Nicci (38)
Mit großen Augen schaue ich zu, was er macht. Ich bin sicher, Lena und Markus sind gleichfalls erstaunt. Belustigt schießt mir ein Gedanke durch den Kopf: ‚Wo sind wir denn hier gelandet?!‘
Peter legt den Schlafsack schwungvoll auf das Stroh und öffnet danach den Zweiten, um ihn daneben zu legen.
„Ihr könnt auch eine Decke auf das Stroh legen und die Schlafsäcke dann darüber,“ bietet er an. „Auch lassen sich beide Schlafsäcke mit den Reißverschlüssen zu einem Großen verbinden. – Keine Sorge! Ihr habt keine Insekten als Zimmergenossen im Stroh! Es wird täglich ausgetauscht und vorbehandelt!“
Er lächelt gewinnend. Dann geht er zur Tür, tritt auf den Gang hinaus und öffnet gegenüber eine andere Tür. Interessiert schauen wir, was er macht.
„Hier sind die Hygieneräume,“ sagt er. „Hier findet ihr Toiletten und Duschen!“
Wir folgen ihm auf den Gang hinaus und strecken den Kopf in den bezeichneten Raum. Wir sehen mehrere Kabinen nebeneinander, wie auf einer öffentlichen Toilette! Ich ziehe die Augenbrauen hoch und schaue Peter an.
„Du meinst, dass du mit dieser Aufteilung Gäste bekommst?“
„Nun,“ meint er. „Vorne raus, wo die Normalos untergebracht sind, haben schon eine Menge Radwanderer übernachtet. Viele hatten ihre eigenen Schlafsäcke dabei und fanden es normal gemeinschaftliche Sozialräume zu benutzen.
Dagegen hatten wir bisher erst wenige Petplayer zur Übernachtung hier. Einige wollten einen Zwinger für die Nacht. Dann zeige ich ihnen das Gitter, das über den Balken vor dem Stroh läuft. Für Leute, die auf Käfighaltung stehen, stelle ich einen Käfig ins Zimmer. Wir haben also für jeden etwas für die artgerechte Übernachtung.
Auch ein entsprechendes Tagesprogramm kann ich anbieten: Nonverbale Kommunikation, Kommandotraining, Dog-Agility, Dog-Swimming…“
„Okay,“ sage ich. „Und wie ist es mit Frühstück?“
„Das ist im Preis drin und wird auf der Terrasse eingenommen. Bei Schlechtwetter, wie heute, wird sie zum Wintergarten umgewandelt. Wo du gerade Frühstück erwähnst – auch was das Abendessen gleich betrifft – nur die Lena ist eine human Doggie?“
„Ja…“
Ich kräusele die Stirn, weiß nicht, worauf er hinaus will.
„Also mache ich zwei normale Gedecke fertig – ihr esst natürlich gemeinsam mit uns – und einen Napf. Was bekommt sie in ihren Napf?“
Mit großen Augen frage ich Peter:
„…einen Napf?“
„Ja,“ entgegnet er zwinkernd, „oder ist sie nicht euer Doggie?“
„Jaaa,“ meine ich kleinlaut. „Aber so tief sind wir in der Sache nicht drin…“
„Okay, kein Problem! Also drei Gedecke. Richtet euch erst einmal ein! Kommt dann später auf die Terrasse. Wir haben einen Grillabend geplant!“
Mit den Worten lässt uns Peter allein. Ich schicke Markus hinter Peter her, damit er das Tor öffnet und Markus mit unserer Fotoausrüstung und den Reisetaschen hereinlässt. Etwa eine halbe Stunde danach gehen wir zur Terrasse des Bauernhauses, wo die Wirtsleute grillen wollen. Sie ist durch einzelne Elemente aus Leichtmetall und Kunststoff vom Garten abgetrennt. Eines der Elemente lässt sich oben an der Schiene drehen und steht offen. Inzwischen hat es zu regnen aufgehört. Das Gras der Wiese ist jedoch nass.
