Donnerstag, 10. Dezember 2020
IWIPAPA - Stamm der Mutter Erde - 12
Ich denke, so merken sie sich ihre Namen, die ich benötige um sie direkt ansprechen zu können. Da wir uns hier in Polynesien befinden, sollten die Namen auch aus Wörtern in ihrer Sprache bestehen. Sonst hätte ich sie genauso gut Joy und Beauty nennen können…
Um festzustellen, dass sie mich verstanden haben, erhebe ich mich nun, gehe noch einmal zum Früchtetablett und rufe sie einzeln LELE, ZU MIR und kurz darauf RAKA‘U, ZU MIR. Sie nähern sich mir wirklich einzeln. Ich füttere sie noch einmal mit Früchten zur Belohnung und streiche ihnen übers Haar. Sie reiben ihre Schultern und Wangen an meinem Oberschenkel.
Das bringt mich auf die Idee, ihnen das ganze Repertoire an Kommandos beizubringen, das ich kenne. Also verbringe ich den Nachmittag damit, ihnen SITZ, PLATZ, ROLL, HOPP, HOL und all die anderen Kommandos zu lehren, die in meinem früheren Kulturkreis den Hunden beigebracht werden. LELE und RAKA‘U sind mit Feuereifer bei der Sache und wir drei lachen des Öfteren über die kleinen Missgeschicke, die dabei entstehen.
Am Abend werden wir dabei unterbrochen, als die Poki tane mit dem für mich bestimmten Speisepaket kommen, das sie in den Gemeinschafts-Umu am Strand gekocht haben. Das Fleisch im Speisenpaket haben die jungen Männer gefischt und gejagt. Das Gemüse und die Früchte haben sie in den Gärten der Fale geerntet – auch in meinem Garten waren sie am Morgen – und die Kräuter zum Würzen finden sie im Wald.
In den nächsten Wochen arbeite ich tagsüber mit den jungen Männern, die Schreiber werden wollen. Währenddessen werde ich auch selbst immer besser in der Bilderschrift. Man muss sich eben intensiv in das Thema hinein arbeiten. Die Abende vor dem Schlafengehen widme ich dem Training von LELE und RAKA‘U, das oft genug in fröhlichem Spiel mündet. Des Nachts liegen sie bei mir und kuscheln.
Tagsüber laufen sie frei im Haus umher. Das irritiert anfangs meine Schüler, denn sie sind gewohnt, dass die Frauen in den Fale ihrer Väter in Gehegen gehalten werden. Bald stellen sie fest, dass LELE und RAKA‘U auf kurze Kommandos reagieren, wenn ich sie ausspreche. Sie haben es auch versucht und müssen feststellen, dass LELE und RAKA‘U dann nur den Kopf schräg stellen, skeptisch gucken und nach einer kurzen Pause weitermachen, als hätten sie nichts gehört. Erst wenn ich das Wort erhebe, reagieren sie und ziehen sich von den Poki tane zurück.
Ihre Pflege, seelisch wie körperlich, habe ich ebenso in die Hand genommen. Auch hierüber wundern sich meine Schüler. Denn immer wieder mal muss ich den Unterricht unterbrechen und mich um eine der Beiden kümmern. Wie sie mir berichten, ist dafür einer der Poki tane zuständig, die noch nicht initiiert sind, und die gehen nicht gerade zimperlich mit den Wahine und Tamahine in den Gehegen um.
Auf meine Frage, ob die Wahine und Tamahine denn genügend Bewegung haben, ob man mit ihnen spazieren geht, schütteln sie den Kopf. Die Jungs, die für sie zuständig sind, würden sie nicht halten können außerhalb der Gehege, sagt man mir.
