Die Wölfin 08
Beim Thema Essen spüre ich eine große Leere im Magen, also schlüpfe ich hinter den Gästen durch die Tür und Vanja folgt mir.

*

Im Gastraum haben es sich später zur Abendessenszeit sieben junge Leute bequem gemacht. Sie wollen auf dem Stroh übernachten und morgenfrüh nach dem Frühstück mit ihren Mountainbikes weiterfahren. Sechs der Jungs sind 18 bis 21 Jahre alt und ihr Gruppenleiter dürfte etwa 25 Jahre alt sein.
Die Eheleute Schmidt setzen sich in Zivil dazu. Auch sie verlassen uns Morgenfrüh nach dem Frühstück. Heinz bringt mir und Ennie die vollen Schalen nach oben ins Obergeschoß, damit wir vor den Blicken der Jungs geschützt sind.
Einer der Jungs steht im Verlauf des Abendessens auf und kommt an die Küchentür. Dort fragt er nach der Gästetoilette. Heinz zieht die Stirn kraus. Die Gästetoiletten liegen rechts und links des Haupteingangs und sind als solche deutlich gekennzeichnet. Er lächelt aber milde und weist den Jungen darauf hin.
Nun flüstert der Junge mit Verschwörermiene:
„Stimmt das, dass der Wagner-Hof eine Hundeschule beherbergt? Ich habe da etwas im Internet entdeckt, als ich mich auf einer speziellen Seite angemeldet habe…“
„Du bist Petplayer?“ fragt Heinz.
„Noch nicht lange. Ich bin noch ganz frisch und dachte, in einer Hundeschule könnte ich viel darüber lernen…“
„Wo wohnst du denn?“
Der Junge nennt einen Ort, keine zwanzig Kilometer entfernt.
„Wissen die Anderen da vorne davon?“
Schnell schüttelt der Junge den Kopf.
„Dann geh jetzt erstmal zur Toilette. Und wenn du einmal Zeit hast, alleine hier hoch zu kommen, sprichst du Herrn Wagner einfach mal darauf an!“
Der Junge nickt und geht zur anderen Seite des Gastraumes auf die Toilette, um sich wenig später wieder zu den Anderen zu gesellen.
Am Morgen des folgenden Tages spricht Heinz meinen Herrn auf das kurze Gespräch beim Abendessen an. Dann haben uns die Gäste am Vormittag verlassen.
Im Laufe der Woche des Abends kommt es dann zum Kontakt zwischen meinem Herrn und dem Jungen, der sich in der Petplay-Community ‚Rocky‘ nennt. Sie vereinbaren, dass er in seiner Freizeit an drei Wochenenden im Monat zu uns heraufkommen kann. Ein Wochenende pro Monat ist er mit seiner Pfadfinder-Gruppe unterwegs, die er auch an jedem Mittwochabend trifft.
Am darauffolgenden Samstagmittag kommt er mit seinem Rad zum ersten Mal bei uns an. Leider ist Vanja am Vormittag wieder abgefahren, um nachhause zu kommen. Aber ich texte mit ihr und kann ihr damit berichten, wie der junge Mann sich so macht als Doggie.

*

Ich, Markus, habe mit Herrn Wagner vereinbart, dass ich an drei Wochenenden im Monat seine Hundeschule besuchen darf. Da ich im Abiturjahrgang bin und nicht viel Geld zur Verfügung habe – gleichzeitig Geld für den Führerschein zurücklege -, darf ich unentgeltlich teilnehmen.
An meinem ersten Wochenende auf dem Wagner-Hof fahre ich nach dem Frühstück mit meinem Mountainbike los und bin eine Stunde darauf dort angekommen. Ich stelle mein Rad neben dem Eingang ab und gehe in den Speiseraum. In diesem Moment kommt mir eine Doggie auf allen Vieren aus dem Küchengang entgegen.
Wie angewurzelt bleibe ich stehen und warte, was geschieht. Die Doggie, bestimmt doppelt so alt wie ich, bleibt in etwa zwei Meter Entfernung stehen und setzt sich anschließend auf ihre Fersen. Dann sagt sie:
„Hallo Markus. Du bist doch der Markus?“
Ich nicke eifrig und bestätige ihr:
„Ja, der bin ich.“
„Wie lange magst du bleiben? Fährst du heute wieder zurück?“
„Wenn es möglich wäre, würde ich morgen wieder zurückfahren,“ antworte ich ihr. „Meine Eltern denken, ich sei bei einem Freund.“
„Ah, okay,“ sagt die Doggie. „Dann folge mir!“
Sie dreht sich um und geht langsam vor. Dabei berühren nur ihre Hände und Füße den Boden. Die Knie hält sie vom Boden ab. Das ist eine ganz andere Gangart, als auf Händen und Knien zu laufen. Man kommt schneller voran und es sieht irgendwie eleganter, tierähnlicher aus.
Im Küchengang angekommen, wendet sie sich nach links zur Treppe und nimmt die Stufen nach unten. Ich folge ihr. Im Treppenhaus und später im Untergeschoß geht wie von Geisterhand das Licht an. Die Doggie wendet sich zu einer Tür neben der Treppe und macht Männchen. Nun sagt sie:
„Mach doch bitte einmal die Tür auf.“
Ich öffne also die Tür und stehe in einem Bereich, der etwa zwei Meter fünfzig hoch umzäunt ist. Unter einem Vordach aus Beton stehen hier vier Hundezwinger nebeneinander an der Hauswand, keiner ist besetzt.
„Übernachten darfst du in einem Hundezwinger. Hast du einen Schlafsack dabei?“
Ich zucke mit den Schultern und schüttele den Kopf, aber der Zwinger reizt mich irgendwie. Die Doggie sagt nun:
„Okay, dann bekommst du heute Abend einen von uns. Komm wieder mit hinein.“
Ich öffne also die Tür ins Untergeschoß und wir steigen die Treppe wieder hinauf. Dort setze ich mich an den ersten Tisch, während die Doggie ins Obergeschoß läuft. Kurz darauf kommt sie in Begleitung von Herrn Wagner zurück.
Der Hofbesitzer begrüßt mich beim Näherkommen und setzt sich zu mir an den Tisch. Danach fordert er mich auf, „frei von der Leber weg“ zu erzählen, seit wann ich den Hund in mir spüre und wie ich bisher damit umgegangen bin. Das wird ein längeres Gespräch, immer wieder von Herrn Wagner mit Verständnisfragen unterbrochen.