Mittwoch, 16. Dezember 2020
IWIPAPA - Stamm der Mutter Erde - 18
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Eine Woche nach der Unterredung mit dem Chef der Schule für Wahine lädt uns ein Bote des Kahuna –Experte- ein, bei den ersten Bemühungen um ein Training nach meinen Vorstellungen dabei zu sein. Also gehen wir nach Ende der Unterweisung meiner Schüler wiederum den Weg durch den Wald zu dessen Fale.
Sobald wir die kleine Lichtung betreten fällt mir eine Veränderung auf: Unter dem Fale wurde mit einem Gittergeflecht ein weitläufiges Gehege abgetrennt. Eine Rampe führt innerhalb des Geheges hoch in das auf Pfählen gebaute Fale. Dafür wurde ein zusätzliches Stück Fußboden geöffnet. Im Gehege bewegen sich etwa ein Dutzend Wahine oder liegen dösend auf dem Wiesengrund.
Ein Poki tane sieht mich mit LELE und RAKA‘U herantreten. Er verschwindet im Inneren des Fale und wenig später kommt uns der Kahuna entgegen.
„Komao a –willkommen-,“ begrüßt er mich und nähert sich meiner Nase mit der seinen, wobei er geräuschvoll ausatmet.
Ich erwidere diesen Gruß, der im ganzen Pazifik üblich ist. Dann folgen wir ihm die Treppe hinauf, indem ich meine Wahine nacheinander hinauftrage. Oben setzen wir uns und werden von Pokitane mit je einem Becher verdünntem Kawa kawa bedient. Wir trinken an. Einige Minuten sitzen wir uns stumm gegenüber, wobei meine Wahine sich wieder rechts und links neben mir niedergelegt haben.
Der Kahuna schaut mich mehrfach offen an. Schließlich bemerke ich lächelnd:
„Du hast den Wahine größere Bewegungsfreiheit gestattet – außerhalb deines Fale…“
Mein Gegenüber zeigt ein breites Grinsen.
„Du wirst keinen Tangata finden, der es seinen Wahine erlaubt, sich frei im Fale zu bewegen. Die Ressentiments sind viel zu groß. Es könnte ja etwas kaputt gehen, oder sie könnten sich irgendwo verletzen. Die Tangata sähen sich gezwungen, ihren Gerätschaften Plätze zuzuordnen, wo die Wahine nicht ohne weiteres herankommen. Dann aber lägen die Gegenstände nicht mehr griffbereit.“
Ich nicke. Wir haben es eben mit Männerhaushalten zu tun.
„Poki tane im Krabbelalter sind neugierig und nehmen alles in die Hand, stecken vieles in den Mund. Hier musst du ebenfalls ein ständiges Auge darauf haben,“ meine ich.
„Ja, das sind eben Poki tane –Jungs-. Denen gilt mein besonderes Augenmerk. Sie sollen ja auch später meine Kenntnisse besitzen und unsere Kultur weiterführen.“
„Tamahine –Mädchen- im Krabbelalter werden von Anfang an im Gehege innerhalb des Fale gehalten…“
„Ja, das ist unsere überlieferte Kultur.“
„Ich hatte anfangs ein wachsames Auge auf meine Wahine. Sie kannten es nicht, sich in meinem Fale frei bewegen zu dürfen. Dafür galt es natürlich, Vorbereitungen zu treffen: Alles, was ihnen gefährlich werden könnte, habe ich außerhalb ihrer Reichweite untergebracht. Solche Dinge einfach gedankenlos herum liegen lassen, ist verboten. Alles hat seinen Platz. Gleichzeitig habe ich meinen Wahine beigebracht, was sie dürfen und was nicht. Ich habe ihnen gezeigt, worüber ich mich freue und was mich betrübt, bei welchen ihrer Aktionen sie eine Belohnung oder Lob erhalten und wann ich schimpfe oder ihre Existenz gar ignoriere für eine Zeitlang. Solch eine Erziehung ist tiefgreifender je jünger die Wahine ist!“
„Und das funktioniert?“
„Wie du siehst…“
„Bemerkenswert! Aber dazu benötigt man das entsprechende Engagement der Tangata – und dazu ist ein Umdenken nötig, das seine Zeit braucht!“
„Damit hast du wohl recht!“ antworte ich ihm. „Deine Wahine sind sicher inzwischen sauber?“
„Ja, dein Rat war erfolgreich.“
„Hast du deinen Wahine Namen gegeben, damit du sie persönlich ansprechen kannst?“
„Nein, wir halten das so, dass ihre späteren Herren ihnen den Namen geben. Je zwei Wahine werden von einem Poki tane betreut. Da braucht es keine persönliche Ansprache. Sie sind auf ihren Poki tane fixiert. Und dieser schaut halt diejenige direkt an, mit der er sich beschäftigt.“
„Okay, dann soll das auch weiter so bleiben. Du musst aber trotzdem wissen, um welche es sich genau handelt, wenn es um Verhandlungen mit einem möglichen neuen Herrn oder mit einem der Heiler geht.“
„Ja, dann ist es die jüngere oder ältere von den Beiden dieses oder jenes Poki tane.“
„Okay. Die Wahine sind so diszipliniert, dass sie beim Füttern nur zu ihrem Poki tane gehen?“
„Nein, Disziplin – so wie deine Wahine sie an den Tag legen – kennen die Wahine hier nicht. Aber die Poki tane kennen die Wahine, die sie betreuen, und kümmern sich ausschließlich um sie. Das kann zum Beginn des Fütterns schon zum Tumult führen. Aber meine Poki tane haben das immer schnell im Griff.“
Ich weiß davon. Schließlich habe ich die dünnen Bambusgerten schon in Aktion gesehen. Es reicht ein Antippen, um die Wahine zu dirigieren. Aber auch Schläge sind schon einmal üblich.
„Ich schlage dir vor, LELE und RAKA‘U nacheinander mit jeweils zwei deiner Wahine zusammen zu bringen. So können sie voneinander lernen. Das Gelernte können sie untereinander weitergeben. Sagen wir so: an jedem Nachmittag, an dem ich hier bin, beschäftigen sich LELE und RAKA‘U mit zwei anderen deiner Wahine.“
„Genauso werden wir es machen!“
Der Kahuna ergreift meinen Unterarm und ich den Seinen. Damit ist die Vereinbarung beschlossen. Er ruft einen seiner Schüler zu sich und beauftragt ihn, die Wahine herbei zu bringen, die er betreut. Kurz darauf treibt der Junge zwei Frauen die Rampe hinauf und zu uns hin. Als sie näherkommen sage ich:
„LELE, RAKA‘U, SITZ!“
Meine Wahine richten sich auf und setzen sich auf ihre Fersen. Auch ich richte mich auf und hocke mich zu ihnen. Dann nehme ich eine Kokosnuss aus dem Beutel, den ich mitgenommen habe und lege sie zwischen die Beiden auf den Boden. Mit meiner rechten Hand halte ich die große Nuss auf der Stelle und schaue LELE und RAKA‘U nacheinander lächelnd an. Dabei rolle ich die Nuss ein paar Zentimeter mal auf LELE, mal auf RAKA‘U zu. Unwillkürlich gehen beide dabei in die Spielverbeugung. Dann lasse ich sie langsam an LELE vorbei in Richtung der anderen beiden Wahine rollen, die im Vierfüßler-Stand aufmerksam zuschauen. Man sieht den fremden Wahine an, dass ihnen nicht ganz klar ist was das soll.