Luna -14-
„Hey Liebes,“ antwortet Maik und legt seinen Arm um mich. „Es heißt ‚Spaß ist Spaß und Ernst ist Ernst‘. Ein Spiel muss Beiden Spaß machen! Einen ständigen Machtkampf führen, wer von uns beiden nun das „Alphatier“ ist, dich ständig bezwingen zu müssen, das liegt mir nicht! Wenn so etwas vorkommt, zeige ich dir mein Missfallen schon! Nur eben nicht durch anbrüllen und schlagen, sondern eher nonverbal durch einen traurigen Gesichtsausdruck und indem ich dich kurze Zeit ignoriere, dir meine Zuwendung entziehe!“
„Das empfinde ich als die schlimmere Variante!“ stelle ich traurig fest und kuschele mich an ihn.
„Denk an den Charakter der LUNA!“ antwortet er. „Sie ist verspielt, mag es aber in der Familie zu leben. Sie wird also aufhören zu zicken, wenn sie spürt, dass ihr Herrchen über ihr Verhalten traurig ist.“
„Ich denke daran!“ verspreche ich Maik, zu ihm aufschauend.
„Junge Hunde versuchen – wie junge Menschen auch – ihre Grenzen auszutesten,“ sagt Maik. „Das fordert das Alphatier des Rudels heraus. Es zeigt gebremste Aggression – eine deutliche Warnung! Dann folgt das Beschwichtigungssignal des Jüngeren oder ein gebremster Angriff des Alphatiers: Ein Zwicken, kein Beißen, kein Verletzen. Das reicht eigentlich aus, die Ordnung im Rudel wiederherzustellen.
Übertragen auf unser Rollenspiel heißt das: Wirst du übermütig oder widerspenstig, erfolgt meinerseits eine verbale Warnung und Leckerlis werden gestrichen. Ich korrigiere geduldig. Du hast die Chance, dich wieder angepasst zu verhalten, Wohlverhalten zu zeigen. Im gegenteiligen Fall entziehe ich dir eben kurze Zeit meine Zuwendung.“
Wir sitzen einige Minuten still nebeneinander. Irgendwo muss ich ihm Recht geben. Ein Spiel soll beiden Mitspielern Spaß machen. Ich darf den Bogen nicht überspannen – und ich will Maik auch nicht enttäuschen. Ich habe ihn liebgewonnen!
Schließlich macht er weiter.
„Will ich, dass du nur mit den Vorderpfoten irgendwo drauf steigst, sage ich AUF und lege dabei die Hand irgendwo drauf, genau wie bei dem Kommando HOPP. So kann ich dir zum Beispiel in aller Ruhe die Zähne putzen…“
„Die Zähne putzen?“ frage ich ihn belustigt.
„Das war nur ein Beispiel. Der Herr pflegt ja schließlich seinen Hund. Ich kann dich dann zum Beisiel auch kämmen, eincremen, oder was auch immer.“
„Ahso,“ kommentiere ich seine Aussage, immer noch belustigt.
„Das gegenteilige Kommando heißt dann natürlich AB,“ sagt er nun. „Dann gehst du wieder auf alle Viere.“
Ich gehe auf alle Viere vor meiner Zweisitzer-Couch und spiele noch einmal alles mit ihm durch, denn es ist wieder Zeit für ihn nachhause zu gehen.

*

Wochen später hat Maik sein Abschlusszeugnis bekommen und eine Sause mit seinen Kumpels gemacht. Am nächsten Tag verbringt er die meiste Zeit im Bett. Am Abend kommt er doch noch zu mir. Aber man merkt ihm die Nachwirkungen der Sause noch an. Ich bemuttere ihn und er lässt es zu. Ich freue mich, ihm auf diese Weise ein wenig seiner Fürsorge für mich zurückgeben zu können.
Jetzt haben wir sechs Wochen Ferien. Danach wird er auf einem Berufskolleg sein Abitur machen. Vielleicht mache ich das Gleiche, wenn ich in zwei Jahren ebenfalls mein Abschlusszeugnis bekomme – bis auf die Sause. Darauf verzichte ich gerne!
Nach einer Woche fragt er Mam und Paps, ob sie es erlauben, dass ich für ein paar Tage mit ihm weg fahre. Papa macht ein besorgtes Gesicht.
„Papaa, bitteee…“ ziehe ich die Worte in die Länge und schaue ihn in bekannter Manier von unten herauf an.
„Ihr ward noch nie über Nacht alleine,“ gibt er zu bedenken.
„Papa! Ich nehme die Pille!“ gebe ich entrüstet zurück.
Maik schaltet sich ein. Er verspricht:
„Ich achte auf Andrea, Herr Weiler! Ich passe auch auf, dass sie die Pille nicht vergisst!“
„Manfred…“ sagt Mama da gedehnt.
„Also gut,“ lenkt Papa ein. „Denkt daran: Schule und Ausbildung sollen in eurem Alter an erster Stelle stehen!“
„Es wird schon nichts passieren, Papa!“ versichere ich noch einmal.
Maik will mir nicht sagen, was er vorhat. Ich bin auf den Ausflug gespannt wie ein Flitzebogen. Denn er hätte meine Eltern nicht gefragt, wenn wir in der Nähe bleiben und ich bei ihm im Zimmer übernachten soll. Seine Eltern müssen ihm zum Abschluss der Realschule etwas geschenkt haben, an dem ich teilhaben darf.
In der vierten Woche der Sommerferien holt er mich schon am Vormittag zuhause ab. Ich habe eine Reisetasche mit allem gepackt, was man so für eine Woche Urlaub brauchen könnte. Die nehme ich nun auf den Schoß und folge Maik durch den Ort. Er schlägt den Weg Richtung ‚Busch‘ ein.
Unterwegs reden wir über alles Mögliche, nur wenn ich das Gespräch auf das Ziel unseres Spaziergangs lenken will, blockt er lächelnd ab. Was für Möglichkeiten bietet denn der Weg, den wir gehen? Eine große Reise zusammen mit mir kann es nicht werden. Dann wären wir zu ihm nachhause gegangen und sein Vater hätte uns zum Hauptbahnhof in der Großstadt gefahren, wo ich vorher gewohnt habe. Im ‚Busch‘ ist nichts, wo man eine Woche mit Übernachtung bleiben könnte…
Wir gehen an Maiks magischem Ort, dem Zwillingsbaum, vorbei weiter auf den ‚Busch‘ zu. Dazu müssen wir eine Brücke überqueren, die den Randkanal überspannt. Links davon liegt die schräge Fläche, die sogenannte Slipanlage, neben der der Schuppen des örtlichen Sportvereins steht. Dort sind die Kanus der Kanuten-Abteilung untergebracht. Rechts der Brücke befindet sich eine senkrechte Betonmauer mit einer stählernen Leiter in einer Nische und mehreren Pollern auf der Mauerkrone. Ich erkenne das Auto von Maiks Eltern am Straßenrand.
Als wir das Auto erreichen steigt Maiks Vater aus. Jetzt sehe ich, dass hinter dem Auto ein leerer Bootsanhänger festgemacht ist. Drüben an den Pollern erkenne ich die Aufbauten irgendeines Bootes.
„Maik…“ sage ich und mache große Augen.
Da unterbricht mich schon Maiks Vater. Er lächelt mich an.