Montag, 21. Dezember 2020
IWIPAPA - Stamm der Mutter Erde - 23
„Wie kannst du so sicher sein, dass sie dir nicht eines Nachts giftiges Getier aus dem Wald in die Hängematte tun?“ fällt ein anderer Kahuna zweifelnd ein. „Die Dämonen der Nacht haben eine große Macht und unsere Feinde sind durch ihre feindselige Gedankenwelt besonders anfällig für die Macht der Dämonen aus der Unterwelt!“
„Meine Wahine haben mich schon mehr als einmal vor den Gefahren des Waldes gewarnt und auch schon aktiv unter Einsatz ihrer Gesundheit vor Gefahren bewahrt. Die Kiai –Schutzgötter- aus der Oberwelt sind mächtiger!“
„Genau wie das große Meer in Wellen auf den Strand läuft, können die Dämonen auch einmal stärker werden!“
„Aber niemals dauerhaft!“ erwidere ich. „Dann gewinnen die Schutzgötter wieder! Seid nicht so ängstlich. Seid mutig, wie es Männer sein sollen! Bietet dem Leben die Stirn und helft den Kiai –Schutzgötter- durch eurer Handeln das Gute in der Mittelwelt zu festigen!“
„Was sollen wir deiner Meinung nach tun?“ schaltet sich der Kuia wieder ein.
„Ich habe in den vergangenen Monaten mit dem Kahuna, dem die Schule für Wahine gehört, einiges auf die Beine gestellt. Lasst euch von ihm erzählen,“ antworte ich, weil ich mich nicht überhöhen will. Einer der ihren kann sie sehr viel besser überzeugen, denke ich.
„Das Ergebnis eurer Zusammenkünfte hat schon lange für Gesprächsstoff gesorgt. Darum sitzen wir ja heute hier. Wir denken darüber nach, deinen Vorstellungen zu folgen in Bezug auf die Wahine.“
Ich lächele erleichtert.
„Der Kahuna hat die Wahine mitgebracht, die inzwischen genauso frei bei ihm leben wie meine bei mir. Die Hui –Versammlung- kann sich also überzeugen, dass es Freude macht Wahine bei sich wohnen zu lassen.“
Bei diesen Worten wende ich mich halb um. LELE und RAKA‘U haben sich auf einem Ballen Blätter an der Außenwand des Fale Pae’nga niedergelassen und dösen vor sich hin. HETU’U und RA’A liegen zusammengekauert davor.
„LELE, RAKA‘U, ZU MIR!“ sage ich.
Beide heben kurz hintereinander den Kopf, stehen auf und nähern sich mir. Bei mir angekommen zeige ich rechts und links neben mich und sage:
„LELE, RAKA‘U, MÜDE!“
Nun legen sie sich rechts und links neben mir auf die Seiten, rutschen nahe an mich heran und legen ihren Kopf auf meine Oberschenkel. Aus dieser Position schauen sie zufrieden lächelnd zu mir auf. Die Kahuna neben mir rücken etwas von mir ab. Sie zeigen einen skeptischen Gesichtsausdruck. Nur der Kahuna des Vaka, das mich aus dem Pazifik gerettet hat, bleibt ruhig sitzen.
„Was soll das bringen,“ fragt einer der Kahunas mit gerunzelter Stirn.
„Die Wahine sind ebenso Bewohner der Insel wie die Tangata,“ antworte ich. „Die Iwipapa verstehen sich als die Bewahrer der inseltypischen Natur. Wenn die Wahine –Frauen- nun in den Fale -Häusern-bei den Tangata –Männern- wohnen, entstehen enge Beziehungen zueinander von denen alle Seiten profitieren: Die Tangata überlassen die Wahine nicht mehr ihrem Schicksal, sondern kümmern sich, sorgen, pflegen die Wahine. Sie tragen Verantwortung für sie. Im Gegenzug – das werden die Tangata schnell feststellen – sind die Wahine voller Hingebung, treu und gehorsam. Sie sind die perfekten Hausgenossen, schützen die Hausbewohner vor gefährlichen Tieren, kennen viele Kräuter, die für die Gesundheit nützlich sind. Sie sind die perfekten Jagdgefährten – und weichen auch des Nachts nicht von der Seite ihres Tangata. Sie brauchen viel Zuwendung und geben so viel davon zurück!“
„Wenn die Wahine dann also dauerhaft in den Fale wohnen,“ lässt sich der Kuia –Stammesälteste- wieder vernehmen, „braucht man sie nicht mehr fangen. Auch die Schule würde überflüssig?“
Ich schüttele bedächtig den Kopf.
