Mittwoch, 17. Februar 2021
Mars02-Der Besucher (4)
„Richtig, der Hengst ist so ein Pet,“ bestätigt Mister Berlin meine kurze Frage.
Bald darauf haben wir einen der von außen immer gleich aussehenden Wohnblocks erreicht und wir steigen ab. Mister Berlin übergibt dem Fahrer einen Schein und wir gehen in das Gebäude. Auch hier betreten wir als erstes ein Foyer. Die Concierge hinter ihrem Schalter schaut kurz auf und Mister Berlin grüßt sie im Vorbeigehen.
Er führt mich zum Treppenhaus und hält mir die Tür eines Aufzuges auf, um den sich die Treppe windet. Dann fahren wir bis zur obersten Etage. Als ich aus dem Aufzug trete, stehe ich in einer Parklandschaft, die man auf dem Dach des Wohnblocks angepflanzt hat. In regelmäßigen Abständen stehen eiförmige Häuser zwischen den Pflanzen. Wir gehen auf das uns Nächststehende zu und Mister Berlin öffnet die Tür mit einem Codeschlüssel.
Wir kommen in eine Garderobe, von der mehrere Türen abgehen und eine Treppe nach oben führt. Nachdem er seine Jacke aufgehängt hat, führt er mich über die Treppe nach oben.
Eine Etage höher liegt ein größerer Wohnraum, Küche und Essplatz. Aus der Küche hört man Arbeitsgeräusche. Eine junge Frau liegt mit angezogenen Beinen auf einem Kunstfell und döst vor sich hin.
Als sie Geräusche auf der Treppe hört, die Augen öffnet und Mister Berlin erblickt, kommt sie auf alle Viere hoch und läuft zu uns. Bei Mister Berlin angekommen, reibt sie sich an seinem Bein, während er ihr stolz lächelnd über den Kopf streicht. Sie schaut mich mit einer Mischung aus Misstrauen und Neugier an und macht Geräusche, wie „Yipp, Yipp.“
Mister Berlin beruhigt sie, indem er sagt:
„Alles Gut, mein Mädchen! Ich bin ja jetzt da…“
Das hört die Frau in der Küche und kommt neugierig heraus. Sie lächelt, als sie uns sieht und begrüßt Mister Berlin mit einer Umarmung. Mister Berlin stellt uns nun gegenseitig vor:
„Maggi, das ist Mister Armstrong. Er wohnt ab heute in einem der Gästezimmer. Wenn das Amt über seine Zukunft entschieden hat, wird er sich eine eigene Wohnung suchen. Mister Armstrong, das ist meine Frau Maggi und unsere Doggie Bella.“
Ich begrüße meine Wirtin höflich. Sie schickt ihren Mann und mich schon einmal zum Essplatz. Bella folgt ihrem ‚Herrchen‘ bis er sich an den Tisch gesetzt hat. Danach trottet sie auf allen Vieren in Richtung Küche. Ich lasse mich ebenfalls am Tisch nieder. Während Mistress Berlin die Speisen aufträgt, sagt Mister Berlin zu mir:
„Mister Armstrong, der Tag ist noch jung. Ich denke, wir gehen nach dem Essen hinunter und machen einen Bummel durch die Geschäfte. Sie brauchen so etwas wie eine Grundausstattung.“
Ich nicke dazu. Er hat nicht unrecht. Ich habe in der Quarantäne bisher eine Einweg-Zahnbürste benutzt. Das sollte sich ändern. Auch einen eigenen Kamm und einen Rasierer werde ich brauchen.
Bevor wir mit dem Mittagessen beginnen, schenkt Mistress Berlin drei Tassen Tee aus. Mister Berlin stellt die Tassen vor uns, tunkt dann zwei Finger seiner Hand in seine Tasse und lässt die Tropfen auf einen Stein vor sich in der Tischplatte fallen. Dabei spricht er:
„Allumfassende Natur, segne unseren Gast und den heutigen Tag!“
Danach wendet er sich mir zu und erklärt:
„Für uns bedeutet der ‚Heimstein‘, wie wir ihn nennen, unsere Verbindung zur Natur. Vor der Haus- oder Heimgründung macht jeder Marsianer eine meditative Wanderung in unberührte Gegenden in der Lavaröhre. Fällt ihm ein besonderer Stein auf, nimmt er ihn mit als seinen ‚Heimstein‘, der ihn sein ganzes Leben begleitet. Man sagt, dass der Stein seinen Menschen findet, nicht umgekehrt.“
„Ah, okay,“ meine ich.
Ich sehe, dass ich noch einiges lernen muss, wenn ich Marsianer werden will. Mister Berlin fordert mich nun auf, es ihm gleich zu tun. Also tauche ich ebenfalls meine Finger in meinen Tee, spitze den Stein nass und wiederhole den Segensspruch.
Während des Mittagessens danach streicht Bella um mich und schnuppert an mir herum. Nach dem Essen sitze ich noch eine Weile mit Mister Berlin beim Tee. In dieser Zeit bereitet Mistress Berlin eine Etage höher ein Gästezimmer für mich vor. Die beiden sind schon etwas älter. Ihre Kinder haben eigene Familien gegründet. So werden deren Kinderzimmer aktuell nur noch für Besuche oder Gäste verwendet.

*

In den letzten Tagen haben die Ingenieure eine Routine entwickelt, mit deren Hilfe die Rettungskapsel auf dem Mars gelandet und unter die Oberfläche gebracht werden kann. Danach will man sie auseinandernehmen und erforschen.
Hier bei den Ingenieuren habe ich noch weitere Besonderheiten in Bezug auf den Mars erfahren: Dass das Marsjahr mit 687 Sol um einiges länger ist, als ein Erdjahr, weiß ich aus der Raumfahrt. So ist ein Mensch, der auf der Erde 50 Jahre alt ist, hier 25 Marsjahre alt.
Aber auch die Maßeinheiten sind andere: Auf der Erde hat man bestimmt, dass ein Viertel-Erdumfang 10 Millionen Meter lang ist. Hier auf dem Mars ist Wasser das wichtigste Gut. Ein Liter, und damit 1 Kilogramm, passt wegen der geringeren Schwerkraft in einen Behälter von ungefähr 2.600 Kubikzentimeter Inhalt. Um hier wieder einen Wert von 1.000 zu erreichen, hat man die Länge eines marsianischen Zentimeters auf 1,38 irdische Zentimeter festgesetzt. Ein marsianischer Liter (Hohlmaß) liegt nun bei 2,6 irdischen Litern, aber bei 1.000 marsianischen Kubikzentimetern. Entsprechend ist der Marsumfang nun keine 21.344 km lang, sondern 15.467 km. Aber zurück zu alltäglichen Zahlen: Ich bin nach irdischen Maßeinheiten 1,83 Meter groß und 80 kg schwer. Umgerechnet auf marsianische Maßeinheiten heißt das, ich bin 1,33 Meter groß und 30 kg schwer. Es wird einige Zeit dauern, bis ich mich hier eingewöhnt habe!
Heute habe ich ein offizielles Schreiben aus dem Büro des Präsidenten bekommen. Mit leicht zitternden Händen öffne ich es und entdecke darin die Erlaubnis, mich auf dem Mars nieder zu lassen. Erfreut zeige ich den Brief meinem Mentor Mister Berlin, der mich ermuntert, mir nun eine eigene Wohnung zu suchen. Es darf ja ruhig eine kleine Zwei-Zimmer-Wohnung sein. Über die Finanzierung sollte ich nebenbei mit der Bank sprechen.