Sonntag, 13. Dezember 2020
IWIPAPA - Stamm der Mutter Erde - 15
Ich nähere mich dem Fale mit LELE und RAKA‘U auf allen Vieren an meiner Seite. Die Jungs halten in ihren Tätigkeiten inne und verfolgen uns mit ihren Blicken. Wie selbstverständlich frei auftretende Wahine, wenn auch auf allen Vieren, sind sie nicht gewohnt.
Der Kahuna begrüßt mich mit dem Hongi, der traditionellen Berührung mit der Nase, wobei man hörbar ausatmet. Dann schaut er zu meinen Wahine hinab.
„Sie sind wohlerzogen,“ bemerkt er, anerkennend lächelnd.
„Die effektivste Erziehung ist immer die, die man an sich selbst vornimmt, die Charakterbildung!“ gebe ich freundlich lächend zurück. „Die beiden haben zum Einen keine Angst vor mir, zum Anderen mögen sie mich. Daher haben sie mich zu ihrem Herrn erwählt. Sie schätzen meine Verantwortung für sie und danken es mir, indem sie ebenfalls Verantwortung übernehmen, wo es ihnen möglich ist.“
„Ah,“ meint der Leiter der Schule.
Ich weiß natürlich, dass meine Aussagen völlig konträr dem Verständnis der Iwipapa sind.
„Ich habe ihnen Worte gelehrt, die sofortige Aktionen von ihnen bewirken sollen. Sehe ich diese Aktionen dann bei ihnen, erhalten sie eine Belohnung von mir. Das habe ich ja schon während des Hui –Versammlung- erklärt und gezeigt,“ ergänze ich. „Daneben können sie sicher sein, dass mir ihr Wohlergehen am Herzen liegt. Das erleben sie täglich im Zusammenleben. Heute nun bin ich das erste Mal in ihrer Begleitung durch den Wald gegangen. Ich habe sie nicht in einem Käfig tragen lassen. Auch habe ich sie nicht an der Leine geführt, sondern sie sind frei gelaufen ohne das Weite zu suchen. Nicht nur das! Sie haben mich unterwegs vor den gefährlichen Geschöpfen des Waldes beschützt!“
Der Kahuna zieht die Augenbrauen hoch und tritt einen Schritt zur Seite, um den Weg zur Treppe frei zu geben.
„Du bist gekommen um mir zu zeigen, wie ich die Wahine der Schule dahin bringen kann, dass sie genauso reagieren, wie deine Wahine. Also sei willkommen,“ sagt er.
Wir gehen nebeneinander auf die Fale zu. LELE und RAKA‘U folgen uns. Am Eingang lässt er mir den Vortritt. Drinnen ist es dämmrig wie in allen Fale, da die Wände keine Fenster haben, aber lichtdurchlässig gebaut sind. Wir gehen nach hinten und lassen uns vor dem Flechtwerk des Geheges nieder. Die Wahine im Gehege drücken sich wie damals ängstlich an die Rückwand des Fale.
Ich sage nun: „LELE, RAKA‘U, MÜDE!“
Beide legen sich mit angezogenen Knien rechts und links neben mich und legen ihre Köpfe auf meine Oberschenkel. Mein Gastgeber hat sich mir gegenüber niedergelassen, so dass sich das Gehege zu meiner Linken befindet. Zwei seiner Schüler sind hinter uns hereingekommen und schenken uns beiden je einen Becher aus Bambus mit verdünntem Kawa kawa aus.
Der Hausherr beginnt zu trinken und ich tue es ihm gleich. Eine Weile sitzen wir uns stumm gegenüber.
