Montag, 10. August 2020
Nicci (42)
Peter bleibt etwa auf der Mitte der Wiese stehen und wartet auf die Doggies. Als sie ihn erreichen, hält er den Ball hoch. Nicci und Jasi machen Männchen, als betteln sie um das Spielzeug. Aber Peter wirft den Ball ein paar Meter weg. Die beiden Doggies drehen sich leicht seitlich und lassen sich wieder auf alle Viere herunter. Dann laufen sie zum Ball. Jasi erreicht ihn als erste und stößt ihn mit dem Kopf seitlich weg. Sie lässt Nicci als nächste an den Ball, die ihn zu ihr zurückstößt.
Peter ist den Beiden gefolgt. Jasi schaut kurz auf und lässt den Ball zwischen ihren Vorderpfoten hin und her rollen. Will sie Peter verwirren? Der tritt nach dem Ball, trifft ihn jedoch nicht. Jasi hat eine Pfote zurückgenommen, so dass der Ball seitlich wegrollt, wo Nicci sich dem Ball annimmt. Peter wendet sich nun Nicci zu. Sie stößt den Ball weg und Peter wendet sich, um dem Ball nachzusetzen. So geht das mindestens zehn Minuten lang. Dann wirft sich Peter wie ein Rugbyspieler auf den Ball und hat ihn in der Hand beim Aufstehen. Jetzt lässt er den Ball vor seine Füße fallen und bevor Nicci und Jasi den Ball nehmen können, schießt er ihn weg. Nun erfolgt das, was Peter vorhergesagt hat.
Ich mache große Augen und halte die Kamera drauf. Nicci und Jasi gehen in die Hocke und springen auf. Dann laufen sie im Zwei-Füßler-Gang hinter dem Ball her. Sie sind fast gleichzeitig in der Gartenecke, gehen dort wieder auf alle Viere und scheinen sich um den Ball zu streiten. Peter nimmt eine Pfeife in den Mund und bläst hinein. Daraufhin lässt Jasi von Nicci ab und überlässt ihr den Ball. Sie stößt ihn in Richtung auf Peter zu. Unterwegs wechselt der Ball noch mehrfach die Doggie, bis der Ball bei Peter angekommen ist. Er nimmt den Ball auf und streicht beiden Doggies über die Halbmaske auf dem Kopf. Dann kommt er zum Wintergarten zurück und die Doggies folgen ihm.
Lena hat es während des Ballspiels nicht im Wintergarten gehalten. Sie steht auf allen Vieren am Rand der Wiese und schaut dem Grüppchen entgegen. Als Peter Lena erreicht hat, sagt er:
„Hey, Lena. Du möchtest mitspielen?“
Lena nickt.
Peter lässt den Ball vor ihr fallen und betritt den Wintergarten. Während die drei Doggies draußen miteinander spielen, fragt er mich:
„Hast du gesehen, was ich meinte?“
Ich nicke und frage zurück:
„Ja, aber ist das denn noch Dogplay?“
„Du meinst, weil wir uns damit vom Verhalten echter Hunde entfernt haben? Wir nehmen das nicht so genau! Wichtig ist, dass die Human Doggies ihre Gefühle leben. Das als Ausgleich zur menschlichen Kultur, die auf rationales Verhalten aufgebaut ist, und Emotionalität als Schwäche betrachtet. Und die Owner sich für die Doggies engagieren, den Doggies Verantwortung im Alltag abnehmen, so dass sie sich voll Vertrauen fallenlassen können.“
„Hm, das sind doch Ideale! Die Realität weicht zu oft von den Idealen ab!“
„Wenn man seine Ideale leben will, schafft man das auch, Silke! Es gibt allerdings einerseits zuviele Menschen, die Petplayer allgemein für pervers halten. Den Spruch ‚Der Mensch ist doch kein Tier!‘ habe ich schon oft gehört, und danach hat sich dieser Mensch von mir zurückgezogen… Dabei gibt es genug Menschen, für die Haustiere quasi zur Familie gehören. Es sind Hausgenossen, mit denen die Leute mitfühlen.
