Montag, 14. Dezember 2020
IWIPAPA - Stamm der Mutter Erde - 16
„Das ist also eine Sprache ohne Worte, zum Teil mit emotionalem, zum Teil mit rationalem Hintergrund.“
„Ja, zum Beispiel, wenn sie ein körperliches Bedürfnis befriedigen muss, wird sie es nie im Fale tun – wenn man es ihr vorher gezeigt hat, dass sie dafür hinaus gehen soll. Ist nun der Ausgang versperrt, oder sie fürchtet abzustürzen auf dem Stamm, der die Treppe bildet, wird sie zu ihrem Betreuer kommen, ihn anstoßen, zum Ausgang laufen, mit einem erhobenen Vorderbein dagegen stoßen und wieder zu ihrem Betreuer zurückkommen, ihn flehentlich anschauen, und dann die Aktion wiederholen. Das macht sie so oft, bis er sie hinauslässt.“
„Deine Wahine erleichtern sich draußen?“
„Ja. Ich habe keine Angst, dass sie nicht zurückkommen. Sie wissen, dass sie bei mir besser betreut werden, als wenn sie sich im Wald allein ernähren. Auch hat sich inzwischen eine liebevolle Zuneigung entwickelt, von der ich selbst ebenfalls profitiere.“
„Dieses Vertrauen muss aber erst einmal entstehen!“
„Ja, und das braucht seine Zeit! Vertrauen ist eine empfindliche Pflanze. Sie ist schnell geknickt, leicht ausgerupft. Sie braucht eine intensive Pflege, um wachsen zu können!“
„Und was mache ich, bis die Wahine mir so folgen, wie deine dir?“
Ich lasse mir ein Täfelchen und einen Holzkohlestab geben. Dann zeichne ich eine kleine Wanne auf das Täfelchen.
„Schlage einen Baumstamm und teile ihn in einzelne Stücke von etwa zwei Ellen Länge. Teile diese Stücke nun in der Mitte durch. Nun flache die äußere runde Seite ab, damit die Wanne nicht umkippt und beginne von der flachen Seite her den Stamm auszuhöhlen, eine Wanne herzustellen. Die Innenseite muss nun behandelt werden und schon kannst du deinen Wahine beibringen sie zu nutzen, wenn sie ein körperliches Bedürfnis überkommt. An ihrem Betreuer liegt es nun, das Teil draußen zu entleeren, zu säubern und auch die Wahine zu säubern.“
„Das sind also im Groben die Dinge, die man beachten muss, wenn man Wahine in seinem Haus hält…“
„Ja, das sollte quasi für alle Iwipapa gelten.“
„Und was muss ich als Herr der Schule beachten? Was soll ich den Wahine lehren?“
„Ich habe meinen Wahine gelehrt auf meine Worte zu hören. Das tun sie aufgrund des Vertrauens, dass sie im Vorfeld zu mir aufgebaut haben…“
„Was das im Einzelnen alles ist, solltest du mir erklären. Du meinst also, Vertrauen und Zuneigung sind die Grundlagen auf denen sich alles aufbaut?“
„Ich weiß, das Verhalten der Iwipapa zu den Wahine auf der Insel hat sich im Laufe der Generationen so entwickelt, wie es heute ist. Die Tangata leben in den Fale über die Insel verstreut und der Lebensraum der Wahine wurde der Wald. Die Iwipapa haben Wahine zu sich genommen, wenn sie Nachwuchs haben wollten. Sind daraus Poki tane entstanden, hat man sie in den Fale zu vollwertigen Mitgliedern des Stammes erzogen. Sind daraus Tamahine entstanden, hat man sie aufgezogen bis sie im Wald bestehen konnten. Die Ausbildung zum Erkennen der Gefahren des Waldes hat man den Wahine im Wald überlassen.
Auf diese Weise kann kein Zusammengehörigkeitsgefühl entstehen, von dem doch beide Seiten – Tangata wie Wahine – profitieren würden. Ihr sagt, das Mana –die spirituelle Kraft- durchdringt alles, Mensch und Tier, Pflanze, Berge und Täler, Land und Wasser, also auch Tangata und Wahine – gerade wo sich beide doch so ähnlich sind!
Wir Iwipapa schützen die Natur um uns herum. Wir hegen sie selbst, wenn sie für uns giftig ist, wenn sie Hilfe braucht. Also sollten wir die Wahine nicht sich selbst überlassen, sondern auf sie, auf ihr Wohl achten!“
„Was ist, wenn die Wahine sich widerspenstig zeigt, wenn sie nicht will, dass wir sie in unsere Obhut nehmen?“
„Man sollte niemand zu etwas zwingen! Es kann sein, dass sie irgendwann einmal schlechte Erfahrungen mit einem Tangata gemacht hat. Sie wird dann ihr Leben lang misstrauisch sein und unser Bemühen um Vertrauen und Zuneigung wird nicht erwidert. Dann soll man sie lassen! Trotzdem soll man ihr mit Achtung und Respekt begegnen, jedoch Abstand halten. Den Abstand verringern darf in dem Fall nur sie!
Aber du hast ja die Möglichkeit im Rahmen der Schule Tamahine zu überzeugen, dass es sich lohnt zu Tangata Vertrauen aufzubauen, dass sie in den Fale ein entspannteres Leben haben als im Wald.“
„Wenn es nun Streit gibt zwischen Wahine und den Tangata?“
„Die Wahine werden sich mit Krallen und Zähnen wehren, wenn ihnen etwas nicht passt. Deshalb sagte ich eben, Zwang lehne ich ab. Aggressionen verbrauchen zuviel Energie! Statt fesseln, Tuch über den Kopf und andere Aktionen, sollte man wirklich auf Respekt und Zuneigung setzen.
Natürlich ist das Leben nicht immer eitel Sonnenschein. Es gibt eine Reihe negativer Einflüsse, die man kennen muss: erstens, wenn wir uns des anderen nicht mehr bewusst sind, wenn uns der andere egal zu werden beginnt. Zweitens das unstillbare Verlangen nach mehr. Wenn uns der andere nicht mehr genug ist. Drittens, wenn das Mitgefühl schwindet und der Selbstsucht Platz macht. Viertens die Angst vor der Vergänglichkeit, vor dem Ende des Mitgefühls. Fünftens, wenn die Gefühle nicht mehr bestimmen, sondern das körperliche überhandnimmt. Sechstens, nur noch zu glauben, was man sieht. Wenn also die Rationalität mehr Gewicht bekommt als die Emotionalität. Und siebtens die Besserwisserei, die verblendete Selbstüberzeugung, der Fanatismus.“
„Im Umkehrschluss könnte das aber auch bedeuten, dass die Tangata im Umgang mit den Wahine geschult werden müssten…“ stellt mein Gegenüber fest.
„Das bedarf eigentlich nur eines Umdenkens – und im Alltag vielleicht jemanden, den sie um Rat fragen können…“ gebe ich zurück, um ihm Hoffnung zu machen.
Mein Gegenüber, der Kahuna der Schule für Wahine bei den Iwipapa, versinkt nun in ein minutenlanges Nachdenken.
„Wie bekomme ich die Wahine ohne Zwang aus dem Gehege?“
„Du hast Wahine im Wald mit Hilfe von Netzen gefangen, weil du Aufträge von Tangata hast, die eine Gespielin für ihren Haushalt wünschen. Diese bereitest du nun auf ihre Aufgabe vor, indem du ihre Wildheit brichst. Durch Angst vor Qualen sollen sie gefügig werden…“