„Die Wahine können für verschiedenste Aufgaben eingesetzt werden. Die Wahine, die man bisher aus dem Wald holte, haben ein großes Wissen über die Natur. Das wird den Wahine fehlen, die in den Fale aufwachsen. Natürlich kann man den Müttern erlauben, ihren Tamahine alles zu lehren, was sie für’s Leben wissen müssen. Will man eine Wahine für eine spezielle Aufgabe ausbilden, kann man das der Schule überlassen. Kommt eine Wahine aus dem Kai’nga der Ahnen auf die Insel, kann sie ebenfalls erst einmal eine Ausbildung in der Schule durchlaufen, wo ältere Wahine ihr alles beibringen, was sie speziell bei den Iwipapa kennen muss.“
Der Kahuna der Schule nickt lächelnd bei meinen Ausführungen. Er erhebt sich, nimmt ein paar Süßigkeiten aus seiner Gürteltasche und sagt:
„RA’A, HETU’U, ZU MIR!“
Die Beiden erheben sich und laufen zu ihm hin. Nun sagt er:
„AUF!“
RA’A erhebt sich, so dass sie mit senkrechtem Oberkörper auf ihren Fersen sitzt. Dabei hebt sie ihre Hände etwa in Schulterhöhe. Währenddessen schaut HETU’U aufmerksam, was passiert. Der Kahuna gibt RA’A eine Süßigkeit in den Mund. Schnell hat sich HETU’U auch aufgerichtet, um ihre Süßigkeit in Empfang zu nehmen. Dann sagt der Kahuna:
„RA’A, HETU’U, STEH!“
Sofort lassen sich beide nach vorn fallen, fangen sich mit den Händen ab und erheben sich in den Vierfüßler-Stand. Der Kahuna geht zur Wand, wo einige präparierte Waran-Häute hängen, nimmt eine davon und hält sie seinen Wahine vor. Dazu sagt er:
„RA’A, HETU’U, FANG!“
Jetzt bin ich selbst überrascht und achte auf das, was jetzt passiert. Die Wahine laufen zur Treppe. Sie drehen sich und gehen vorsichtig rückwärts die Stufen hinunter, die man in den Baumstamm geschlagen hat, der als Treppe dient. Dann sind sie längere Zeit verschwunden.
Der Kahuna setzt sich wieder an seinen Platz, als wäre nichts Besonderes geschehen. Einer der anderen Ratsmitglieder fragt bald:
„Du bist der Überzeugung, dass die Frauen aus dem Wald zurückkehren?“
Der Kahuna nickt lächelnd.
„Ich vertraue meinen Wahine. Sie machen das nicht das erste Mal. Sie werden nicht bloß zurückkehren, sondern auch etwas mitbringen!“
„Der Waran ist giftig! Ihn zu erlegen, braucht zum Einen einen Spruch, mit dem man ihn dazu bewegt, sich erlegen zu lassen. Dazu muss man Hunger fühlen! Zum Anderen braucht man einen Speer, oder einen Bogen, damit man sich ihm nicht zu nähern braucht!“ hält ihm einer der anderen Kahunas entgegen.
„Die Wahine sind nicht dumm! Diejenigen, die ihr Leben lang im Wald verbringen, haben gelernt, wie man jagt. Sie graben ein Loch, stecken schräg abgeschnittene Bambusstangen hinein und bedecken alles mit Laub. Dann fangen sie einen Vogel mit einer Schlinge und befestigen sie am Boden, so dass der Waran an eine leichte Beute glaubt. Später lassen sie den Vogel wieder frei.“