Andererseits gibt es zuviele Kerle, die sich Owner nennen, denen aber das Gehirn in die Hose gerutscht zu sein scheint. Die haben nur eins im Sinn: ‚Wie krieg ich die Frau ins Bett?‘ Verantwortung? Das fürchten sie wie der Teufel das Weihwasser! Nachdem sie ihr Vergnügen hatten, wird die Frau zum Teufel gejagt und eine Andere ins Visier genommen…“
„So sieht leider die Realität aus!“ seufze ich.
„Aber nicht, wenn man Freunde gefunden hat, die das Gleiche denke wie man selbst! Zusammen kann man leichter seine Ideale ausleben, als allein. Außerdem braucht es natürlich eines Einkommens, dass es Einem erlaubt seine Ideale zu leben.“
„Und das habt ihr?“ frage ich interessiert.
„Die Touris machen uns nicht reich, aber es reicht aus. Wenn wir zwei bis drei weitere Leute fänden, vorzugsweise aus der Szene, dann müssten wir noch weniger Kompromisse machen. – Das gilt übrigens auch für Andere, die es schaffen von einem Einkommen mindestens zu zweit zu leben.“
„Du weißt selbst, wie schwer das heutzutage ist, wo man oft sogar mehrere Jobs braucht, um wenigstens alleine über die Runden zu kommen. Da ist man abends zu müde, um noch einem Hobby nachzugehen oder einen Fetisch auszuleben.“
„Man muss halt einerseits überlegen, was man hat und wie man damit ein Bedürfnis bei anderen Leuten weckt, so dass sie Einem Geld bringen, um von Einem ihr Bedürfnis befriedigt zu bekommen. Wir hier sind von der landwirtschaftlichen Schiene auf die Touri-Schiene umgestiegen, weil der Hunsrück-Höhenweg uns die Leute geradezu frei Haus liefert, die früher vorbei geradelt sind. Auch Ausflügler mit Autos kommen her, um in der Natur spazieren zu gehen und hier bei Kaffee und Kuchen zu rasten.
Andere können sich auf Grund ihrer Hobbys überlegen, womit sie bei den Leuten ein Bedürfnis erzeugen, damit die Leute freiwillig ihr Geld zu ihnen tragen, um ihr Bedürfnis befriedigt zu bekommen.“
„Was hieße das für mich? Wie könnte ich soviel neben meinem Bürojob verdienen, dass davon auch Lena und Markus leben könnten?“
Peter zieht die Augenbrauen hoch.
„Vorsicht! Lass dich nicht ausnehmen, Silke! Wenn du eine männliche oder weibliche Human Doggie hast, die du magst, kannst du sie mit einbeziehen. Hier aber sollte mindestens Markus ein eigenes Einkommen haben. Wenn von zwei Einkommen drei Personen gut leben können, ist das okay!“
„Und wie soll ich mein Hobby zu Geld machen?“
„Du betreibst dein Hobby doch schon ziemlich professionell! Gib Anzeigen auf, in denen du anbietest Hochzeitsfotos zu machen, und Fotos von anderen Familienfesten. Die werden hochbezahlt! Informiere dich, was andere Fotografen dafür nehmen. Und dann versuche Aufträge von Werbeagenturen zu ergattern. Du hast erzählt, dass du mit Lena in Fetisch-Clubs gehst, dort als Herrin mit Hündin auftrittst mit einem Lichtbild als Hintergrund oder einer Lichtbild-Show. Dafür seid ihr ja auch ursprünglich hergekommen. – Bekommt ihr für die Show Geld vom Club-Besitzer?“
„Klar! Sonst würden wir kaum auf die Bühne gehen! Aber viel ist das nicht.“



Nicci (41)
Nach dem Essen holt er eine Faltkarte an den Tisch. Während Bernd abräumt und ich Markus ihm hinterher schicke zum Helfen, entfaltet Peter die Karte auf dem Tisch.
