Mittwoch, 30. Dezember 2020
IWIPAPA - Stamm der Mutter Erde - 32
„Wir folgen ihr vorsichtig ohne ein Geräusch zu machen,“ sage ich leise zu meinem Begleiter.
Wenige Minuten später sehe ich eine dunkle Gestalt im Gras liegen. Ich rufe LELE fast tonlos zu mir.
„LELE… LELE, DA! MÜDE!“
Zu der Gestalt zeigend und anschließend meine Hände an meine Wange legend, gebe ich LELE den Auftrag, sich neben der Wahine schlafen zu legen. Wir anderen ziehen uns an den Waldrand zurück und bauen drei Schlafnester aus Lianen und Zweigen in einem der Bäume, von dem aus man noch eine gute Rundum-Sicht hat.
Am Morgen, vielleicht eine halbe Stunde nach Sonnenaufgang, macht RAKA’U, die bei mir in meinem Schlafnest übernachtet hat, mich auf LELE aufmerksam. Sie führt die junge Wahine in der Nähe unseres Schlafbaumes in den Wald.
Ich warte noch zwei Minuten, in denen ich die Anderen wecke, dann bauen wir die Schlafnester zurück und steigen von unserem Schlafbaum. Wir frühstücken im Gehen, während wir den voraus laufenden Wahine folgen.
Nach einer Weile bleiben die Wahine stehen. Ich mache einen Schritt auf die Wahine zu und gehe in die Hocke. Aus dieser Position flüstere ich ihnen zu:
„RA’A, HETU’U, RAKA’U, BRING SCHULE!“
Dabei mache ich eine ausladende Armbewegung in die Richtung, in der ich die Schule von unserer Position aus vermute.
Unsere drei Wahine laufen los und treffen nach wenigen Metern durch dichte Vegetation LELE mit der jungen Wahine. Sie begrüßen sich sehr emotional über Gestik und Mimik wie sie es immer tun, wenn sie sie länger nicht gesehen haben. Ein Teil der emotionalen Begrüßung bekommt auch die junge Wahine ab, die dabei etwas zurückweicht. Für sie ist das neu. Sie fremdelt, das ist normal. Dann stupst RA’A sie von hinten an, um ihr zu signalisieren „WEITER GEHT’S“.
Als sich die junge Wahine dazu entschließt zu folgen, gibt LELE weiterhin die Richtung an. RAKA‘U und HETU’U laufen rechts und links neben ihr, damit die junge Wahine die Richtung beibehält, und RA‘A bildet den Abschluss. Sie treibt die Wahine durch gelegentliche Stupser immer wieder zum Weiterlaufen an.
Wir folgen der Gruppe mit einigem Abstand, denn sie machen eine deutliche Spur im Unterholz des Waldes.
Darüber vergeht der Tag. Gegen Abend erreichen wir die Schule. Am Rand des Waldes bleiben wir stehen und schauen auf die Lichtung. Ich sehe Bewegung im Gehege unter dem großen Fale des Kahuna.
Nachdem es nach einer guten halben Stunde im Gehege ruhig geworden ist, gehen wir auf das Fale zu und nehmen einen Einzelkäfig. LELE hat ihr zum Einschlafen etwas zu essen gegeben, in das ich eine Schlaftablette hinein getan habe, bevor wir gestern losgegangen sind. So können wir sie jetzt entkleiden und den Käfig über sie stülpen, einen ihrer Füße nach innen schieben und die Pfosten des Käfigs ins Erdreich hämmern. Sie wird morgen früh vielleicht mit leichten Kopfschmerzen erwachen, aber die sind schnell verklungen.
Dann ziehe ich mich in die Hütte zurück, in der der Poki tane zusammen mit zwei weiteren auf der Lichtung wohnt.
Am nächsten Morgen gehe ich frühzeitig in Begleitung des Poki tane zum Kahuna zum Frühstücken. Der Mann bestimmt zwei andere seiner Poki tane zum Bewachen des Käfigs und dass ihm berichtet wird, sobald die Wahine aktiv wird.
Gerade sind wir mit dem Frühstück fertig und sitzen beim Kawa kawa zusammen, als einer der Wächter meldet, dass die Wahine wach ist. Wir trinken unsere Becher leer und stehen auf, um sie uns anzuschauen.
Wir betreten das Gehege und nähern uns dem Käfig. LELE, RAKA’U, RA’A und HETU’U sitzen im Hintergrund und schauen zu.
Der Kahuna beugt sich vor und greift durch die Gitterstäbe ein Fußgelenk der Wahine. Er begutachtet kurz das Tattoo, das eine Hundepfote zeigt. Sie versucht den Fuß an sich zu ziehen, aber der Kahuna hält ihn fest. Nun überschüttet sie ihn mit einem Wortschwall. Nach der verärgerten Miene zu urteilen, muss es sich um eine Schimpfkanonade handeln. Möglicherweise hält sie ihn für den Kopf ihrer Entführer.
Der Kahuna lässt nun los und erhebt sich. Dabei sagt er nur ein Wort:
„Inu –Hund-.“
Dann zieht er mich von ihr weg. Wir entfernen uns, obwohl sie sich nun auf das Flehen verlegt, wie ich aus ihrer Tonlage entnehme. LELE, RAKA’U, RA’A und HETU‘U folgen uns die Treppe hinauf ins Haus.
Gegen Mittag bestimmt der Kahuna, dass die Neue zu essen bekommen soll. Wir begleiten die Poki tane, die gleichzeitig die Beiden ablösen, die seit heute Morgen den Käfig bewachen. Der Kahuna tritt vor den Käfig und nennt ihr mit festem Ton den Namen, auf den sie ab heute hören soll. Er nennt sie IKA, was Fisch bedeutet. Sie wiederholt nach Aufforderung mit niedergeschlagenem Blick ihren neuen Namen.
Danach gibt er ihr noch einige Verhaltensregeln mit der Ankündigung, dass sie nur dann Nahrung bekommt, wenn sie sie befolgt. Er stellt ihr in Aussicht, dass er für sie sorgt, sich um ihr Wohl und ihre Pflege kümmert, wenn sie sich angepasst verhält.
Sie versucht trotzdem, ihn für ihren Wunsch einzuspannen, nach Hause zu kommen. Der Kahuna lehnt lächelnd ab und eröffnet ihr, dass nun hier ihr zuhause ist. Sie zeigt eine enttäuschte Miene und rüttelt am Gitter des Käfigs, was ihn nicht weiter kümmert.
Er lässt ein zischendes Pfeifen hören, worauf hin RA’A und HETU’U zu ihm laufen. Dann geht der Kahuna zurück ins Fale. Die junge Wahine greift durch die Gitterstäbe nach dem Essen, dass einer der Poki tane ihr dort hingestellt hat.