Als wir näherkommen sehen wir die Männer am Grill. Von den Frauen fehlt erst einmal jede Spur. Dann bemerken wir zwei Hunde am Boden liegen. Anscheinend dösen sie in Erwartung, dass sie etwas vom Grill erhaschen können. Etwas ist anders an den Hunden. Sie tragen ein glattes braunes Fell und einen hellbraunen buschigen Schwanz. Beide haben eine ungewöhnlich breite Schulter und lange Hinterbeine, die sie an den Körper gezogen haben.
Während wir die Terrasse betreten, wird unsere Aufmerksamkeit kurz von den Hunden weggelenkt. Die Männer begrüßen uns und bieten uns Sitzplätze an.
„Hallo, da seid ihr ja,“ ruft uns Peter fröhlich entgegen, während Bernd das Fleisch auf dem Grill wendet.
Peter weist auf den Tisch mit einigen unterschiedlichen Salaten. Ich kann auch Kartoffel- und Nudelsalat erkennen.
„Setzt euch gerne, wo ihr mögt – und greift schonmal zu!“
In diesem Moment stellt Bernd duftendes Grillfleisch, auf einer Platte angerichtet, hinzu. Wir nehmen das Angebot dankend an und bedienen uns. Dabei fällt mein Blick wieder auf die beiden Hunde. Jetzt erkenne ich, dass es sich um die beiden Frauen handelt. Beide haben ein Latexkostüm angezogen und eine Halbmaske auf dem Kopf. Vor beiden steht je ein flacher Teller mit klein geschnittenen Wurststücken.
Lena schaut fasziniert den Frauen zu. Markus bedient seine Freundin und legt ihr einen Löffel von jedem Salat und ein Steak auf ihren Teller, bevor er sich selbst etwas nimmt. Sie hat das anscheinend gar nicht gemerkt, denn sie schaut immer noch gebannt zu den beiden menschlichen Hündinnen hinüber.
Peter setzt sich zu uns und blickt Lena lächelnd an.
„Du wärst gerne bei den Doggies?“ spricht er sie an.
Lena schreckt hoch und wendet sich Peter zu.
„Was meinst du?“
„Du wärst jetzt gerne bei den Doggies?“ wiederholt er sich, breiter lächelnd.
„Woraus besteht das Kostüm?“ weicht sie fragend aus.
„Es ist aus Latex. Innen textil gefüttert. Unsere Doggies tragen die Outfits, wenn wir Besuch aus der Szene haben, wir aber noch nicht wissen, ob der Besuch auf CMNF steht.“
„Auf was?“
Lena macht große Augen.
„Das ist die gängige Abkürzung für eine englische Bezeichnung: Clothed Male Naked Female…“ erklärt er geduldig.
„Die Frauen sind nackt?“ fragt Lena nach.
„In ihrer Rolle als Doggies…“ präzisiert Peter. „Echte Hunde tragen normalerweise ja auch keine Textilien!“
„Aber Fell!“ schränkt sie ein, während Markus aufmerksam dem Gespräch folgt.
„Das kannst du aber nicht als Anzug oder Kostüm werten,“ widerspricht Peter ihr. „Es gibt zum Beispiel Nacktzüchtungen. Diese bedauernswerten Geschöpfe haben ein Restfell auf dem Kopf – ganz wie Menschen… Das natürliche Fell ist einfach nur natürliche Körperbehaarung - nur eben viel dichter als beim Menschen.“
Nach einer Pause sagt Lena dann:
„Ich würde mich gerne zu den Doggies gesellen. Das muss eine völlig neue Erfahrung sein! - Aber mit dem Mund essen…“
„Du musst nichts, was du nicht willst!“ stellt Peter fest. „Du darfst dich aber gern zu ihnen gesellen. Ess‘ dich erst einmal satt. Dann setz‘ dich gerne zu Nicci und Jasi.“
Lena schaut mich an. Ich nicke lächelnd.
Nachdem Lena ihren Teller halb leer gemacht hat, steht sie auf und setzt sich zu den Doggies auf den Boden. Die Beiden sind inzwischen mit ihren Tellern fertig und mustern nun interessiert Lena. Bernd mischt sich ein. Er nimmt ein Wurfspielzeug vom Boden auf, zeigt es den Doggies und sagt laut:
„JASI!“