Mittwoch, 28. April 2021
Mars10-Die Petärztin (1)
Ich öffne die Tür meiner Praxis und betrete den Vorraum mit dem Tresen. Meine Mitarbeiterin an der Anmeldung sitzt schon hinter ihrem Monitor und lächelt mir entgegen.
?Sol, Kira,? begrüße ich sie. ?Was liegt heute an??
?Sol, Ona! Heute musst du in das Gestüt Morgan. Die Stute ?Wonder? ist für heute ausgerechnet.?
?Okay! Dann warten wir den Anruf ab,? entscheide ich, und betrete die Küche.
Ich lasse mir von der Maschine einen Kaffee machen und nehme den Becher mit in mein Büro. Dort setze ich mich an einen Monitor und melde mich in unserem kleinen Netzwerk an. Mein Name ist Ona Henderson. Ich bin ?niedergelassene? Petärztin in Arsia, das heißt, ich führe eine eigene Praxis. Neben den Praxiszeiten muss ich auch Hausbesuche machen.
Genau das ist damals nach dem Medizinstudium mein Beweggrund gewesen. Ich möchte niemanden über mir haben, der mir vorschreibt, was ich zu tun habe! So eine eigene Praxis bedeutet natürlich eine Menge Kosten und das Verhandeln mit Banken und Versicherungen, um sie zu stemmen.
Nach und nach kommen drei weitere Arzthelferinnen an. Als medizinisches Personal ist es ihnen erlaubt, kleinere Verletzungen selbständig zu behandeln, Blut abzunehmen und Impfungen durchzuführen, neben dem Ausstellen routinemäßiger Rezepte. So brauche ich keine zweite Ärztin einzustellen für die Ablösung während der Hausbesuche und die Stoßzeiten in der Praxis, was auch eine finanzielle Entlastung bedeutet.
Wir tauschen unsere Alltagskleidung gegen die weiße Praxiskleidung aus einem Wandschrank im Aufenthaltsraum. Anschließend gehe ich zurück zur Anmeldung. Im selben Augenblick öffnet sich die Praxistür und ein Mann tritt ein.
?Sol,? sagt er und schaut uns unsicher an.
Kira antwortet, professionell lächelnd: ?Sol, Herr. Wie können wir Ihnen helfen??
?Einer meiner Bullen ist schlimm gestürzt. Könnten Sie sich das einmal anschauen?? entgegnet er.
?Kein Problem,? beruhige ich den Mann. ?Haben Sie ihn mitgebracht? Kann er selbst laufen??
Er macht ein besorgtes Gesicht und meint: ?Ich weiß nicht??
Dann schaut er mir direkt ins Gesicht und sagt:
?Ja, ich habe ihn allerdings liegend transportiert. Mein Wagen steht draußen an der Rampe.?
?Okay, dann kommen Sie kurz mit!? entscheide ich und rufe im Vorbeigehen in den Aufenthaltsraum: ?Malia, kommst du eben mit??
Eine der dort Kaffee trinkenden Arzthelferinnen erhebt sich und folgt uns. Ich führe den Mann durch einen gefliesten Gang zu der Tür, die zur Rampe an der Straße führt. Der Berufsverkehr ist gerade in vollem Gang. Entsprechend laut ist es hier draußen.
Ich klettere von der Rampe auf die Ladefläche des dort stehenden Ponywagens, vor dem zwei Ponys stehen. Der Bulle liegt auf einem provisorischen Strohlager. Mich neben ihn hockend, taste ich seine Beine ab. Eine Stelle fühlt sich anders an und der Bulle verzieht schmerzvoll das Gesicht.