„Wir haben hier nur den Hof mit der Wiese, die nicht einsehbar ist,“ erklärt er mir. „Aber auf der anderen Moselseite in der Eifel, dort wo wir früher gewohnt haben, gibt es ein ausgedehntes Waldgebiet, worin sich kaum ein Mensch blicken lässt. Da hast du Wanderwege, Lichtungen, einen kleinen Fluss…“
„Wie lange dauert es, dorthin zu fahren?“ frage ich.
Was er da erzählt, macht mich neugierig.
„Wir können nicht die Luftlinie nehmen,“ meint er lächelnd. „Wir müssen nach Trier und dann die B51 Richtung Köln nehmen. Im Bitburger Raum finden wir, was du suchst. Das dauert etwa zwei Stunden mit dem Auto. Wenn wir dort sind, beginnt jetzt in der Jahreszeit die Dämmerung und innerhalb einer halben Stunde ist es dunkel. Ich würde dir vorschlagen, dass du vielleicht nächstes Wochenende – oder ein anderes, das dir günstiger erscheint – wiederkommst. Dann fahren wir vormittags los. Zwei Stunden hin, zwei zurück und zwei bis drei Stunden dort – dann nutzen wir das Tageslicht optimal aus!“
Während Peter spricht, nicke ich mehrmals. Ja, sein Vorschlag hört sich besser an.
„Okay,“ sage ich. „Dann machen wir das so! Was können wir heute Nachmittag denn noch unternehmen?“
„Dog-Agility!“ wirft mir Peter entgegen.
„Was?“ frage ich und schaue ihn verständnislos an.
„Wir bauen auf der Wiese einen Parcour auf. Jasi und Nicci zeigen Lena, wie man ihn benutzt – und du bist mit der Kamera dabei, und schießt ein paar Bewegt-Bilder.“
Mein Gesicht hellt sich auf.
„Das hört sich gut an!“ lächele ich.
Gerade kommt Markus zu uns zurück. Peter spricht ihn gleich an:
„Markus, komm! Helf mir mal etwas zusammen zu bauen!“
Markus schaut erstaunt, und Peter verlässt mit einer auffordernden Handbewegung den Wintergarten. Hinter Peter her gehend, erreichen beide kurz darauf das Doppeltor im Anbau. Peter öffnet es und sagt etwas zu Markus. Danach holen beide eine Reihe Gerätschaften heraus. Damit stellen sie am Wintergarten beginnend rot-weiße Hütchen in einer langen Reihe auf. Dann folgen einige Holzböcke, die aus zwei kurzen und einem langen Holz bestehen. Das lange Holz zeigt abwechselnd nach rechts oder links. Schließlich ziehen sie einen Tunnel auseinander und platzieren ihn ganz an Ende der Wiese. Zum Schluss folgen noch ein paar der Böcke. Danach betreten sie den Wintergarten wieder. Bernd ist inzwischen auch wieder bei uns. Schnell gehe ich in das Zimmer, in dem wir vor dem Essen die Bilder geschossen haben, und hole meine Fotoausrüstung heraus.
Als ich gerade den Anbau mit meiner Ausrüstung verlasse, sehe ich Jasi auf allen Vieren an mir vorbeiflitzen. Sie hat die Hütchen-Reihe gerade hinter sich gelassen und setzt über das lange Bein der dreibeinigen Böcke. Dabei scheinen ihre Knie den Boden kaum zu berühren. Wie sie sich genau bewegt, muss ich mir mit der Einzelbild-Funktion später anschauen. Also schalte ich den Video-Modus ein, der zwanzig Bilder pro Sekunde schießt, solange ich den Finger auf dem Auslöser lasse.
