Dienstag, 15. Dezember 2020
IWIPAPA - Stamm der Mutter Erde - 17
„So habe ich das von meinem Vater gelernt und dieser hat das Wissen von meinem Großvater. Die Wahine sträuben sich nach Kräften. Erst wenn ihr Willen gebrochen ist, kann man mit ihnen arbeiten!“
„Und wenn sie ihrem Besitzer überdrüssig geworden sind, schickt er sie wieder in den Wald…“
„So ist es natürlich.“
„Weißt du, in meiner Heimat werden die vierbeinigen Hausgenossen durch Lob und Belohnung motiviert, auf die Worte ihres Besitzers zu hören. Allerdings bleiben sie in der Regel bis zu ihrem Tod im Haushalt ihres Besitzers. Es entsteht eine tiefe emotionale Bindung, die den Besitzer trauern lässt, wenn sein Hausgenosse stirbt. Diese Erziehungsmethode nennt man ‚positive Verstärkung‘.
Natürlich gibt es Ausnahmen von dieser Regel. Wir haben ein Schutzgesetz und Wachen, die die Einhaltung aller Gesetze überwachen. Hinzu kommen Richter, die die Besitzer streng verurteilen, die ihre Hausgenossen quälen oder verwahrlosen lassen. Es gilt, dass der Besitzer seiner Verantwortung gerecht werden muss!“
„Wie willst du das hier bei den Iwipapa durchsetzen?“
„Ich? Ich will gar nichts durchsetzen! Ich will höchsten ein Beispiel geben! Mein Umgang mit LELE und RAKA‘U soll demjenigen ein Beispiel sein, der sich dafür interessiert! Im Übrigen ist der Kuia – Stammesälteste- Richter in allen Streitigkeiten. Er könnte auch hier Recht sprechen!“
„Noch einmal zurück: Wie bekomme ich die Wahine ohne Zwang aus dem Gehege und motiviere sie zur Mitarbeit?“
„Ich bin gerne bereit mit dir zusammen zu arbeiten und LELE und RAKA‘U als Lehrerinnen einzusetzen, so wie die Wahine den Tamahine die Gefahren des Waldes nahebringen. Zuerst einmal musst du ihre Ernährung umstellen, so dass sie sauber werden. Dann brauchen sie einen Ort außerhalb des Hauses, wo sie sich erleichtern können – genau wie wir. Geh mit ihnen vor das Haus. Benutze dazu eine Leine. UND REINIGE SIE SO, WIE DU DICH SELBST REINIGST!“
Den letzten Satz spreche ich mit besonderer Eindringlichkeit aus. Über die Pflege der Hygiene lernen die Poki tane der Schule die entsprechende Verantwortung für die Gesundheit der Wahine. So werden sie zu Keimzellen. Sie können ihr Wissen an die Tangata weitergeben.
„Sie sollen also das Gleiche essen, das auch wir essen – und nachher ihr Bedürfnis genauso verrichten wie wir?
„Wenn ich mit dir zusammenarbeiten soll, wenn du Wahine bekommen möchtest wie LELE und RAKA‘U, dann wäre das die Grundlage!“ sage ich abschließend, denn RAKA‘U regt sich.
Sie steht auf und läuft auf allen Vieren zum Eingang des Fale. Dort hebt sie ihr rechtes Vorderbein und schaut zu mir zurück, ob ich ihre Geste sehe.
Natürlich habe ich sie beobachtet. Ich lächele, bleibe aber noch sitzen. Der Kahuna der Schule schaut mit gekräuselter Stirn.
RAKA‘U kommt nun zurück zu mir, stösst mich mit der Nase an und atmet hörbar aus dabei. Dann läuft sie wieder zum Eingang und macht die gleiche Geste. Wieder schaut sie sich nach mir um.
„Gerade haben wir davon gesprochen, jetzt kann ich ein lebendes Beispiel präsentieren,“ erkläre ich dem Kahuna der Schule, immer noch lächelnd.
Ich erhebe mich und ziehe eine geflochtene Leine aus dem Umhängebeutel. RAKA‘U ist wieder zu mir gekommen und lässt mich die Leine an ihr Halsband knoten. Dann nehme ich sie auf meine Arme und trage sie den Baumstamm hinunter, der mit seinen Einkerbungen als Treppe dient.
LELE ist aufgestanden und schaut aufmerksam, was ich mache. Deshalb sage ich, sie anblickend, LELE MÜDE, bevor mein Kopf sich unter dem Boden des Fale befindet.
Auf dem Erdboden angekommen, lasse ich RAKA‘U herunter und warte bis der Kahuna neben mir steht. Dann gehe ich mit RAKA‘U hinter das nächste Gebüsch. Während sie sich erleichtert, knicke ich ein großes Blatt ab, mit dem ich sie säubere. Dann gehen wir wieder ins Fale zurück. LELE hebt bei unserer Rückkehr nur kurz den Kopf. Sie liegt immer noch an dem Platz, wo wir eben gesessen haben.
Nachdem wir uns wieder niedergelassen haben und ein Poki tane unsere Becher wieder nachgefüllt hat, beginnt der Kahuna:
„Das machst du selbst…“
„Ja,“ sage ich einfach. „Zum Einen fördert das die emotionale Bindung zwischen ihr und mir, zum Anderen habe ich nur die Beiden und brauche für die Pflege keine Schüler. Du hast dagegen mehrere Wahine und beschäftigst mehrere Schüler…“
„Wie wollen wir beginnen?“ fragt er nachdenklich.
„Wir warten drei bis vier Tage. In der Zeit müsste die Änderung der Ernährung schon positive Auswirkungen zeigen. Du wirst sie aus dem Gehege herauslassen können, ohne dass sie das Fale verschmutzen. Sie brauchen das Gehege nur noch als Schlafplatz…“
„Halt! Ich kann sie doch nicht einfach so im Fale herumlaufen lassen! Sie machen mir soviel kaputt…“
Ich lächele. Ganz klar, da hat er recht. Die Wahine sind die neue Freiheit nicht gewohnt und würden die Poki tane ganz schön auf Trab halten.
„Also gut,“ lenke ich ein. „Wir gehen langsam vor. Ich komme in ein paar Tagen wieder und dann sehen wir weiter. Würdest du mir während der Nachmittage die Entscheidungsgewalt überlassen? Du bist natürlich immer anwesend und hast den Überblick!“
„So werden wir das machen!“
Er bietet mir seine Hand. Ich fasse seinen Unterarm und er fasst meinen mit seiner Hand. Ich nicke ihm zu und sage, während ich mich erhebe:
„Du wirst sehen: Bald spürst du, wie das Mana –die spirituelle Kraft- ganz ohne Probleme Tangata und Wahine verbindet. – LELE, RAKA‘U, ABSCHIED!“
Beide Wahine drehen sich zum Kahuna und beugen ihre Ellbogen, so dass die Brust fast den Boden berührt und ihr Hintern steil nach oben zeigt. Der Kahuna erhebt sich ebenfalls und zeigt ein breites Lächeln.
Wir gehen gemeinsam zum Eingang. Beide Wahine folgen mir. Ich trage sie nacheinander die Treppe hinunter und anschließend machen wir uns auf den Heimweg, so wie wir hergekommen sind.