Sarah, die Youtuberin (9)
Erstes Video – Die Story (von Sarah erzählt)

Wölfe heulen. Ich habe schreckliche Angst. Seit ich denken kann, lebe ich mit meinen Eltern und unserer Hündin Maja auf einem kleinen Hof im Wald. Meine Eltern trinken oft ‚Wässerchen‘ -Wodka- und haben sich irgendwann nicht mehr um mich gekümmert. Maja, meine ‚große Schwester‘ hat das seitdem übernommen.
Sie hat mich beschützt, mir das Laufen auf allen Vieren beigebracht, gezeigt wovor ich mich in Acht nehmen muss, mit mir ihr Futter geteilt und gespielt. Sie ist auch jagen gegangen, damit wir genug zu essen haben. Das alles ist nun nicht mehr!
Meine Eltern haben das große flackernde Licht angezündet. Es hat immer mehr verschlungen. Maja ist bellend ins Haus gelaufen. Sie wollte bestimmt meine Eltern zur Flucht bewegen. Ich bin in panischer Angst geflohen. Nun irre ich seit Tagen durch den Wald. Ich habe großen Hunger. Jetzt sind auch noch Wölfe in meiner Nähe…

*

Was ist das? Ein Haus auf einem freien Platz im Wald! Genau wie zuhause. Aber das Haus sieht im Mondschein irgendwie anders aus, als das Haus meiner Eltern. Ich schleiche um das Haus herum. Es hat auch einen Bereich, wo essbare Pflanzen wachsen. Ich schaue hinauf zum Mond. Er leuchtet friedlich, wie immer. Vorsichtig schleiche ich näher.
Ich beuge mich über eine fußballgroße Pflanze am Boden und beiße oben hinein. Die Pflanze kenne ich. Zuhause habe ich sie von Zeit zu Zeit kleingeschnitten in einer Schüssel bekommen. Ich bleibe davor sitzen und stille meinen drängendsten Hunger.
Die Wölfe trauen sich nicht näher heran und verziehen sich bald.
Langsam dämmert es. Neugierig erforsche ich hier alles. Als ich einer Tür zu nahe komme und daran klappere, flattert dahinter ein kleines zweibeiniges Tier aufgeregt mit den Flügeln und gackert lauthals. Erschreckt laufe ich weg und verstecke mich.
Gerade rechtzeitig, denn in dem Moment sehe ich durch die Zweige des Busches, dass jemand einen Fensterladen öffnet und in den Garten hinaus-schaut. Es ist ein großer Zweibeiner, wie meine Eltern. Bald schließt er das Fenster wieder, lässt aber den Laden offen.
Das gleiche knarzende Geräusch, wie beim Öffnen des Fensterladens, höre ich nun noch ein paarmal. Dann ist es erst einmal eine Zeitlang still. Ich traue mich bald aus der Deckung, ziehe eine orange Wurzel aus der Erde, beiße das Kraut daran ab und trage sie zu einem kleinen Teich neben der eingezäunten Wiese, um sie zu waschen.
Anschließend beiße ich sie in kleine Stücke, um sie essen zu können. Sie ist hart. Ich kann immer nur kleine Stücke kauen.
Ich höre eine Tür knarzen und verstecke mich schnell wieder. Ein Mann kommt aus dem Haus und geht zu dem niedrigen Anbau. Er hat eine Metallkanne und so ein kleines graues Ding dabei. Zuerst geht er zu den Flattertieren, dann hinüber in den anderen Bereich. Neugierig schleiche ich mich auf allen Vieren näher.
Der Mann sitzt neben einem Tier mit harten Spitzen auf dem Kopf, vor denen man sich in Acht nehmen muss. Er macht etwas mit den Händen zwischen den hinteren Beinen des Tieres und immer wieder schießt ein Strahl weißer Flüssigkeit in die Metallkanne. Schließlich steht der Mann auf und kommt rückwärts aus der Tür. Er zieht das Tier auch aus dem Raum und lässt es auf die umzäunte Wiese. Danach schließt er den Zaun und dreht sich in Richtung des Hauses um.
Dabei übersieht er mich, stolpert und fällt hin. Vor der umgestürzten Kanne bildet sich eine weiße Pfütze. Der Mann setzt sich auf und schaut sich um. Ich bin erschrocken zurückgewichen.
„Hallo, junge Frau!“ höre ich ihn sagen. Er hat so eine sanfte Stimme. „Hast du Hunger? Durst?“
Ich antworte, wie ich es gewohnt bin, mit einen „Wuff!“
Er macht große, erstaunte Augen, wendet sich zu der Kanne und hebt sie auf.
„Du hast Glück! Ein bisschen ist noch drin,“ meint er und schüttet es in eine Blechtasse.
„Na, komm her…“ lockt er mich.
Dabei lächelt er freundlich und hat so einen warmen Klang in der Stimme. Ich überwinde meine Scheu und nähere mich Schritt für Schritt mit meinem Mund der Tasse. Er lässt mich die noch warme Flüssigkeit trinken.
„Nun habe ich nichts mehr!“ meint er dann.
Er nimmt die kleine graue Schachtel auf, die er vorhin neben die Tür zu den Flattertieren hingestellt hat und geht auf das Haus zu.
„Wenn du möchtest, komm mit hinein!“ bietet er mir an.
Ich schaue zweifelnd zu ihm auf und kratze mich mit der Vorderpfote an der Seite. Ins Haus meiner Eltern habe ich nie gedurft. Maja und ich haben draußen gelebt und aneinander gekuschelt im Anbau geschlafen.
Er hält mir die Tür auf und sagt: „Na?“
Spontan beginne ich auf dem Boden herum zu schnüffeln und nähere mich ihm langsam und vorsichtig. An der Tür angekommen, strecke ich mich ausgiebig und schnüffele dann an der Tür.
Der Mann ist einen Schritt hineingegangen und hält mir von dort geduldig weiter die Tür auf. Es geht eine Stufe hoch. Innen vor mir geht es noch einmal fünf Stufen höher. Hinter einer Trennwand führen aber auch mehrere Stufen nach unten ins Dunkele. Vorsichtig nehme ich Stufe für Stufe nach oben. Dort sind rechts weitere Stufen, die noch weiter nach oben führen, und eine andere Haustür. Vor mir hängt eine Jacke an der Wand. Ein Paar Stiefel stehen darunter. Links führen zwei Türen weiter.