In diesem Moment taucht sie am Ende der Wiese in den Stofftunnel hinein. Zwei Minuten später verlässt sie ihn und kommt mir entgegen, indem sie über die restlichen Böcke springt. Die Gelegenheit nehme ich sofort wahr und lichte den Sprung über einen Bock komplett ab. Ich folge Jasi dann in den Wintergarten. Dort frage ich sofort:
„Hey, wie läuft Jasi denn? Nicht auf Händen und Knien?“
Peter lächelt mich an und antwortet:
„Du kennst das doch von den Pferden: Sie haben den Schritt, Trab und Galopp. Das kennen echte Hunde natürlich nicht! Aber ich sage auch nichts dazu, wenn Human Doggies langsam auf Händen und Knien gehen – sozusagen im Schritt-Tempo. Damit halten Human Doggies ohne weiteres mit ihren Herrchen oder Frauchen Schritt.
Wir denken aber, Hunde sind von ihren Vorfahren her Hetzjäger. Sie lieben die schnelle Bewegung. Das schaffen Human Doggies, indem sie sich auf Fäusten und Zehenballen bewegen! Dazu müssen sie natürlich die Knie vom Boden abheben. Das geht auf die Beinmuskulatur und auch die Koordination der Gliedmaßen muss geübt werden: Die Knie sollen nicht dauernd gegen die ‚Vorderbeine‘ stoßen! Dann aber bringen es die Doggies auf beachtliche Geschwindigkeiten, die ihnen im Spiel miteinander ebenso Freude bereitet, wie uns beim Beobachten der Lebensfreude!“
„Hm, und das Springen über Hindernisse?“ setze ich nach.
„Du hast es doch fotografiert!“ stellt Peter fest. „Die ‚Hinterbeine‘ fungieren wie Sprungfedern. Sie werden gestreckt und katapultieren den Körper voraus. Gleichzeitig müssen die ‚Vorderbeine‘ den Körper in die erforderliche Höhe katapultieren. Hinter dem Hindernis fangen die ‚Vorderbeine‘ den Körper ab und die ‚Hinterbeine‘ werden an den Körper herangezogen. Anfangs reißt jede Human Doggie jedes Hindernis. Aber dann, mit dem ersten Erfolg, macht ihr das Springen einen Riesenspaß!“
Ich schaue mir die Sequenz auf dem Monitor meines Fotoapparates an und schalte dann auf den Einzelbild-Modus. Vierzehn Bilder werden nun nacheinander angezeigt.
„Boah…“ entfährt es mir.
Peter nickt und meint:
„Siehst du. Dann gibt es noch etwas: Wenn eine Human Doggie sich vollkommen in ihrer Rolle fallenlassen kann, sie also dem Owner voll vertraut und ins ‚Dogspace‘ abtaucht, wie wir sagen, dann ist es völlig egal wie sie sich bewegt. Sie könnte auf ihre ‚Hinterbeine‘ hochkommen und trotzdem Doggie sein!“
Auf meinen ungläubigen Blick hin schränkt er etwas ein:
„Das geschieht natürlich nur, wenn sie vorher schon voll in ihrer Rolle aufgegangen ist, und nun den Zweibeiner-Gang – oder sollte ich besser sagen –Lauf – braucht, um ein Ziel vor einer anderen Human Doggie zu erreichen.“
„Hmmm,“ brumme ich.
„Okay,“ meint Peter, und zwinkert mir kurz zu.
Dann nimmt er einen abgenutzten Fußball aus einer Ecke des Wintergartens. Die Beulen zeigen an, dass er schon einiges mitgemacht hat und ihm Luft fehlt. Er hält ihn demonstrativ hoch und geht damit auf die Wiese. Jasi und Nicci haben ihn aufmerksam beobachtet und drängen durch die Tür hinter Peter her. Lena schaut von der Tür aus dem Treiben auf der Wiese zu.