Montag, 22. Februar 2021
Mars02-Der Besucher (9)
Am Ende des Dressurfeldes hat man ein Podium errichtet, zu dem auch ein Siegerpodest gehört. Der Sandplatz, auf dem vor wenigen Minuten noch Ponys ihre Dressur vorgeführt haben, ist bereits zur Hälfte gefüllt. Menschen und Ponys stehen nebeneinander oder in kleinen Gruppen zusammen, während sich die Menschen unterhalten.
Mister Martin führt mich in die Menge. Plötzlich nähert sich uns ein Mann von der Seite. Der Fremde strahlt über das ganze Gesicht. Als mein Trainer auf ihn aufmerksam wird, lächelt er und streckt dem Mann seine Hand hin.
?Ah, Sol, Mister Berlin,? begrüßt mein Trainer den Mann. ?Sie wollen also die Siegerehrung von hier unten verfolgen.?
Ich beobachte den Mann, der nur einige Jahre älter sein kann als ich. Er ist in einen weißen Anzug gekleidet, nicht in Reitkleidung, wie anderen Menschen hier unten. Der Mann nickt und sagt:
??Wind? hat sich endlich einen Platz auf dem Treppchen erkämpft. Da bin ich mir sicher!? sagt er.
?Davon bin ich überzeugt!? antwortet mein Trainer und wendet sich mir lächelnd zu. ??Wind?, das ist dein Owner!?
?Ah,? denke ich, aber da werde ich abgelenkt. Ein Mann in mittleren Jahren und schwarzem Anzug hat das kleine Podest betreten, ein Mikrofon in der Hand. Er räuspert sich kurz und die Menge verstummt. Ich richte meine Aufmerksamkeit auf den Mann.
?Meine Damen und Herren, wir haben es geschafft. Alle 64 Ponys haben ihre Dressurprüfung hinter sich gebracht. Kommen wir nun also zur Siegerehrung des Olympia Summercups,? erklärt der Mann und ein kurzer Applaus ertönt.
?Den Anfang machen erneut die Stuten,? redet der Mann weiter und zieht einen Zettel aus der Tasche, den er geräuschvoll entfaltet. Dann sagt er:
"Mit 102 Punkten geht der dritte Platz an ?Wind? aus dem Gestüt Martin! Bitte kommen Sie mit ihrem Pferd nach vorne, Mister Martin!?
Zuerst begreife ich gar nicht, was der Mann gesagt hat. Erst nach einigen Augenblicken verstehe ich, dass der Mann meinen Namen genannt hat. Begeistert schaue ich von Mister Martin zu Mister Berlin, dem der Stolz im Gesicht geschrieben steht, zurück zu Mister Martin, der offenbar ebenfalls überrascht ist.
?Hey, herzlichen Glückwunsch!? sagt Mister Berlin durch den lauten Beifall.
Mister Martin greift die Führleine fester und bahnt sich einen Weg nach vorn. Ich folge ihm und spüre sofort, wie die Anspannung sich wieder in mir ausbreitet. Ich habe tatsächlich den dritten Platz gemacht! Nach mehreren erfolglosen Teilnahmen an den Dressurprüfungen endlich ein Treppchenplatz!
?Herzlichen Glückwunsch, das war eine gute Leistung?, gratuliert der Mann mit dem Mikrofon. Er überreicht Mister Martin eine strahlend gelbe Turnierschleife, die mein Trainer dankend annimmt. Dann geht mein Trainer mit mir zum Siegerpodest. Gemeinsam stellen wir uns auf die Ebene für den dritten Platz.
Ich mache meinem Namen ?Wind? alle Ehre, bin ich doch noch immer ?durch den Wind?. Aufgeregt schaue ich abwechselnd zwischen der gelben Turnierschleife und den vielen Menschen und Ponys vor mir hin und her.
?Auf dem zweiten Platz mit 106 Punkten: Die Stute ?Blümchen? aus dem Stall von Mistress Smith!? verkündet der Moderator weiterhin. Kurz darauf tauchen die Aufgerufenen aus der Menge auf.
Mistress Smith bekommt eine rote Schleife, ehe sie sich mit ihrer Stute auf den 2. Platz des Treppchens stellt. Ich nicke meiner Konkurrentin einmal kurz zu, ehe ich wieder nach vorne schaue.
?Kommen wir zur Gewinnerin bei den Stuten! Mit beeindruckenden 114 Punkten und einer wirklich großartigen Leistung: ?Feuer? von Mister Aldrin!?
Ein besonders lauter und langer Applaus brandet auf. Ein Mann um die 30 führt seine Stute nach vorne. Für Mister Aldrin gibt es eine blaue Turnierschleife und dazu noch einen kleinen Pokal. Mit einem zufriedenen Gesichtsausdruck führt er ?Feuer? zur Spitze des Siegertreppchens. Sowohl Mister Martin als auch Mistress Smith gratulieren ihm höflich zu seinem Erfolg.
Noch einmal gibt es Applaus, dann verlassen wir gleichzeitig das Siegertreppchen. Ich werde von Mister Martin von der Bühne und wieder zurück in die Menge geführt. Nun folgt die Siegerehrung der Hengste.

*

Wir betreten das Stadion. Mister Berlin und seine Frau haben Festtagskleidung an. Am Eingang treffen wir auf zwei jüngere Ehepaare mit zwei kleinen Kindern. Mister Berlin stellt sie mir als seine Söhne mit Frauen und seine Enkel vor. Wir begrüßen uns höflich. Danach betreten wir die Tribüne. Mister Berlin führt uns zu einer separaten Loge, wie es hier einige gibt. Darin sind wir ungestört.
Wir schauen den Darbietungen der Ponys auf dem Dressurfeld zu. Bei der siebten Stute, so ziemlich zu Beginn des Turniers wird einer der Söhne meines Mentors unruhig. Er fiebert regelrecht mit. Mister Berlin flüstert mir zu:
?Die Stute auf dem Feld gehört Jonathan.?
Als das Turnier nach Stunden beendet ist, hält es Jonathan Berlin nicht mehr auf seinem Platz. Er drückt seine Frau an sich und verlässt die Loge. Mister Berlin lächelt mir zu. Minuten später beginnt die Siegerehrung.