd tätschelt er mir den Kopf und erklärt:
„Deiner ist der rote Napf!“
Er zeigt auf den Napf, der alleine am Rand der Wiese auf der Terrasse steht. Es ist eine ‚Doppelschüssel‘ aus Plastik. In der einen Schale finde ich Hunde-Leckerlies und in der anderen Schale ist Wasser, wie wir es vorher telefonisch vereinbart haben. Ich möchte so nahe wie möglich an die echte Hundehaltung herankommen. Dazu gehört nach meiner Auffassung auch richtiges Hundefutter. Peter hat zwar am Telefon das Gegenargument gebracht, dass der menschliche Metabolismus nicht darauf eingerichtet ist, sich nur von Fleisch zu ernähren. Ich habe das Argument damals damit entkräftet, dass die Samen und Innuit, also die Völker am Polarkreis, sich seit Jahrtausenden nur von Robben- und Renfleisch ernähren.
Die beiden anderen Doggies von Peter und Bernd nehmen ihren Snack von einem Teller neben den Plätzen ihrer Owner am Terrassentisch. Er setzt sich wieder an den Tisch und lehnt sich entspannt zurück.
Bei meinem Napf angekommen, klappe ich die Halbmaske in den Nacken und nehme eins der Hunde-Leckerlies mit dem Mund auf. Nun lege ich mich auf die Seite und zerkaue es. Danach richte ich mich wieder auf alle Viere auf und beuge mich nun über die Wasserschale meines Napfes. Ich schlürfe einen Schluck heraus und nehme ein zweites Leckerlie in den Mund, um es dann wieder auf der Seite liegend langsam zu zerkauen.
Die Ruhe wird von Bernd gestört, der den Teller seiner Doggie vom Boden hochnimmt und sich an Peter wendet:
„Was wollen wir heute noch machen?“
Ich drehe mich so, dass ich die Anderen im Blick habe und schaue interessiert in Richtung Bernd. Die anderen Doggies horchen ebenfalls auf. Die Frauen haben in ihrer Rolle als Doggies außer einem Riemchen-Outfit aus Leder, Spezialschuhe und Pfoten-Handschuhen nichts an. Ihre Knie sind von leichten Knieschonern aus Stoff geschützt.
‚Nun ja, jeder so wie er mag…‘ denke ich mir.
„Ich denke, wir machen etwas Dog-Agility. Da kann Andy mitmachen. - Ich hole schonmal die Gerätschaften aus dem Schuppen,“ bietet Peter an.
„Mein Name ist ‚Underdog‘,“ protestiere ich.
Peter schaut mich an und schmunzelt.
„Überlege mal, du hättest einen echten Hund und würdest ihn auf einer weitläufigen Wiese oder zuhause in zärtlichen Momenten so rufen. Nach dem Motto ‚der Name ist Programm‘ kannst du dir gerne in der Community diesen Nicknamen geben und damit signalisieren, dass du gerne tust, was man dir sagt. Aber im Rollenspiel – wenn du dabei einem echten Hund möglichst nahekommen willst – solltest du dir einen Hundenamen ausdenken. Die Bandbreite ist riesengroß! Zum Einen, irgendeinen Vornamen (der Einfachheit halber dein eigener Vorname), oder eine deiner Eigenschaften (dann gerne auf Englisch oder Französisch, oder in welcher Sprache auch immer), oder einen Kunstnamen, der wie alle anderen Rollennamen aus zwei bis drei melodischen Silben besteht.“
Da ich Peter nun grübelnd anschaue, gibt er mir Beispiele:
„Also, wenn du einen anderen, als deinen Vornamen brauchst, um damit zu verdeutlichen ‚Jetzt ist mein Hundecharakter gemeint‘, dann wähle zum Beispiel Happy, Lucky, Maddog. Oder wähle Bezeichnungen aus der Pflanzenwelt mit Eigenschaften, die zu dir passen: Der Mescalin-Kaktus ist zum Einen stachelig wie alle Kakteen. Seine Inhaltsstoffe haben die Schamanen der Indianer genutzt, um ihre Seele fliegen zu lassen, also in eine andere Sphäre zu gelangen…“
„Hm,“ brumme ich. „Mescalin… Maddog…“
„‘Mad‘ bedeutet ‘Crazy‘, also ‘Verrückt‘…“ sagt Peter, breit grinsend. „Also ‚verrückter Hund‘…“
Ich lache.
„Dann nehmen wir ‚Maddox‘,“ entscheide ich.
„Gut,“ sagt Peter.