Luna -21-
Ich bin etwas nervös, denn von dem Moment an, an dem der Anker hochkommt, halte ich das Boot mit Motorkraft in der schwachen Strömung. Aber vorn scheint alles glatt zu gehen. Nach wenigen Minuten sagt Maik:
„Jetzt kannst du die Winde ausschalten.“
Er kommt auf dem gleichen Weg zu mir zurück, setzt sich auf seinen Platz und drückt den Fahrthebel ein wenig mehr nach vorn. Dann steuert er in die Fahrrinne zurück und schaltet die Motoren aus. Nun beginnt er in die Pedale zu treten. Ich mache es ihm nach und merke, dass es mir Spaß macht. Es ist dasselbe, als säße ich auf unserem Hometrainer zuhause und trainiere meine Beinmuskeln. Das ist wichtig, da sich durch das Rollifahren die Muskulatur der Beine zurückbilden würde – während gleichzeitig meine Armmuskulatur anwächst.
Bald treten die Bäume vom Ufer zurück und machen einem kurzen Sandstand Platz, in dessen Mitte ein zwei Meter breites Betonband in den See führt. Rechts und links davon liegen Paddelboote im Sand. Weiter oben bedeckt Gras den Boden, auf dem Zelte stehen. Im Hintergrund sehe ich zwei Wohnmobile stehen.
Kinder stehen am Ufer und winken uns zu. Andere machen durch Rufe auf uns aufmerksam. Dann sind wir auch schon vorbei. Die Fahrrinne, durch die Bojen begrenzt, führt vom Ufer weg auf einen weitläufigen See mit Schilfinseln hier und da.
Bald steuert Maik zwischen den Bojen hindurch auf eine Bucht zu. Er verlässt damit die Fahrrinne.
„So,“ sagt er. „Hier muss ich vorne staken, damit wir nicht auf eine seichte Stelle geraten und festsitzen. Du musst also vor- oder rückwärts radeln und in die Richtung steuern, die ich dir angebe.“
„Okay,“ bestätige ich.
Er steht auf, beugt sich noch einmal zu mir herunter, um mir einen Kuss zu geben, den ich gern erwidere. Dann geht er wieder über das Gangbord nach vorne. Dort dreht er sich zu mir um und nimmt eine lange Stange vom Kabinendach. Sie war in der Nähe des ‚Handlaufs‘ festgemacht. Er sticht sie neben dem Bug ins Wasser und fühlt so, wann sie den Boden erreicht.
Danach hebt er sie wieder an und schaut, bis zu welcher Markierung sie nass ist. Das macht er immer wieder so und gibt mir Richtungsanweisungen, während die Ufer beiderseits immer näher zu kommen scheinen. Schließlich wird aus der anfänglichen Bucht ein Nebenarm, in den wir uns nun schon seit über zwei Stunden in wirklichem Schneckentempo hinein tasten.
Dann sagt er zu mir:
„Buganker ab!“
Es dauert etwas bis ich realisiert habe, was er meint. Ich habe aufgehört zu radeln und habe endlich den richtigen Knopf gefunden. Der Anker vorne rasselt dem Boden entgegen. Maik befestigt die Stange wieder auf dem Kabinendach und kommt zu mir nach hinten zurück. Er startet die Elektromotoren für einen Moment und fährt rückwärts.
„Der Anker sitzt,“ meint er.
Dann schaltet er die Motoren wieder ab und lässt den Anker hinten herunter. Danach wendet er sich mir zu.
„Es ist ja noch etwas früh, um schon schlafen zu gehen,“ meint Maik. „Was hältst du von einem Filmabend heute?“
„Oh ja, gern,“ sage ich sofort begeistert.
„Aber zuerst gibt es etwas zu essen!“ sagt er und steht auf.
Er geht zum Niedergang und steigt in die Kombüse hinunter. Unten dreht er sich um und schaut mich an.
„Komm ruhig auch her,“ fordert er mich auf.
Ich stehe also aus meinem Sitz auf und trete an den Niedergang heran. Dort drehe ich mich um, wie er mir beigebracht hat und taste mit dem Fuß nach der ersten Stufe. Bald bin ich unten und lasse mich auf der Sitzbank nieder.
Maik gibt einige Früchte in den Zerhacker, und schaltet das Gerät mehrmals kurz ein. Dann lässt er das Früchtemus in eine Schüssel ablaufen und gibt eine kleine Schale Quark hinzu. Nun verrührt er beides. Er füllt die Masse in zwei Schälchen und stellt Brot und Obstsaft dazu auf den Tisch.
Ich möchte ihm beim Zubereiten der Speisen gerne helfen und frage ihn:
„Was gibt es morgen zu essen?“
Er zuckt die Schultern und antwortet:
„Morgen kannst du dir gerne im ‚Haus am See‘ etwas aus der Karte aussuchen. Wir essen dort oder nehmen es mit und essen danach hier an Bord. Morgen früh essen wir was vom Früchtequark übrig bleibt. Übermorgen Mittag – wieder auf freier Strecke – vielleicht wieder Wraps mit Füllung?“
„Das hört sich gut an,“ sage ich und lächele ihn an. „Ich brauche bei dir ja kaum etwas tun…“
Maik lächelt breiter.
„Eure Beauty braucht ja auch im Haushalt nichts tun. Sie lässt es sich gut gehen und folgt nur euren Anweisungen oder ihren Gefühlen. – Und du willst ja gerne meine LUNA sein.“
„Ja, schoooon…“ dehne ich die Antwort.
„Hab kein schlechtes Gewissen dabei,“ sagt Maik eindringlich. „Wenn ich deine Hilfe als menschliches Wesen brauche, sage ich es dir schon! Sieh mal, alleine hätte ich es nicht hier hineingeschafft.“
Das stimmt wohl. Ich nicke ihm stumm zu und schaue ihn verliebt an. Dann schiebt er mir ein Schälchen zu, füllt zwei Gläser mit Fruchtsaft und greift selbst nach dem Brot, um sich eine Scheibe mit dem Früchtequark zu schmieren. Bald bin ich satt und auch Maik hört auf zu essen. Er schabt die Schälchen aus und füllt die Reste wieder in die Schüssel für Morgen. Dann räumt er auf und spült ab.
„Wenn ich mit dem Rollstuhl hier herumfahren könnte, würde ich dir beim Spülen helfen,“ sage ich, während ich ihm beim Arbeiten zuschaue.
„Dafür ist es hier leider zu eng,“ gibt er zurück, „bleibe du also ruhig in deiner Rolle als Luna, mein Bordhund.“
Dabei grinst er mich breit an. Ich senke den Blick.
Als er mit allem fertig ist, geht er nach vorne in den Salon und krabbelt nun seinerseits auf die Liegefläche. Im Knien holt er eine DVD aus dem Regal und steckt sie in den seitlichen Schlitz am TV-Gerät. Inzwischen hat er sich seitlich hingesetzt und an die Wand der Kabine gelehnt. Ich komme zu ihm und kuschele mich bei ihm an.