Suìmh Aille -11
Es dauert etwas bis sie mich gehört und realisiert hat, dass ich ihre Hilfe brauche. Gemeinsam haben wir das Kleid endlich angezogen. Mama steht vor mir und sagt mir, dass ich mich langsam drehen soll. Sie macht große Augen und zupft hier und da Falten weg.
„Komm, schau dich an der Badezimmertür selbst einmal an!“ meint sie.
Wir gehen hinüber. Innen an der Tür ist ein türgroßer Spiegel angebracht. Ich drehe mich nach rechts und links und meine Gefühle bekommen Flügel. Mama ist in mein Zimmer zurückgeeilt und bringt mir nun den Mantel. Er hat weite Trompetenärmel und wird vorne geschnürt. Es gibt dafür mehrere Möglichkeiten: Entweder die enge Schnürung und vorne geschlossen, oder die weite Schnürung und vorne offen, so dass man das Kleid sieht. Ich wähle die letztere Möglichkeit und hebe die Kapuze über meine Frisur. Zwei Haarspangen halten sie so in meinem Haar.
Dann schließen wir den leeren Koffer und gehen die Treppe hinab. Dabei muss ich Kleid und Mantel anheben, um nicht zu stolpern. Entsprechend langsam bewege ich mich. Mama stellt den leeren Koffer unten in den Flur und geht an mir vorbei ins Wohnzimmer. Ihr Erstaunen steht ihr immer noch ins Gesicht geschrieben.
Ich habe wohl ungefähr eine halbe Stunde zum Umziehen gebraucht. Mama hat es gerade noch geschafft, einen Tee zu kochen bevor ich sie beim Kleid zu Hilfe gerufen habe. Den haben die beiden Männer in der Zwischenzeit geleert, als ich hinzutrete.
Eamon erhebt sich und breitet die Arme aus. Seine Augen leuchten. Er kommt auf mich zu und will mich umarmen. Da setzt sich mir der Schalk in den Nacken. Ich trete einen halben Schritt zurück und recke ihm den rechten Handrücken entgegen.
„Wer ist der Bursche, der um meine Hand anhält?“ frage ich mit ernster Miene.
Ich kann die Lachfältchen in den Augenwinkeln jedoch nicht verhindern.
Theatralisch beugt Eamon ein Knie, nimmt die dargebotene Hand und führt sie an seine Lippen. Dann sagt er:
„Mo Bhean –meine Dame-, bitte erlaubt diesem unwichtigen Mann vor Euch, um Eure wunderschöne Hand anzuhalten!“
„Ich erlaube es!“ antworte ich mit unbewegtem Gesichtsausdruck. „Eine Antwort wird diesem unwichtigen Mann vor mir alsbald übermittelt!“
Dann kann ich nicht mehr an mich halten und beuge mich zu Eamon hinunter. Mein Curadh kommt hoch und so stehen wir uns gegenüber, gegenseitig umarmend.
„Wir sollten aufbrechen schnell,“ meint er. „Bevor zuviele Leute sich wundern und kommen schauen.“
„Ach ja, stimmt!“ entfährt es mir. „Meine Eltern sind aber bestimmt zum Fest eingeladen?“
„Ja, natürlich,“ sagt er.
Ein jungenhaftes Lachen huscht über sein Gesicht. Wir verabschieden uns und verlassen das Haus. Draußen steht das rote Cabrio, mit dem er zu unserem ersten Treffen gekommen ist. Er hält mit galant dir Beifahrertür auf, die sich auf der linken Fahrzeugseite befindet. Das Cabrio ist ein sogenannter ‚Rechtslenker‘. Ich winke noch einmal meinen Eltern zu, raffe meine Kleidung und setze mich ins Auto. Während ich die Autotür schließe, startet Eamon das Cabrio mit einer Kurbel und steigt dann ein.

*

Anderthalb Wochen später schreibt mir Mama auf Whatsapp, dass sie sich ein Rückflugticket von Hamburg nach Dublin besorgt haben. Auch mein Patenonkel würde mit der Tante kommen, nachdem sie ihn angerufen hat, schreibt sie. Ich lasse mir die Ankunfts- und Abflugzeiten in Dublin durchgeben und informiere Eamon darüber.
An ihrem Ankunftstag wählt Eamon wieder den geräumigen Chevrolet Sedan. Wir fahren nach Dublin. Die Ankunftszeit der Maschine aus Hamburg ist schon um eine Stunde überschritten, als wir den Airport erreichen. Inzwischen müssen meine Verwandten durch die Kontrollen sein. Wir schauen uns in der Lobby um und ich entdecke sie in den Clubsesseln an einem Tisch sitzen. Neben sich zwei große Koffer.
Als wir sie beinahe erreicht haben, Eamon und ich in traditioneller irischer Kleidung, erblickt uns zuerst Tante Emma. Sie macht große Augen und legt Mama die Hand auf deren Arm. Traditionelle irische Kleidung fällt auch in Irland sofort auf. Auch hier trägt man normalerweise bequeme Alltagskleidung. Mama schaut Tante Emma an. Sie deutet auf uns. Papa und Onkel Peter schauen jetzt ebenfalls in unsere Richtung.
Das Gesicht meines Patenonkels verzieht sich zu einem breiten Grinsen. Er steht als erster auf und kommt uns die wenigen Schritte entgegen. Er nimmt mich an den Händen und breitet sie aus. Dabei begutachtet er mich von oben bis unten.
„Euer Auftritt ist noch eindrucksvoller als damals der der Kelly Family, die ich einmal auf der Bühne gesehen habe!“ meint er. „Draußen wartet doch nicht etwa eine vierspännige Kutsche auf uns?“
Ich muss lachen.
„Nein! Nicht direkt,“ sage ich lächelnd.
Dann falle ich ihm um den Hals.
„Schön, dass ihr mitgekommen seid!“ sage ich, und gebe nacheinander Tante Emma, Papa und Mama die Hand.
Auch Eamon grüßt die Vier herzlich. Dann verlassen wir das Flughafengelände. Als sie draußen den Chevrolet sehen, gibt es noch einmal erstaunte Gesichter. Die Fahrt nach Suìmh Aille dauert lange, da Eamon nicht schneller als 30 Meilen pro Stunde fährt. Als wir ankommen ist schon beinahe Mitternacht.