Nicci (25)
Er lässt sich neben mir in seiner Betthälfte nieder und hebt sein Tablett über seine Oberschenkel. Während auf seinem Teller ein Schnitzel mit Reibekuchen und Jägersoße liegt, hat er mir wieder die Haferflocken-Pampe gekocht! Ich schaue ihn an.
„Wann darf ich denn wieder richtig essen?“
„Morgen Abend bei dir zuhause kannst du die ersten Versuche unternehmen, Liebes!“ meint er.
Ich stochere mit dem Löffel in der Pampe und mir fallen einige gelbe Schnitzel auf.
„Was ist das?“ frage ich ihn. Er lächelt und erklärt mir:
„Ich habe eine Aprikose in kleine Streifen geschnitten und untergerührt.“
„Ist das denn gut bei einem verkorksten Magen, Darm?“
„Aber ja, vertrau mir! Gestern Abend war es ein Apfel, heute zur Abwechslung eine Aprikose. Banane oder Möhre hätten sich in deinem Zustand ebenfalls als Heilpflanzen angeboten.“
„Achso,“ meine ich. „Heilpflanzen also! Bist du im Nebenberuf Homöopath?“
Peter lacht auf.
„Naturheilkunde, Heilpraktik, Phytotherapeut, wie das heute hochgestochen heißt, kann man als Beruf wählen. Dazu braucht man aber ein Zertifikat. Unsere Omas brauchten das nicht und trotzdem wussten sie auf viele Zipperlein im Alltag eine Antwort von Mutter Natur. Das wichtigste ist Entspannung, zur Ruhe kommen. Und dann die Wirkung gewisser Pflanzenstoffe ausnutzen! Hier in unserem Fall gerade sind es Pektine, die helfen - und sogenannte Elektrolyte.“
Ich lächele säuerlich und gehe nicht weiter darauf ein. Peter zeigt einmal mehr, dass er eine Menge weiß. Stattdessen frage ich ihn:
„Aber ich habe uns doch jetzt unser ganzes Programm für das Wochenende zunichte gemacht!“
„Ich wäre ein schlechter Herr und Owner, wenn ich nicht auf aktuelle Gegebenheiten reagieren und das Programm umstellen könnte, Liebes! Wir haben noch Jahre Zeit! Was sind da schon ein paar Tage? Außerdem bin ich ja jetzt ebenso in meiner Rolle, als wenn wir nonverbale Kommunikation der Caniden üben würden…“
Ich kann es mir nicht verkneifen zu bemerken: „Soso, nonverbale Kommunikation…“
Peter lächelt mich an und gibt mir einen Kuss.
„Ja, Gestik und Mimik, um in einer Situation zu beschwichtigen und beruhigen…“
„Aha…“ mache ich noch und rutsche tiefer, um mich wieder hin zu legen.
Peter räumt die Tabletts nacheinander ab und bringt die Sachen zurück in die Küche. Während er dort beschäftigt ist, husche ich schnell zur Toilette. Dann höre ich Peter durch die geschlossene Tür:
„Bist du drin? Wie geht es dir?“
„Schon viel besser!“ antworte ich ehrlich.
Als ich wenige Minuten danach die Toilette verlasse, fragt er mich:
„Brauchst du die ständige Nähe zur Toilette, oder können wir einen kleinen Ausflug wagen?“
„Wie meinst du?“ bitte ich um nähere Informationen.
„Eine dreiviertel Stunde Fahrzeit von hier befindet sich ja das Künstlerdorf, von dem ich dir erzählt habe. Dort könnten wir ein wenig spazieren gehen und uns ins Café setzen. Aber nur, wenn sich dein Darm inzwischen beruhigt hat!“ erklärt Peter mir.
„Ich denke, das schaffe ich,“ antworte ich ihm.
„Okay,“ meint er, „dann starten wir gleich das Experiment.“
Eine halbe Stunde später sitzen wir im Auto. Ich darf bekleidet neben ihm sitzen und den Nachmittag als Zweibeiner verbringen!
Peter hält auf einem Parkplatz neben Hütten in den unterschiedlichsten Formen. Manche sehen aus wie hölzerne Schuppen, andere haben die Form eines Iglus. Ich mache große Augen, als wir aussteigen.
Dann zeigt Peter auf einen Waldweg und meint:
„Hier wären wir herausgekommen, wenn wir letztens an der Skulptur anders abgebogen wären – statt in Richtung See zu gehen.“
„Ah,“ mache ich.
Wir gehen den Rundweg entlang, an dem die Behausungen liegen. Überall können wir eintreten und Skulpturen aus Stein, sowie Schnitzereien aus Holz bewundern. Auch Bilder sind ausgestellt, die mit Wasser- und Ölfarben gemalt wurden. Wir sind nicht die einzigen Besucher hier. Staunend schaue ich mich um. Auch Gebrauchsgegenstände aus gebranntem Ton finden sich hier.
Schließlich muss ich Peter doch nach einer Toilette fragen. Er führt mich zum Café und setzt sich an einen Tisch, während ich mich hinter eine hölzerne Tür mit herzförmigem Ausschnitt zurückziehe.
Als ich zu Peter zurückkehre hat er schon einen Tee und ein Stück Kuchen vor sich stehen. Nachdem ich mich zu ihm gesetzt habe, bringt mir die Bedienung eine Suppentasse mit Hühnerbrühe und zwei halbe Scheiben Toastbrot.
Ich bedanke mich und beuge mich zu Peter hinüber, um ihm einen Kuss auf die Wange zu drücken. Er legt mir seinen Arm sanft über die Schultern und sagt:
„So ganz okay bist du ja noch nicht. Ich bringe dich morgen nachhause!“
„Aber ich habe ein Rückfahrticket gekauft!“ versuche ich zu protestieren.
„Keine Widerrede!“ sagt er mit fester Stimme. „Was wäre, wenn du deinen Anschlusszug verpasst, weil du auf der Toilette sitzt? Züge warten nicht – ich schon!“
Stumm liegen wir uns in den Armen und küssen uns.

*

Es hat tatsächlich noch bis Dienstag gedauert, bis ich wieder okay gewesen bin. Peter hat mich am Sonntag nachhause gebracht und ist dann wieder zurückgefahren. Eine Woche danach habe ich meinen letzten Arbeitstag im Büro und wenige Tage später ist mein Mietvertrag ausgelaufen. An dem Wochenende ist Peter mit einem kleinen gemieteten Lkw vorgefahren und wir haben mit Hilfe meines Bruders Alexander zu dritt die Wohnung leergeräumt.
Nun wohne ich schon einen Monat bei Peter und muss sagen, ich habe es nicht bereut!