Suìmh Aille -06
„Das ist die Philosophie, die für dich hinter Allem steht, Eamon? Ich möchte lernen, mich in dieser Weise einzubringen!“ sage ich begeistert.

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Zurück im Landhaus eröffnet mir Master Eamon:
„Wir werden umziehen in den nächsten Tagen nach Suìmh Aille! Die Arbeiten sind abgeschlossen. Die Geräte und Gerüste werden sein abgebaut. Leben wir dort erst einmal, mit der Zeit sich einfinden werden weitere Petplayer dort…“
Gesagt, getan. Vier Tage später führt Master Eamon mit seinem offenen Oldtimer bei strahlendem Sonnenschein einen LKW mit dem Hausrat, den ein Ortsvorsteher braucht, nach Suìmh Aille. Die Männer räumen eins dieser eiförmigen Häuser in der Ortsmitte ein. Es liegt am Rande des Platzes mit dem keltischen Lebensbaum aus Basalt.
Mehrere Stunden später, als die Männer fertig sind und der LKW den Ort verlassen hat, führt Master Eamon mich in das Haus.
Wir betreten nach Öffnen der Haustür einen Vorraum, eine Garderobe mit Sitzgelegenheit. Der Tisch hat in etwa die Höhe von Couchtischen. Rundum sind Hocker gruppiert und im Wechsel Kissen im gleichen Bezugsstoff und –muster. Eine jetzt einladend offenstehende zweiflügelige Tür mit Glaseinsätzen lässt mich in die Seomrai beo –Wohnhalle- blicken, die im Zentrum des Hauses liegt. Um sie herum liegen die Wirtschaftsräume und mir gegenüber führt eine Treppe in das obere Stockwerk mit den Schlafräumen. Im Keller befinden sich die Vorraträume, wie mir Master Eamon erklärt hat.
Ab sofort muss ich ihn irisch mit Curadh –Herr/Meister- anreden. Er sagt, dass er sich mit einem Freund aus Kindertagen treffen wird. Dieser Curadh hat Medizin studiert und altirische Heilkunde. Daher möchte er ungern als Dochtuir –Arzt- betitelt werden. Leigheas –Heiler- trifft es besser, seiner Meinung nach.
Curadh Murchardh, der Leigheas, ist in Begleitung einer irischen Doggie. Er nennt sie Runa -zauberhaft-. Mir hat mein Curadh den Namen Eithne -berauschend- als Doggie gegeben. Beide Curadhi warten auf junge Männer, ihre Mic Léinn -Schüler/Studenten-. Sie sollen in Zukunft den Haushalt und das Büro übernehmen. Am Nachmittag treffen die Beiden ein und werden von den Curadhi gleich in ihre Pflichten eingewiesen.
Anschließend lassen uns die Curadhi allein. Sie wollen eine Wanderung in die Umgebung machen. Ihnen geht es darum, bei einer meditativen Wanderung Clocha bhaile –Heimsteine- für ihre Häuser und für Suìmh Aille zu finden. Den Heimstein für Suìmh Aille wollen sie dann teilen lassen. Der größte Brocken soll ein Steinmetz in den Lebensbaum –Crann na beatha- kunstvoll integrieren. Der kleinere Teil wird in den Boden des großen Versammlungsraumes –seomrai cruinniú- eingelassen. Die Heimsteine für die beiden Häuser werden einen Ehrenplatz in den Seomrai beo bekommen. So hat es mir Curadh Eamon erklärt.
Die Zeit, in der beide Curadhi –Herren- unterwegs sind, soll ich zusammen mit Runa –zauberhaft-, Curadh Murchadhs Doggie verbringen. Nachdem wir es uns gemütlich gemacht haben, erzählt mir Runa, dass um den Heimstein sehr viel Aufhebens gemacht wurde. Sie erklärt mir:
„Die Curadhi machen Spaziergänge in der Umgebung von Suìmh Aille, während sie über die Natur nachdenken – sie meditieren. Irgendwann fällt ihnen dabei ein Stein auf, der eine Besonderheit in seiner Umgebung aufweist…
Man sagt, nicht der Mensch findet einen Stein, sondern der Stein sucht sich seinen Menschen. Die Natur hat dabei ‚ihre Finger im Spiel‘. Der Cloch bhaile ist unser Bindeglied zur Natur und Mittelpunkt verschiedener Zeremonien. So schwören sie in Gegenwart des Cloch bhaile von Suìmh Aille unserer Stadt ihre Treue. Sie ehren unsere Stadt und die Natur um uns herum, indem sie sie für die nachfolgende Generation erhalten. Sie halten der Familie die Treue, indem sie dem Wort des Vaters folgen. Sie ehren den Gastgeber, wenn sie ein fremdes Haus betreten, indem sie in Frieden kommen. Der Cloch bhaile nimmt auf diese Weise eine herausragende Stellung im Leben ein aus Respekt vor der uns umgebenden Natur.“
„Was doch die Aufgabe der Naturschutzorganisationen sein soll, ist somit auch euer Lebensinhalt?“ frage ich.
„Ja, wir sehen es als falsch an, alles den Anderen zu überlassen. Jeder Einzelne kann etwas tun! Wir beuten die natürlichen Ressourcen nicht aus Profitgier oder Ignoranz aus – ‚Nach mir die Sintflut’ -, sondern wir verstehen es so, dass die Erde uns geborgt wurde. Und Geliehenes, das du irgendwann zurückgeben musst, wirst du doch pfleglich behandeln?!“ sagt Runa.
„Hm, ja, da hast du recht…“ gebe ich zu.
Neugierig frage ich Runa nach der Bedeutung des einzelnen Stuhles am Tisch. Sie sagt:
„Nach unserer Philosophie hat ein Stuhl eine besondere Bedeutung. Er ist in privaten Haushalten eher selten zu finden und ist gewöhnlich für besondere Gäste reserviert, etwa für den Méara –Ortsvorsteher- und die Comhairli –Ratsherren-. Sie sitzen darauf höher und können die anderen Anwesenden überblicken. Normalerweise sitzen die Curadhi auf den Hockern und damit in Bodennähe. Sie wollen ‚bodenständig‘ bleiben.“