Montag, 8. Februar 2021
Mars01-Die Besiedelung (3)
„Okay Herr Myers. Jetzt werde ich ihre Körpermaße nehmen,“ erklärte der Mann mit ruhiger Stimme. „Stellen Sie ihre Beine dafür etwas auseinander.“
Stumm tue ich, was er sagt. Er richtet ein Lasermessgerät auf mich und tastet mich damit von oben bis unten ab. Rote Linien scheinen jeden Quadratzentimeter meiner Haut zu kartographieren.
„137 marsianische Zentimeter groß, 21 marsianische Kilogramm schwer,“ verkündet der Mann, nachdem die roten Lichtstrahlen ihr Werk vollendet haben. „Die Beinmuskulatur ist gut ausgebildet.“
Die Frau hinter dem Schreibtisch notiert, was ihr Kollege sagt. Dann meint sie:
„Kommen wir zur Tierart. Bei dem Körperbau würde ich eher zu einem Pony tendieren.“
Der Mann nickt seiner Kollegin zustimmend zu.
„Das Pony könnte gut zu ihm passen,“ sagt er.
Ich beobachte stumm, wie die beiden Angestellten über meine Zukunft entscheiden. Es wirkt irgendwie unpersönlich, als ob sie über einen Gegenstand reden. Wie viele Menschen werden diese Leute im Laufe ihrer Karriere bereits in Pets verwandelt haben? Nicht ein einziges Mal werde ich nach meinen persönlichen Wünschen gefragt.
„Gut, dann fehlt uns nur noch ein passender Name,“ antwortet Frau Ryker und mustert mich beiläufig.
Fast zwei Minuten herrscht daraufhin Stille, während die beiden Angestellten auf den Monitor schauen. Sehr wahrscheinlich überfliegen sie die Namensliste des Ministeriums, um einen passenden Namen für den zukünftigen Hengst zu finden. Schließlich schlägt der Mann vor:
„Wie wäre es mit ‚Sunshine‘?“
Seine Kollegin nickt leicht mit dem Kopf und tippt das Wort in den Computer. Der Mann tritt nun an mich heran und fasst mich am Oberarm, um mich mit sich zu ziehen. Folgsam begleite ich den Mann aus dem Zimmer, während mein Herz aufgeregt pocht.
Er führt mich den Gang entlang und öffnet eine andere Tür. Nach wenigen Schritten stehen wir vor einer kleinen Rezeption. Mein Führer wechselt ein paar Worte mit der Frau, die hinter dem Schalter steht. Diese Frau hat eine weiße Tunika an. Sie tippt nun ihrerseits etwas in ihren Computer. Anschließend kommt sie hinter dem Tresen hervor. Nun erkenne ich, dass sie unter der Tunika eine weite weiße Hose und Slipper trägt. Sie lächelt mir aufmunternd zu und sagt:
„Kommen Sie bitte mit.“
Sie geht vor und ich folge ihr. Der Mitarbeiter des Ministeriums bleibt mir auf den Fersen. Es geht durch eine Tür in einen schmalen Gang, dessen Wände in sterilem Weiß gestrichen sind. Vor einer Tür bleiben wir stehen. Sie klopft und öffnet sie kurz darauf.
„Dr. Davis, Herr Myers ist eingetroffen,“ sagt sie und nickt dem Mann in dem Raum zu. Dieser Mann ist mit einem langen weißen Kittel bekleidet. Der Mann vom Ministerium ist wie ein Schatten immer noch bei mir. Der Arzt kommt auf mich zu, während die Arzthelferin den Raum schon wieder verlassen hat.
„Sie brauchen nicht aufgeregt sein,“ versucht mich der Arzt zu beruhigen. „Alles halb so wild.“
Infolge überprüft der Arzt sämtliche Vitalfunktionen. Auch muss ich mich auf einen Heimtrainer setzen und eine Atemmaske aufsetzen. Alle Werte werden in meine Akte eingetragen, dann ist der Besuch in der Praxis schon beendet.
Draußen auf dem Gang begegnen wir einem anderen Mitarbeiter des Ministeriums, der sicher einen weiteren jungen Mann zum Arzt bringen soll. Während die beiden Mitarbeiter sich kurz begrüßen und einige Worte miteinander wechseln, frage ich neugierig meinen Leidensgenossen, wie er heißt und welches Pet er bald sein wird.
„Ich bin Abram, beziehungsweise der Doggie-Rüde ‚Draco‘,“ erklärt er mir. „Und du?“
„Mein Name ist Florian, oder das Pony ‚Sunshine‘,“ sage ich schnell, denn mein Führer will schon wieder weiter.
Nun geht es eine Etage tiefer und in einen Raum, indem mir zuerst eine Armmanschette angelegt wird, die meine Arme gestreckt auf dem Rücken fixiert. Anschließend rasiert man mir die Kopfhaare bis auf einen daumenbreiten Mittelstreifen, ein Irokesenschnitt. Danach erhalte ich Stiefel mit hohem Schaft, in denen ich auf den Fußballen laufen muss. Sie schließen mit nachgebildeten Hufen ab. Ein leichtes Zaumzeug rundet meine Ausstattung ab.
Nun hakt mein Führer seinen Finger in den Ring an meiner linken Wange und führt mich wieder auf den Gang hinaus und durch eine weitere Tür. Es öffnet sich eine hohe und weite Halle mit nacktem Betonboden auf dem Sand und Stroh verteilt liegen. Beidseitig kann ich eine Handvoll Pferdeboxen erkennen. Der Ministeriumsmitarbeiter öffnet eine davon und lässt mich eintreten.
„Willkommen zuhause,“ sagt er mit einem feinen Lächeln, als ich mich drinnen umschaue.
Er zeigt auf einen Holzrahmen mit Stroheinlage und meint:
„Dies ist dein Bett, solange du bei uns bist.“
Danach weist er auf einen kleinen Strohhaufen im hinteren Bereich und bezeichnet ihn als meine neue Toilette. Anschließend lässt er mich allein und verschließt die Boxentür aus Metallrohren.
Ich drehe mich auf der Stelle und schaue mich intensiv um. Die Zwischenwände der Boxen sind etwa brusthoch. Im Augenblick scheint es, als wäre ich das einzige Pony hier. Ich überdenke noch einmal, was mir seit dem Eintritt in das Gebäude widerfahren ist.