„Hm,“ meine ich darauf, „die Gehege machen aber auch nicht den Eindruck, dass man dort nicht ausbrechen könnte, wenn eine Wahine der Drang nach Bewegung überkommt.“
„Die Wahine liegen meist passiv herum und man muss die Gehege oft reinigen,“ wird mir erklärt. „Deshalb lässt man sie ja nicht frei im Fale herumlaufen.“
„Oh,“ sage ich. Da fällt mir ein zu fragen, was sie denn zu essen bekommen.
„Dasselbe, was sie essen würden, wenn sie frei im Wald umherstreifen,“ wird mir geantwortet. „In der Regel pflanzliche Nahrung, denn tierische Nahrung führt schnell zu dickflüssigen Ausscheidungen, denen starken Schmerzen vorausgehen.“
„Ja, wenn die Wahine frei im Wald leben und dort keinen Umu –Erdofen- haben… Was bekommen sie zu trinken?“ bohre ich weiter.
„Das gleiche, das wir auch trinken,“ antwortet man mir. „Wasser, Fruchtsäfte, die ganz jungen Tamahine Muttermilch.“
„Und Kawa kawa mit Wasser!“ ergänzt ein anderer meiner Schüler.
„Das Getränk bringt uns Tangata –Menschen/Männer- den Göttern nahe…“ resümiere ich und ziehe die Stirn kraus.
„Das Mana –spirituelle Kraft, die alles durchdringt- wirkt auch in den Wahine!“ wird mir leicht vorwurfsvoll geantwortet, als hätte ich an ihrer Religion gezweifelt.
Ich mache mir darüber aber so meine Gedanken. Kawa kawa ist ein narkotisches Getränk. Es kann den Trinker in eine Phantasiewelt entführen. Nach außen hin wird der Trinker passiv und bei übermäßigem Genuss erbricht sich der Trinker oder erleidet flüssigen Stuhlgang. Das werde ich LELE und RAKA‘U nicht antun, weil es meinem Verantwortungsgefühl widerspricht. Stattdessen erkläre ich:
„Meine Wahine erhalten die gleiche Nahrung, die ich zu mir nehme, also auch Fleisch und Fisch! Auf Kawa kawa verzichte ich bei ihnen. So brauche ich keine abgetrennte Zone für die Wahine, sie sind aktiv, können über die Hängebrücke kleine Ausflüge in den Wald unternehmen und kommen selbständig zurück, um bei mir zu essen, zu schlafen, sich pflegen zu lassen, was auch das Behandeln kleiner Verletzungen betrifft.“ Ich mache eine kurze Pause und lächele meine Zuhörer an. „Außerdem hören sie auf mich. Ein kurzes Wort und sie gehen in die Position, die ich ihnen beigebracht habe.“
Einer der Söhne des Kuia spricht mich nun an:
„Von dem Letzteren habe ich dem Kuia berichtet und er war sehr erstaunt darüber. Wenn ich ihm nun auch erzähle, dass dein Fale sauber bleibt, obwohl die Wahine frei herumlaufen, will er sicher mehr darüber wissen!“
„Ich berichte ihm gern selbst über meine Methoden!“
„Werden in deiner Heimat alle Wahine so behandelt, wie du mit deinen Wahine umgehst?“
„Nein,“ antworte ich und schüttele den Kopf. „Was weißt du über eure verlorene Heimat? Wie war damals die Stellung der Frau gegenüber dem Mann?“
„Unsere Ahnen und Ahninnen waren gleichberechtigt. Beide waren Tangata –Menschen-. Dann wurden sie von unseren Feinden getötet…“
„Siehst du,“ unterbreche ich ihn. „Und genauso ist die Stellung der Wahine in dem Kai’nga –Land-, aus dem ich stamme. Aber bei uns in unseren Fale –Häusern- leben Brüder aus der Natur mit uns, die treu und gehorsam zu uns stehen, uns beschützen und uns helfen. Wenn diese ‚Hunde‘ – wie wir sie nennen – noch jung sind, werden sie mit Liebe erzogen. Über Lob und Belohnung motiviert man sie das zu tun, was sie lernen sollen.