Luna -07-
In den nächsten Tagen lasse ich mich überreden mit ihm zu dem Behinderten-Sportverein zu gehen und beim Training zuzuschauen. Ich werde dort herzlich aufgenommen und darf ein paar Minuten mitspielen, so dass ich mich gleich zuhause fühle. Ein Formular soll ich zuhause unterschreiben lassen, dass meine Eltern mit der Mitgliedschaft einverstanden sind. Dazu bitte ich Maik mir zur Seite zu stehen. Papa will mich vor allen Problemen des Alltags beschützen. Es könnte also passieren, dass er ablehnt, weil man beim Sport schonmal verletzt werden kann.
Meine Überlegung ist also, ihm Maik vorzustellen, Vertrauen zu schaffen und so seine Zustimmung zu bekommen mit dem Argument, dass Maik mich in den Zeiten schützt und stützt, in denen Papa nicht anwesend sein kann.
Nach meinen Hausaufgaben rolle ich also ins Wohnzimmer und spreche Mama darauf an:
„Mama…“
„Ja, Maus?“
„Ich habe in der Schule einen süßen Jungen kennengelernt…“
Sie schaut von ihrem Roman auf.
„Hey, das ist wunderschön! Wie heißt er denn? Wie ist er so?“
„Maik heißt er, ist zwei Klassen höher als ich und hat mich in der Schule vor der üblichen Sorte Jungs beschützt.“
„Ich freue mich für dich, wenn du endlich jemanden gefunden hast, den dein Rollstuhl nicht stört!“
„Nicht nur das! Er hat mir angeboten, im Behinderten-Sportverein Handball zu spielen. Er ist selbst in der Handballmannschaft im örtlichen Sportverein. Er würde auf mich achten.“
„Hm, du weißt, wie Papa darüber denkt!“
Ich kräusele die Stirn.
„Bitte leg ein gutes Wort bei Papa ein! Ich kann nicht mein Leben lang hinter Mauern vor der Welt beschützt werden. Beim Sport kann man sich schonmal verletzen – aber das ist etwas völlig anderes, als wenn schlechte Menschen mir etwas antun wollen!“
„Ich rede heute Abend mal mit Papa!“ sagt sie und nickt mir aufmunternd zu.
„Kannst du heute Abend Papas Lieblingsessen machen, Mama?“ lasse ich nicht locker. „Heute Abend kommt Maik, um sich bei Papa vorzustellen. Dabei möchte ich ihm den Mitgliedsantrag für den Sportverein gleich vorlegen…“
Ich schaue Mama mit meinem schönsten Augenaufschlag an. Mama lacht auf. Alle Skepsis ist aus ihrem Gesicht gewichen.
„Soso, du hast einen Frontalangriff geplant. Okay, ich gehe gleich in die Küche. Wenn Maik der ist, der er zu sein scheint, dann wickelst du in bekannter Art deinen Vater um den kleinen Finger!“
„Danke, Mama,“ sage ich und rolle ganz dicht an sie heran, um sie zu umarmen.
Gegen neun Uhr ist Papa an diesem Tag endlich zuhause. Mama hat den Tisch schon gedeckt. Als Papa sich dazu setzt, fragt er:
„Haben wir heute etwas Besonderes? Habe ich ein Datum übersehen?“
Mama setzt sich auch wieder, nachdem sie ihn begrüßt hat und füllt ihm seine Tasse mit Tee. Dann nimmt sie, leicht schmunzelnd, seinen Teller und füllt ihn. Als sie ihn vor Papa hinstellt, klingelt es an der Tür.
„Wer kann das jetzt noch sein?“ fragt er und schaut von Mama zu mir und wieder zu Mama.
Ich drehe meinen Rollstuhl schnell vom Tisch weg und rolle ihn in Richtung Wohnungstür. Maik steht wie erwartet davor. Er hat einen kleinen Strauß in der Hand und küsst mich auf die Stirn. Ich lasse ihn eintreten und rolle hinter ihm her zum Wohnzimmer.
„Guten Abend, Herr und Frau Weiler,“ begrüßt er meine Eltern und übergibt die Blumen an Mama, die aufgestanden ist, um die Blumen in eine Vase zu tun.
„Guten Abend,“ gibt Papa den Gruß zurück. Er hat sich auf dem Stuhl nur halb umgedreht. „Darf ich nach dem Grund…“
„Mein Name ist Maik Haller. Ich bin Andreas Freund. Ich wollte mich ihnen heute einmal vorstellen.“
„Ah,“ sagt Papa. „Dann nimm dir mal einen Stuhl und setz dich dazu. Du magst doch sicher eine Kleinigkeit…“
„Ja, gern,“ antwortet Maik und nimmt sich den Stuhl aus der Ecke, der dort steht, damit ich mit dem Rolli an den Tisch komme. Er setzt sich, während Mama die Vase mit den Blumen auf den Tisch stellt. Dann nimmt sie eine Tasse und einen Teller, um ihm auch eine kleine Portion anzubieten. Ich rolle wieder an meinen Platz zwischen Papa und Maik und suche Maiks Hand, um sie zu drücken und mich daran festzuhalten. Auch lehne ich mich bei ihm an. Das fällt Papa natürlich auf.
„Das kann aber nicht der einzige Grund für den heutigen Abend sein…“ sagt Papa lächelnd in die sich ausbreitende Stille.
„Papa,“ beginne ich nun. „Maik hat mich in der Schule beschützt, als man begann, über mich herzuziehen, nur weil ich anders bin. Damit war für ihn die Sache aber nicht gegessen. Er will mich weiterhin beschützen, stützen und fördern… Wir mögen uns!“
„Das finde ich bewundernswert!“ sagt Papa und schaut Maik direkt an. „Wie stellst du dir die Förderung vor?“
„Ich bin Mitglied im örtlichen Sportverein und möchte Andrea in die Gesellschaft wohlmeinender Menschen bringen. Menschen, die nicht ihre Behinderung sehen, sondern ihre Fähigkeiten.“
„Ah, du meinst also im Sportverein könnte sie ihren Rolli vergessen?“
„Wenn alle im Rolli Sport betreiben,“ kontert Maik, „fällt das nicht mehr auf. Außerdem gewinnt Andrea an Selbstbewusstsein. Sie erkennt, was sie imstande ist zu schaffen!“
„Erkläre das genauer!“ fordert Papa Maik auf.
„In einem halben Jahr findet ein Benefiz-Turnier im Ort statt. Behinderte Sportler spielen gegen Nichtbehinderte Handball. Andrea hat sich das Training der Behindertensport-Gruppe schon angeschaut und durfte ein paar Minuten mitmachen. Ich spürte, dass ihr das gut getan hat.“
Papas Gesicht zeigt Unverständnis.
„Behinderte spielen gegen Nichtbehinderte Handball…“
„Ja, die Nichtbehinderten sitzen ebenfalls auf Rollstühlen. Chancengleichheit ist also gegeben. In der Damenmannschaft könnten sie noch jemanden gebrauchen…“
Ich schaue zu Papa auf.
„Bitte, Papaaa…“