Dann beginnt der Chef der Schule: „Wie soll ich deiner Meinung nach beginnen?“
„Zuerst einmal sind Wahine Weibchen unserer Art. Ihr Metabolismus ist der Gleiche wie unserer. Also brauchen sie die gleiche Nahrung wie wir. Dann wirst du bei ihnen kaum noch Magenprobleme feststellen! Das Vorurteil, dass Wahine unsauber seien, stellt sich dann schnell als Gerücht heraus…“
„Okay, das ist ein Versuch wert. Du hast davon schon während des Hui –Versammlung- gesprochen, und ich habe es berücksichtigt. Es ist tatsächlich besser geworden.“
„Nicht klappt von jetzt auf gleich! Alles braucht etwas Zeit. Du wirst sehen, dass das Thema bald kein Thema mehr ist.“
„Was wäre dann dein nächster Schritt, wenn du der Herr einer solchen Schule wärst?“
„Ein positives emotionales Umfeld schaffen... Vertrauen schaffen,“ antworte ich sofort und weise auf LELE und RAKA‘U zu meinen Seiten.
„Ich habe allerdings nicht die Zeit, mich um alle Wahine zu kümmern. Meine Aufgabe ist das organisieren, den Überblick behalten.“
„Das weiß ich. Du hast die direkte Arbeit mit den Wahine an deine Schüler delegiert. Dann gilt das, was ich eben sagte, für sie und du solltest nur noch die Einhaltung überwachen. Deine Schüler sollten die ihnen zugeteilten Wahine versorgen, sich verantwortungsbewusst um alles kümmern, sie pflegen und ihr Wohl im Auge haben.“
„Das wäre der mentale Hintergrund, der auch das Mana mehr berücksichtigt als bisher, muss ich gestehen…“
Ich nicke und schaue ihn über den Rand meines Bechers an. Eine kleine Pause entsteht. Der Kahuna winkt einen der Poki tane heran und lässt die Becher nachfüllen. Dann fragt er:
„Wie geht es dann weiter, nach deiner Methode?“
„In meiner Heimat verständigen sich die vierbeinigen Hausgenossen der Tangata –Menschen- untereinander mittels eines reichen Schatzes an Mimik und Gesten. Sie lassen ihre Emotionen sofort heraus, wenn sie in ihnen aufsteigen. Ihre Handlungen sind also großenteils emotional bedingt. Aber es gibt auch rationale Handlungen: Sie wiegeln ab, sobald jemand ihnen aggressiv entgegenkommt. Begegnen sie Fremden, dann beschwichtigen sie gleich zu Beginn der Begegnung. Sie vermeiden möglichst jeden Streit!“
„Und was heißt das für meine Wahine?“
„Wenn jemand auf der Jagd ist fixiert er seine Beute, um den besten Zeitpunkt zum Zuschlagen zu erkennen?“
„Ja, klar…“
„Wenn dieser Jemand nun jede Aggression vermeiden will wendet er sich ab und schaut seinem Gegenüber nicht fest in die Augen…“
„Aber das ist doch absolut unmännlich!“ ereifert sich mein Gegenüber.
Ich lächele.
„Ich weiß, der Begrüßungstanz der Matatoa –Krieger- ist bewusst aggressiv. Nur derjenige, der nicht mit der Wimper zuckt ist haere mai –willkommen-. Ich spreche hier aber von den Wahine…“
„Ah, und wie sehen solche Gesten im Einzelnen aus?“
„Treffen sich zwei, dann wenden sie den Blick voneinander ab, wenden den Kopf oder bieten dem Gegenüber gar die komplette Seite zu, je nachdem wie arg beschwichtigt werden muss. Sind zwei beieinander und kommen sich zu nah, dann fordert Eine die Andere zum Spielen auf. Der rationale Grund dahinter ist: Wer spielt der tut mir nichts Böses an. Diese Spielaufforderung geschieht, indem sie die Vorderbeine beugt. Dadurch kommen die Schultern in Bodennähe. Sie muss zum Gegenüber aufschauen. Die Hinterbeine bleiben dabei in Normalstellung. Jetzt kann ein Ball, oder irgendein anderer Gegenstand zu dem Anderen mit Kopf oder Faust hingestoßen werden.“