Die Wölfin 07
„Ja, richtig,“ meint mein Herr. „Dann folgen Sie mir bitte weiter.“
Er öffnet die Tür des Durchgangs zum Speiseraum, zeigt ihnen dort alles und führt sie anschließend die Treppe hinunter ins Untergeschoß. Dort öffnet er ihnen kurz den Schulungsraum, um sie dann hinten hinaus zu führen und ihnen die Zwinger unter der Terrasse zu zeigen.
„Wie Sie sehen, können Doggies hier draußen gehalten werden und sind trotzdem vor fremden Blicken geschützt!“
Er weist auf den blickdichten Zaun hin und öffnet schließlich einen der sechs Quadratmeter großen Zwinger.
„Sie wollen, dass ihr Wuffel das Dog-Dancing lernt?“ fragt er noch einmal nach. „Das dauert aber mehrere Wochen! Diese Woche bringe ich ihm die nonverbalen Kommandos bei. Er wird dann auf einzelne Gesten reagieren, als ob Sie Kommandos aussprechen würden. Dafür ist Ihre Anwesenheit natürlich notwendig, denn auch Sie müssen die Gesten kennen und anwenden können.
In einem zweiten Schritt bringe ich Ihnen Beiden dann verschiedene Choreografien bei, die Sie sich gerne aus vorhandenen Videos auswählen dürfen.“
„Okay,“ meint die Frau nun. „Wie sieht dann Ihre Planung für die Woche aus?“
„Wenn Sie möchten, beginnen wir gleich mit dem Training. Nach dem Frühstück morgen schaue ich mir an, was Sie beide behalten haben und korrigiere eventuell. So machen wir das dann täglich: Training nach dem Mittagessen, Vertiefen am Vormittag. Ab dem Nachmittag haben Sie dann frei und können zu Spaziergängen in der Umgebung aufbrechen.“
„Das hört sich gut an,“ meint Sie und er nickt dazu.
„Okay, dann legen Sie schonmal ihren Schlafsack in den Zwinger und folgen Sie mir. Sie haben sicher großen Hunger,“ meint mein Herr zwinkernd und hält ihnen die Tür zum Untergeschoß auf.
Er führt sie nun in den Gastraum, wo unser Koch sie nach ihren Wünschen fragt. Mein Herr setzt sich dazu und plant mit ihnen die Menüs und das Napfessen für die ganze Woche ihres Aufenthalts. Dann essen sie gemeinsam mit meinem Herrn, der sich beim Essen mit ihnen über ihr Petplay unterhält, um soweit Einblick zu erhalten, wie er es für das Training braucht. Die ganze Zeit ist Herr Schmidt noch Zweibeiner. Das ändert sich erst, nachdem er mit seinem Frauchen nach dem Essen in ihrer Box im Heuhotel verschwunden ist.
Danach beginnt für Herr Schmidt, der jetzt ‚Wuffel‘ heißt, der Ernst als Vierbeiner. Über die Woche treffe ich die Beiden des Öfteren im Haus. Mein Herr hat gesagt, dass ich für die Dauer ihres Aufenthaltes ‚Wuffels‘ Gangart nachahmen soll. Er geht auf Händen und Knien und nutzt dafür Bauarbeiter-Knieschoner. Mein Herr hat mir ähnliche angezogen, damit ich ‚Wuffel‘ und sein Frauchen nicht mit dem BearCrawl verunsichere.
An ihrem letzten Tag soll ich sie durch die Umgebung des Hofes führen, weil unser Koch mit dem Mittagessen warten muss. Vanja will uns heute besuchen und vielleicht eine ganze Woche bleiben. Ich freue mich sehr auf meine ‚Seelenschwester‘. Meine Gedanken wandern während des Spaziergangs mit unseren Kunden immer wieder zu ihr.
Wir krabbeln gerade auf Händen und Knien über den Waldweg in dem kleinen Wäldchen unterhalb des Hofes, als ich wie angewurzelt stehenbleibe. ‚Wuffel‘ wechselt den Blick erstaunt zwischen mir und seinem Frauchen. Da hören wir das langgezogene Heulen wieder.
„Wouuuuuuh! Woouuuuuuhhh!“
Frau Schmidt fragt mich nach einer Schrecksekunde:
„Ennie, habt ihr hier Wölfe?“
Ich schüttele den Kopf und antworte ihr:
„Nein! Das wäre dann der Erste, der hier vorbei wandert. Aber ein Einzelgänger würde sich nicht am helllichten Tag so bemerkbar machen. Sie sind scheu. Das hier ist Vanja, die Wölfin…“
Ich steige auf Hände und Füße in den BearCrawl und will loslaufen, als Frau Schmidt hinterherruft:
„Ist er denn nicht gefährlich?“
„Sie ist zahm!“ rufe ich laut zurück.
Ich habe mich kurz zum Antworten umgedreht, dann laufe ich los. Herr und Frau Schmidt brauchen mir nur aus dem Wäldchen heraus zu folgen, dann sehen sie den Hof schräg über sich und erkennen den restlichen Weg.
Unterwegs höre ich noch einmal ihr Wolfsgeheul, dann breche ich zwischen zwei Büschen aus dem Wäldchen hervor. Auf halber Strecke zwischen Hof und Wäldchen sehe ich eine schwarze Gestalt auf allen Vieren, die langsam näherkommt.
Ich hetze den flachen Hang hinauf und auf sie zu. Sie hat mich schnell erkannt, lässt ein helles Japsen verlauten und kommt mir entgegengelaufen. Wir treffen mit den Schultern im spitzen Winkel aufeinander, so dass wir uns beide umwerfen. Nun rollen wir lachend ein paar Meter den Hang hinunter.
Nachdem wir uns aufgerappelt haben, will ich sie herzlich begrüßen, aber Vanja hetzt zur Seite weg. Ich lächele nun und hetze ihr hinterher. Unsere Gäste, die ich führen sollte, habe ich darüber ganz vergessen. Vanja läuft in einem Bogen auf den Hof zu. Das bietet mir die Gelegenheit den Weg abzukürzen.
In der Nähe der Seitentür habe ich Vanja wieder erreicht und umgeworfen. Sie legt sich auf den Rücken, beugt Ellbogen und Knie und macht einen langen Hals, während ich über ihr stehe und mich theatralisch zu ihr hinunter beuge. Dabei flüstert sie mir außer Atem zu:
„Ich sollte euch zum Essen rufen…“
Das lässt mich nach dem Ehepaar Schmidt schauen. Frau Schmidt und ihr ‚Wuffel‘ sind noch etwa zwanzig Meter entfernt. Sie haben den geraden Weg quer über die Wiese genommen. Wir setzen uns auf und warten bis die Beiden heran sind.
In diesem Moment geht die Seitentür auf und mein Herr tritt heraus, das Türblatt festhaltend.
„Hallo Herr und Frau Schmidt,“ sagt er lächelnd. „Da haben sie einmal ausgelassene Spielfreude erlebt…“
Die Beiden sind sprachlos, machen große Augen und gehen an uns vorbei ins Haus. Dabei erklärt ihnen mein Herr:
„Das Essen ist fertig. Sie können gerne im Gastraum Platz nehmen.“
Zu uns gewendet ergänzt er:
„Wollt ihr draußen weiterspielen oder ebenfalls reinkommen?“