Samstag, 20. Februar 2021
Mars02-Der Besucher (7)
Ich wünschte mir, dass es mir so leicht fallen würde, wie ich es mir bisher immer vorgestellt habe. In meiner Fantasie bin ich einfach mit leichten Bewegungen über das Feld gelaufen und alle haben mir zugejubelt. Doch jetzt spüre ich nur Nervosität und Angst.
Eben haben die Zuschauer applaudiert. Nun sehe ich den Grund: Ein Trainer führt eine Stute an mir vorbei aus dem Stadion. Sie wirkt erschöpft, aber auch glücklich. Beinahe beneide ich sie darum, dass sie es schon hinter sich hat.
Mit einem leichten Zug an meinem Zaumzeug setzt sich Mister Martin in Bewegung. Beinahe wie in Trance folge ich meinem Trainer. Wir durchqueren den Durchgang der Absperrung und betreten das Stadion. Mein Herz setzt kurz aus, als ich die vielen Zuschauer sehe. Es müssen hunderte sein, bestimmt aber noch mehr. Kurz schießt mir der Gedanke durch den Kopf, dass mein Besitzer sicher irgendwo dort sitzt und mich beobachtet.
Mister Martin begleitet mich bis zum Rand des Dressurfeldes. Genau wie hinter dem heimatlichen Stall ist der Boden des Dressurfeldes aus Sand. An bestimmten Punkten gibt es kleine Markierungen. Ich spüre, wie sich die Hand meines Trainers von meinem Zaumzeug löst. Nun gibt es keinen Weg mehr zurück.
Mit glühenden Wangen betrete ich das Feld. Ich gehe langsam bis zur ersten Markierung, konzentriere mich und versuche, gleichmäßig zu atmen. Genau auf dem weißen Punkt bleibe ich stehen und warte kurz ab. Direkt vor mir, am anderen Ende des Dressurfeldes, kann ich einen der Richterstände erkennen. Mister Martin hat mir erklärt, dass die anderen beiden mittig an den Längsseiten sind. Diese drei Richter werden mich und meine Leistung bewerten.
Ich zucke etwas zusammen, als die laute Stimme des Stadionsprechers ertönt:
?Startnummer 7! Im Besitz von Jonathan Berlin, die zwölfjährige Stute ?Wind?!? Das Publikum klatscht kurz.
Ich schlucke und gebe mir einen Ruck. Mit entschlossenem Blick drehe ich mich langsam auf der Stelle um und atme noch einmal tief aus. Jetzt zählt jede noch so kleine Bewegung.
Ich mache einen Schritt und beginne sofort zu traben. Den Blick halte ich dabei auf die Markierungen gerichtet, an denen ich mich orientieren muss. Nach wenigen Sekunden erreiche ich den Rand des Dressurfelds und biege mit einer sanften Kurve nach rechts ab. Gerade den Start habe ich in den letzten Tagen immer wieder geübt, damit mir nicht gleich am Anfang ein Fehler unterläuft. Ich spüre nun, wie ich mit jedem Schritt an Sicherheit gewinne.
Erneut mache ich eine leichte Rechtskurve, so dass jetzt die lange Seite des Feldes vor mir liegt. Sie ist sechzig Meter lang und muss getrabt werden. Dabei achte ich darauf, möglichst gleichmäßige Schritte zu machen und meine Knie weit genug anzuheben.
Als ich die Längsseite hinter mir gelassen habe und auf die nur zwanzig Meter lange Stirnseite eingebogen bin, ändere ich meine Körperhaltung. Zwar behalte ich die Gangart bei, aber nun drehe ich meinen Oberkörper mit Kopf in Richtung der Innenseite des Feldes. Ich suche mir eine der Markierungen aus, um mich darauf zu konzentrieren.
Das Schwierige an dieser Übung ist, dass ich genau geradeaus laufen muss, um keine Punkte zu verlieren. Das ist alles andere als einfach, denn normalerweise bewegt man sich immer in die Richtung, in die man auch schaut. Es hat Tage gedauert, bis ich die Übung zumindest einigermaßen beherrscht habe.
Endlich habe ich die Stirnseite hinter mir gelassen. Zwar habe ich meine Spur nicht ganz halten können, bin aber auch nicht zu stark zur Seite gedriftet. Nun schaue ich wieder nach vorne und trabe mit möglichst gleichmäßigen Schritten die Bahn entlang.
Als ich die Mitte der Längsseite erreicht habe, wartet die nächste Figur auf mich. Etwa drei Meter vor der Markierung drehe ich mich nach links. Anschließend laufe ich in einem möglichst runden Kreis um die Markierung herum, bis ich wieder an meinem Ausgangspunkt angekommen bin. Zwar habe ich das Gefühl, dass mein Kreis nicht wirklich rund geworden ist, aber das ignoriere ich erst einmal. Mit federnden Schritten trabe ich weiter am Rand des Dressurfeldes entlang.
Als ich am Ende der Geraden angekommen bin, kommt eine weitere Rechtskurve. Wenige Sekunden später ist meine erste Runde abgeschlossen. Noch immer bin ich angespannt, aber längst nicht mehr so nervös wie vor wenigen Minuten.
Dann habe ich auch die zweite Stirnseite hinter mir gelassen und biege erneut rechts ab. Doch dieses Mal folge ich nicht der äußeren Begrenzung des Dressurfeldes. Jetzt kommt die Traversale dran, eine weitere Aufgabe, die es wirklich in sich hat.
Konzentriert setze ich mein rechtes Bein nach vorn. Das linke folgt, wird dann aber vor dem anderen Bein nach innen gezogen. Ich wiederhole diese Bewegung immer wieder, so dass ich schräg nach rechts vorne laufe. Die Figur wird in einem recht hohen Tempo ausgeführt, was es nicht gerade einfacher macht.
Immer wieder werfe ich einen abschätzenden Blick auf die Markierung, um die ich vorhin im Kreis gelaufen bin. Genau dort muss ich ankommen. Die schwere Aufgabe hat mir von Anfang an gefallen und macht mir Spaß. So schaffe ich es auch, die Markierung beinahe perfekt zu erreichen.
Ohne eine erkennbare Unterbrechung laufe ich die Traversale nun genau umgekehrt. Ich setze das linke Bein gerade nach vorne und ziehe mit dem rechten nach innen. Dieses Mal ist der Endpunkt der langen Geraden mein Ziel. Diese Markierung verfehle ich leider um einen knappen Meter. Anschließend gehe ich die Stirnseite im Schritt ab. Sorgfältig achte ich darauf, gleichmäßige Schritte zu machen und die Knie weit genug anzuheben.